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Mit Anstand und Bravour
Johann Mrazek über Mauerbau und Mauerfall
Vor acht Jahren legte der Geologe Johann Mrazek seine Erinnerungen vor. Sie waren insofern einzigartig, als der Greifswalder Emeritus die einzige Dozentur in der DDR für Meeresgeologie innehatte und zu den wenigen DDR-Akademikern gehörte, die nach 1990 eine Professur bekamen. Und das, obwohl Mrazek zahlreiche Expeditionen für die DDR unternommen hatte, die ihn bis in den Pazifik führten, wo er nach Manganknollen, den »Tiefsee-Trüffeln«, suchte.
Seine Heimat war arm an Rohstoffen und global unterwegs, um sich Quellen fürs 21. Jahrhundert zu erschließen. Denn die DDR-Strategen dachten über die Jahrtausendwende hinaus. Allerdings kam das Jahr 1989/90 in ihrer Planung nicht in der Weise vor, wie es dann über sie und das Land kommen sollte: Aus die Maus und Schluss mit der Suche nach wertvollen Mineralien vor den Küsten Afrikas.
Mrazek lehrte und forschte bis 2012, dann begann er seine Memoiren zu Papier zu bringen, in denen er überzeugend gegen das strunzdoofe, ideologisch gewünschte Narrativ anschrieb, die DDR sei langweilig gewesen und überdies ein Staat reiner Unterdrückung und des Unrechts. Das Buch (»Zwischen Tiefsee und Hochgebirge«) erschien 2014. Sechs Jahre später legte er mit einer persönlichen Abrechnung nach: »Als aus dem Norden der Nordosten wurde«. Darin setzte er sich noch stärker mit den gesellschaftlichen und privaten Verwerfungen auseinander, deren Zeuge und Betroffener er geworden war.
Wenngleich Mrazek weiter hatte wissenschaftlich arbeiten und unterrichten können, also bruchlos seine Laufbahn fortsetzen konnte, war und ist er unzufrieden mit der Art und Weise der »Vereinigung«, die er Okkupation nannte, und mit dem Umgang der Westdeutschen mit den Ostdeutschen. Er verglich in seinem Buch die DDR-Erfahrungen mit denen in der Gegenwart, in diesem ihm fremden kapitalistischen System. Er machte aus seiner Ablehnung keinen Hehl und begründete, weshalb er sich mit dieser asozialen Produktions- und Lebensweise nie abfinden werde.
Da schwang schon ein gewisser Trotz mit, denn ihm war wegen seiner Autobiografie nicht nur Beifall gezollt worden. Ein ehemaliger Kollege zeigte sich »geradezu entsetzt«. Selbst vermeintlich gute Bekannte mieden danach eine Begegnung mit ihm, weil er angeblich zu scharf die von ihm als »Ostkolonisierung« bezeichnete Vereinigung kritisiert hatte. Und das Institut an der Greifswalder Uni, an dem er 32 Jahre zu Hause war, versagte ihm 2017 eine – bereits zugesagte – Veranstaltungsteilnahme mit Buch, weil seine Publikation »sehr umstritten« sei. Danach setzte er keinen Fuß mehr über die dortige Schwelle.
Nun legte Johann Mrazek nach, weil er doch eine Trilogie annonciert hatte. In seinem dritten Band erzählt er Geschichten aus der Stadt, in der er studiert und etliche Berufsjahre verbracht hat, ehe er an die Ostsee verzog. 28 Jahre durchzog eine Staatsgrenze Berlin, deshalb nannte er folgerichtig das Bändchen »Mauerbau und Mauerfall. Und 28 Geschichten dazwischen«. Mal schreibt Mrazek in der dritten Person über sich, mal tut er es als Ich-Erzähler. Aber stets bleibt er seiner politischen Linie treu: Obgleich zehn Jahre vor Gründung der DDR geboren, ist er ein Kind der DDR und bekennt sich auch explizit dazu. Er urteilt nüchtern und verklärt nichts.
Einen vierten Band, so gestand der 82-Jährige der »Ostseezeitung«, werde es nicht geben. Noch sei zwar nicht alles über diese 33 Jahre nach dem sogenannten Mauerfall gesagt und geschrieben – wenn auch viel Unwahres und Unredliches –, aber er habe nun seinen Part Wahrhaftigkeit geleistet. Und das, so findet die Rezensentin, tat er mit Haltung und Anstand.
Johann Mrazek: Mauerbau und Mauerfall. Und 28 Geschichten dazwischen. Verlag am Park in der Edition Ost, 182 S., br., 17 €.
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