Autobahn und Recht und Freiheit

Conrad Kunze hat eine Kulturgeschichte des deutschen Automobilismus verfasst

  • Lara Wenzel
  • Lesedauer: 3 Min.
Frei nach Walter Benjamin: Der Faschismus sieht sein Heil darin, die Massen zu ihrer Autobahn (beileibe nicht zu ihrem Recht) kommen zu lassen.
Frei nach Walter Benjamin: Der Faschismus sieht sein Heil darin, die Massen zu ihrer Autobahn (beileibe nicht zu ihrem Recht) kommen zu lassen.

Auf der menschenleeren Autobahn dahinheizen, ohne Tempolimit, ohne Hindernis, das ist die libertäre Freiheitsfantasie, die viele Pkw-Fans verteidigen. Mit gedrosselter Geschwindigkeit durch die deutsche Landschaft fahren? Das wäre wie Sex mit Kondom. Da spürt man ja gar nichts. Eine Beschränkung der Geschwindigkeit auf 130 km/h könnte 1,9 Millionen Tonnen CO2 jährlich einsparen, errechnete das Bundesumweltamt, und Unfälle reduzieren. Doch das greift die individuelle Freiheit der fossilen Maskulinisten und ihre faschistisch geprägte Männlichkeit an, erläutert Conrad Kunze in seinem Buch »Deutschland als Autobahn. Eine Kulturgeschichte von Männlichkeit, Moderne und Nationalismus«.

Dass die libidinöse Bindung zwischen Deutschland und dem Individualverkehr stark ist, zeigt nicht zuletzt die Diskussion um eine von einem Betonmischer überfahrene Radfahrerin. Eine Straßenblockade von der Aktivist*innengruppe Letzte Generation soll die Anfahrt eines Einsatzfahrzeugs der Feuerwehr behindert haben, was nach Aussage der Chefärztin vor Ort den Zustand der Verletzten nicht verschlechtert habe. Dieser schreckliche Unfall wird dennoch zum Anlass genommen, das Recht auf zivilen Ungehorsam infrage zu stellen, das die Aktivist*innen hier wahrnehmen, und zu fordern: Die Straßen müssen frei bleiben! Forderungen nach besseren Radwegen und weniger Autos, ob elektrisch oder fossil betrieben, wären geboten. Stattdessen werden Klimaktivist*innen, die sich für diese Ziele festkleben, diffamiert.

Die Ideologie von Geschwindigkeit und Rausch sitzt bis heute tief. Anfang des 19. Jahrhunderts entwarfen die italienischen Futuristen ein Manifest, in dem sie von Gewalt und Fortschritt schreiben. Filippo Tommaso Marinetti, der Gründer der avantgardistischen Bewegung, schrieb sexualisierend über sein Auto: »Wir gingen zu den drei schnaufenden Bestien, um ihnen liebevoll ihre heißen Brüste zu streicheln.« Die Sehnsucht nach dem motorisierten Sturm hielt Einzug in den europäischen Faschismus. Akzelerationistisch sollte das Ziel einer barbarisch einfachen Moderne erreicht werden und der Traum von der unendlichen Beschleunigung schlug sich auch auf den Straßen nieder.

Kunze argumentiert, dass es sich beim Nationalsozialismus nicht nur um einen Teil der Antimoderne handelt, sondern dass Mobilität ein modernes Ziel darstellt. Doch während im Sozialismus öffentliche Verkehrsmittel ausgebaut wurden, förderte Deutschland den Individualverkehr auf Autobahnen, um eine Projektionsfläche für das Freiheitsversprechen im Faschismus zu liefern. Das wirkt bis heute ungebrochen und macht sie zum »meistzitierten Posten der Schuldentlastung« in der Nachkriegszeit, schrieb die Psychoanalytikerin Gudrun Brockhaus.

Verbunden mit dem Straßenstolz, hält sich auch das damit verknüpfte Männlichkeitsbild, das während des Nationalsozialismus aufgebaut wurde. Nach dem Ersten Weltkrieg bot sich das Auto als neues libidinöses Objekt an, auf das sich Antifeministen fixierten. Fotos von Männern im Rennwagen »Silberpfeil« oder Panzern luden zur Identifikation ein, auch wenn das eigene Auto einer winzigen Minderheit vorbehalten blieb. Zu diesem Teil der Propaganda kam die Verbindung der Autobahn mit schaffender, konkreter Arbeit – im Gegensatz zur antisemitisch besetzten abstrakten Arbeit –, die der Deutsche Arbeiter und Volksgenosse stolz leistete. Daran, dass es sich bei der Autobahn um ein Massengrab von mindestens 181 000 Kriegsgefangenen und Zehntausenden Juden*Jüdinnen handelt, wird heute nicht erinnert.

Das Buch bietet eine Fundgrube an historischen Einsichten zu den letzten hundert Jahren bis in die Jetztzeit, das an einigen Stellen durch seine Überfülle jedoch zu zerfallen droht. Kunzes Kulturgeschichte Deutschlands entlang der Autobahn gibt Einblick in die spürbaren Kontinuitäten von Maskulinismus und Automobilismus, die eine antikapitalistische Klimabewegung bekämpfen muss. Ein engagiertes Werk, das die ideologischen Hürden einer emanzipatorischen und notwendig feministischen Klimabewegung klar umreißt.

Conrad Kunze: Deutschland als Autobahn. Eine Kulturgeschichte von Männlichkeit, Moderne und Nationalismus. Transcript-Verlag, 460 S., br., 49 €.
Lesung und Gespräch mit Conrad Kunze und nd-Redakteur Martin Höfig am 9.11., 17 Uhr, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin.

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