Kein Schnupfen ohne Erreger

Der Virologe Ortwin Adams erklärt, warum kühle Räume nicht automatisch zur Erkältung führen

  • Angela Stoll
  • Lesedauer: 6 Min.
Auch jetzt gelegentlich wieder im Nahverkehr zu beobachten: Niesen ohne Maske
Auch jetzt gelegentlich wieder im Nahverkehr zu beobachten: Niesen ohne Maske

Derzeit ist Energiesparen angesagt, in Räumen ist es daher oft kühler. Holt man sich jetzt leichter einen Infekt?

Interview

Ortwin Adams (64) ist Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie und leitet die virologische Diagnostik am Universitätsklinikum Düsseldorf. Für »nd« sprach mit ihm Angela Stoll.

Nein, das ist nicht belegt. Zum Infekt gehört immer, dass einem jemand gegenübersteht oder -sitzt, der gerade Viren ausscheidet. Wenn ein Raum mit Menschen überfüllt ist, steigt das Infektionsrisiko, und zwar einfach deshalb, weil die Wahrscheinlichkeit größer ist, dass jemand Viren ausscheidet. Mit der Raumtemperatur hat das herzlich wenig zu tun.

Das heißt: Es macht nichts, wenn es im Raum kälter ist?

Ja. Das Wort »Erkältung« ist irreführend. Es ist nicht so, dass man durch pure Kälte einen Infekt bekommen würde. Zwar wird immer gesagt, dass die Schleimhäute auskühlen und dann weniger widerstandsfähig sind. Aber auch dann infiziert man sich nur, wenn es einen Erreger gibt. Außerdem ist es kein drastischer Unterschied, ob man nun bei 19 oder 21 Grad im Raum sitzt.

Dennoch hat man noch Sätze im Ohr wie: »Zieh dich warm an, sonst wirst du krank.«

Ja, ich sage in meinen Vorlesungen auch immer: Unsere Großeltern haben es gut mit uns gemeint und uns Mützen über die Ohren gezogen – alles in der Vorstellung, dass man dann keine Erkältung bekommt.

Aber stimmt es nicht, dass die Schleimhäute bei Kälte schlechter durchblutet sind und dadurch anfälliger werden?

Dazu ist nichts Vernünftiges publiziert. Es ist erstaunlich, wie wenige handfeste Daten es dazu gibt. In England zum Beispiel laufen viele Leute in kurzen Hosen herum, sobald im März die ersten Sonnenstrahlen herauskommen. Aber offensichtlich infizieren sie sich auch nicht häufiger. Man sagt, sie seien »abgehärtet«. Aber was heißt das genau? Der Kälte-Mythos kommt daher, dass wir im Winter Erkältungswellen haben. In leichterer Form gibt es sie auch im Herbst und im Frühjahr.

Warum treten diese Wellen vor allem in der kalten Jahreszeit auf?

Diese Frage lässt sich nicht zufriedenstellend beantworten. Viele Erreger sind bei Kälte etwas stabiler. Außerdem spielt sicherlich das Sozialverhalten eine große Rolle. Wenn sich Menschen in geschlossenen Räumen versammeln, steigt die Ansteckungsgefahr. Daneben spielt auch die Luftfeuchtigkeit eine Rolle. Studien haben gezeigt, dass eine höhere Luftfeuchtigkeit Viren schadet. Deshalb ist es sinnvoll, Räume im Winter nicht zu trocken zu halten – und Heizungsluft ist ja oft sehr trocken. Wenn die relative Luftfeuchtigkeit unter 40 Prozent sinkt, fühlen Viren sich erheblich wohler. Sie bleiben dann länger infektiös als bei einer Luftfeuchtigkeit von 40 bis 60 Prozent, wie wir sie im Sommer haben.

Nehmen wir an: Meine Kollegin, die mit mir im Raum sitzt, schnieft vor sich hin. Was kann ich tun, um mich vor einer Ansteckung zu schützen?

Wenn jemand schnieft und schnauft, hat er einen Infekt. Sitzt man ihm mehrere Stunden lang gegenüber, ist die Wahrscheinlichkeit, sich zu infizieren, tatsächlich groß. Deshalb müssten Sie die Kollegin bitten, entweder zu Hause zu bleiben oder sich in einen anderen Raum zu setzen. Sonst lässt sich das Risiko dadurch reduzieren, dass beide eine Maske tragen. Dabei werden Tröpfchen abgefangen, die wahrscheinlich für die meisten Infektionen verantwortlich sind. Sie können eine Distanz von etwa einem Meter überwinden, dann sinken sie ab. Wenn man sich am Schreibtisch gegenübersitzt, ist der Meter schnell unterschritten. Das gilt insbesondere, wenn das Gegenüber niest. Bei einem solchen Trompetenstoß aus dem Respirationstrakt fliegen die Tröpfchen weit.

Kann es auch Schmierinfektionen geben?

Sie spielen auf jeden Fall eine Rolle. Es gibt einige Erreger, die davon deutlich mehr profitieren: nämlich Rhinoviren, also typische Schnupfenviren. Das sind Viren ohne Hülle, die gerade weil sie keine Hülle brauchen, äußerst stabil sind. Sie können auf Oberflächen tagelang überleben. Wenn solche Viren an Türklinken oder Computertastaturen hängen, sind Übertragungen möglich.

Wenn vorgestern ein erkälteter Kollege an meinem Platz gearbeitet hat, könnte ich mich also anstecken

Ja, zumindest weisen Daten darauf hin, dass Viren so lange überleben können. Allerdings kommt es immer auf die Oberfläche an. Auf glatten, wenig porösen Oberflächen können sich die Erreger lange halten – also zum Beispiel auf Schreibtischen, Telefonhörern, Türklinken. Im Besonderen gilt das etwa für Haltegriffe in Bussen, an denen sich jeder festhält. Da kann man davon ausgehen, dass dort jede Menge Viren sind. Wahrscheinlich kommen wir sowieso viel häufiger mit Erregern in Kontakt, als wir ahnen. Oft erkranken wir eben nicht.

Warum steckt sich der eine an, der andere nicht? Ist das bloß Zufall?

Nein. Es gibt Menschen, die haben eine bessere Immunabwehr aufgebaut. Da geht es vor allem um die Schleimhautabwehr. Es gibt Antikörper, die auf der Schleimhaut abgesondertwerden und den Erreger direkt abfangen. Manche Menschen verfügen über mehr solcher Antikörper als andere. Wer zum Beispiel in den letzten Jahren zwei oder drei Kinder großgezogen hat, hat mit Sicherheit viele Infekte durchgemacht und dadurch eine gute Immunität für die nächsten Jahre erworben. Bei einem Single ohne Kinder sieht es wahrscheinlich schlechter aus.

Zink, Vitamine, Echinacea, Ingwer: Jeder schwört auf etwas anderes. Was hilft wirklich?

Vermutlich sehr wenig. Von keinem dieser Mittelchen ist wirklich belegt, dass es hilft. Eine gesunde, ausgeglichene Ernährung ist bestimmt sinnvoll. Dann ist auch die Vitaminversorgung ausgeglichen. Außerdem ist belegt, dass Leute, die auch im Winter viel Sport treiben, weniger infektanfällig sind.

Wie viel bringen Saunabesuche, Wechselduschen, Eisbaden und Ähnliches?

Finnische Studien haben gezeigt, dass regelmäßige Saunagänger tatsächlich weniger anfällig sind. Aber diese haben in der Regel insgesamt einen gesünderen Lebenswandel. Es ist also sehr schwierig, die einzelnen Faktoren sauber herauszuarbeiten.

Was tun Sie, um sich zu schützen?

Ich mache regelmäßig Sport, gehe oft in die Sauna, vermeide Übergewicht und versuche mich gesund zu ernähren. In den nächsten Wochen werde ich enge Kontakte vermeiden, mich bestimmt nicht in volle Kneipen zwängen. Ich gehe davon aus, dass da sehr viele Viren und andere Erreger kursieren werden.

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