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Liberté, egalité, Marktradikalité
Olaf Scholz steht für rücksichtlose nationale Interessenpolitik, meint Christoph Ruf.
Ich habe nur rund 4000 Zeichen für diese Kolumne, weshalb ich leider nicht all das aufzählen kann, was mich an diesem Bundeskanzler auf die Palme bringt. In Kürze: Die Arroganz, mit der Olaf Scholz missliebigen Journalistenfragen – also alle – nicht beantwortet. Die Unfähigkeit, klare Sätze zu formulieren, in denen sich eine Aussage versteckt. Sein Unwille, Politik zu erklären (er wird wissen, warum). Seine Dreistigkeit, mit der er von Cum Ex bis Warburg alles aussitzt, das darauf verweist, wie wirklich Politik gemacht wird.
Am schlimmsten an Scholz ist allerdings, dass er gerade jetzt regiert, wo es national und europäisch so viele Chancen für eine andere Politik gäbe. Stattdessen steht er für rücksichtslose nationale Interessenpolitik, mit der er sich in Europa isoliert. Scholz und seine Regierung haben 200 Milliarden für Wummse bereitgestellt – ohne jede Rücksprache mit irgendeinem europäischen Partner. Wie schon beim Gaspreisdeckel, den Deutschland auf EU-Ebene erbittert bekämpfte, national aber beschloss.
Nun mache ich jede Wette, dass Scholz 2024 – dann sind wieder Europawahlen – mit aller ihm zur Verfügung stehenden Vehemenz für die europäische Idee flüstern und nuscheln wird. Die üblichen Wortbausteine wie »Wertegemeinschaft«, »gemeinsames Haus« oder »Frieden seit 1945« werden fallen. Und das Schlimme daran ist, dass die hohlen Bekenntnisse ja richtig wären, wenn ihnen eine entsprechende Politik folgen würde. Das Allermeiste, was mich an Deutschland nicht ankotzt, sind Dinge, die man einer gemeinsamen europäischen Identität zuordnen könnte.
Auch wenn man es nicht mehr hören kann: Wenn sich heute keine 16-Jährige in Leeds, Lörrach oder Lorient mehr vorstellen kann, dass England, Frankreich und Deutschland sich in den vergangenen Jahrhunderten blutige Kriege geliefert haben, dann ist das gut. Nur schade, dass das so oft von zynischen Politikern ins Feld geführt wird, die im Alltag nationalstaatliche Politik betreiben. Scholz hat keine innere Haltung zu Europa, Frankreich ist ihm fremd, kleinere europäische Länder scheint er ausschließlich gemäß ihrer Wirtschaftskraft zu beurteilen.
Dass Europa gerade jetzt mit Scholz klarkommen muss, ist allerdings noch aus einem anderen Grund fatal. Denn wenn Scholz Hafenterminals an China verkauft, tut er das ja nicht nur, weil er so gut mit dem Aufsichtsrat des Hafen-Betreibers HHLA, Andreas Rieckhoff, kann. Er tut das aus dem gleichen Grund, aus dem er die Agenda 2010 durchzusetzen half und nun den europäischen Gasdeckel verhindert: Scholz glaubt nicht an eine Zähmbarkeit der Wirtschaft, wie sie im SPD-Programm als Auftrag steht. Dass die Politik der Ökonomie Regeln setzen kann, hält er für utopisch. Soziale Politik ist bei ihm das Verteilen von staatlichen Reparationszahlungen für die Verwüstungen kapitalistischer Prozesse, die man nicht mal in Nuancen zivilisieren will. Wer sich Chinas Expansionsplänen in den Weg stellt, wird das später bereuen. Wer die Energiemultis an die Leine legen will, muss mitansehen, wie die ihr zu Mondpreisen angebotenes Gas eben anderswo verkaufen. So sieht Scholz das. Angela Merkel hat damals von der »marktkonformen Demokratie« gesprochen. Den Gedanken, dass das ein Widerspruch in sich ist, hält Scholz für weltfremd.
Dabei wäre der Zeitpunkt, den Machtkampf zwischen Politik und Ökonomie neu auszurufen, gerade günstig. Wer jetzt noch nicht begriffen hat, dass die öffentliche Daseinsvorsorge verstaatlicht werden und die Macht der Stromkartelle zerschlagen werden muss, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit Tory-Wähler oder Deutscher. Der Rest von Europa ist vom Neoliberalismus weitgehend geheilt. Und England ist raus.
Umso bedauerlicher für Europa, dass es gerade am eigenen Leib erfährt, was aus der politischen Kultur in Deutschland geworden ist. Ja, liebe Franzosen, das, was ihr da gerade an der Regierung erlebt, sind Grüne und Sozialdemokraten. Es sind allerdings deutsche Grüne und Sozialdemokraten. Und das ist etwas ganz anderes.
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