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Letzter Ausstieg: Kommunismus
Slavoj Žižek nimmt in »Unordnung im Himmel« globale politische Herausforderungen in den Blick
Vor knapp zehn Jahren kam ein Band auf den deutschen Buchmarkt, mit dem Slavoj Žižek, ein kluger Kopf mit Performerqualitäten, in bestimmten Kreisen für Aufsehen sorgte: »Die bösen Geister des himmlischen Bereichs«. Und auch der Untertitel war eine deutliche Ansage: »Der linke Kampf um das 21. Jahrhundert«. Den verzagten und postmodernismusverwöhnten Möchtegern-Intellektuellen aus Deutschland wusste der aus Slowenien stammende Philosoph und Psychoanalytiker durchaus etwas entgegenzusetzen, und zwar, wie sein Verlag klarstellte, eine »Ideologiekritik der Gegenwart aus kommunistischer Perspektive«.
Den etwas irritierenden Titel hatte Žižek beim Apostel Paulus entliehen. Im Epheserbrief heißt es: »Denn wir haben nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern gegen die Fürsten und Gewalten, gegen die Beherrscher dieser finsteren Welt, gegen die bösen Geister des himmlischen Bereichs.« Žižek wollte diesen Gedanken folgendermaßen vergegenwärtigt wissen: »Wir kämpfen nicht gegen konkrete korrupte Individuen, sondern gegen die Mächtigen im Allgemeinen, gegen ihre Autorität, gegen die globale Ordnung und die ideologische Mystifikation, auf welcher sie beruht.«
Doch nicht genug des Blicks nach oben. »Unordnung im Himmel« heißt Žižeks kürzlich erschienenes Buch (dazwischen hat der Vielschreiber um die 20 weitere Monografien herausgebracht). Auch dieser Titel ein Apostelwort? Der Gewährsmann für die Worte und für die grafische Darstellung des Autors – der zeigt sich in chinesischem Outfit – auf dem Buchcover heißt in diesem Fall Mao Tse-tung. Der verlautbarte bekanntlich: »Es herrscht große Unordnung im Himmel; die Lage ist ausgezeichnet.«
Ist der bärtige Slowene mit dem eigenwilligen Englisch ein Maoist? Wohl eher nicht. Aber er spielt gern mit den Zeichen. (Und zum ästhetischen Prinzip der Kritik durch Überaffirmation hat er sich selbst mehr als nur einmal zu Wort gemeldet.) Darüber, dass heute große Unordnung herrscht, besteht weitgehend Einigkeit. Aber ist die Lage auch ausgezeichnet? Bietet also das derzeitige politische Chaos die Möglichkeit zu Fortschritt qua Revolution? Žižek weiß: »Die Lage ist mitnichten ausgezeichnet, und darum muss gehandelt werden.« Mit Lenin rät er zu »einer konkreten Analyse der konkreten Situation«.
Die Unordnung exemplifiziert der Philosoph an drei Großthemen: am US-amerikanischen Kampf der Ideologien mitsamt den Erscheinungen des Trumpismus, an der Corona-Pandemie und ihren politischen und gesellschaftlichen Implikationen sowie am Ukraine-Krieg. Das sind in der Tat allesamt keine Stichworte, die zu einer optimistischen Weltsicht einladen.
Auf das politische Personal der USA sieht der Autor mit der notwendigen Differenziertheit. Die Möglichkeit einer Wiederwahl Trumps betrachtet er als regelrechte Katastrophe. (2016 hatte er mit einer Wahl des Exzentrikers noch das Potenzial erstarkender sozialer Bewegungen verknüpft gesehen und sich weitaus weniger schwarzmalerisch geäußert.) Ein tiefer Graben verlaufe nicht, wie man annehmen könnte, zwischen Demokraten und Republikanern, sondern in den Parteien selbst, zwischen dem Establishment und neuen Kräften, die dieses zu erschüttern vermögen. Dabei ist für Žižek klar, dass das republikanische Establishment Trump und Konsorten vorzuziehen ist, Joe Biden und das demokratische Establishment demgegenüber das kleinere Übel darstellen und der unwahrscheinliche Triumph von Bernie Sanders oder jemandem aus dem Umfeld der Demokratischen Sozialisten die beste Nachricht wäre. Er erliegt aber nicht dem Phantasma, Sanders wäre etwas anderes als ein gemäßigter Sozialdemokrat. Er wäre schlicht die beste Option innerhalb des maroden Systems repräsentativer Demokratie.
Anders als einige zeitgenössische linke Theoretiker unterstützt Žižek den Kampf gegen das Coronavirus und die dafür gewählten Instrumente. In der Neigung zu Verschwörungstheorien sieht er mit Jacques Lacan das Pathologische; in der Ausgestaltung der Krisenpolitik der letzten Jahre verschließt er die Augen vor der Profitgier nicht. Die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung zu akzeptieren, scheint ihm in diesem Fall ebenso das kleinere Übel.
Wladimir Putins Angriff auf die Ukraine beschreibt Žižek klar als das, was er ist: ein verachtenswerter Besatzungskrieg. Seinen Ausführungen zum innerrussischen System, seinen Warnungen vor antirussischer Diskriminierung im Westen, auch seinem Hinweis auf die Überkommenheit eines Bündnisdenkens à la Nato wird man nur zustimmen können. Im Juni dieses Jahres war der Philosoph in der Wochenzeitung »Der Freitag« bereits mit einem Artikel aufgefallen, in dem er sich durchaus noch über eine stärkere Nato gefreut hätte. »Unordnung im Himmel« scheint nun etwas zurückzurudern. Aber nach dem Wort Friedensverhandlung – und sei es nur als theoretische Erwägung! – sucht man hier vergeblich. Pazifismus sei keine Option.
In einem »Klassenkampf wider den Klassismus« überschriebenen Exkurs lässt sich Žižek abermals auf das Kampffeld zwischen Klassen- und Identitätspolitik theoretisch ein und findet erhellende Beispiele aus dem unter derartigen Zerwürfnissen leidenden linken Flügel der Demokratischen Partei in den USA. Ohne die Klischees von Haupt- und Nebenwiderspruch aus der marxistischen Mottenkiste zu wiederholen, stellt er unmissverständlich klar, dass er keineswegs emanzipatorische Bestrebungen einzelner Gruppen zurückweist. Und doch folgt das Prinzip der Klassenzugehörigkeit anderen Regeln. Es geht hier, anders als die Anhänger des Modebegriffs »Klassismus« uns glauben machen wollen, nicht um die Anerkennung einer Minderheit, sondern um die Aufhebung eines Widerspruchs.
Anders als viele der dicken Žižek’schen Abhandlungen setzt der Philosoph in diesem Buch nicht auf abschließende Bemerkungen zu den großen Fragen. Es gliedert sich in 35 Kurzkapitel, die als Reaktionen auf tagespolitische Ereignisse lesbar sind. Auch für jemanden, der in einem solchen wahnsinnigen Tempo Publikationen vorlegt, ist das Buch als Medium, zumal wenn es erst übersetzt werden muss, zu behäbig. Bernie Sanders’ Auftritt bei Joe Bidens Vereidigung und die Debatte um die Impfpflicht – sind das nicht längst historische, vielleicht bereits vergessene Themen? Sei’s drum: In turbulenten Zeiten lohnt sich häufig der Blick in die jüngste Vergangenheit.
Da wird schon eher das Lesevergnügen durch die beständigen Wiederholungen geschmälert. Man fühlt sich beim mit Worten kreisenden Abschreiten der globalen Problemlagen mitunter, als höre man Žižek beim freien Assoziieren auf der Couch zu. Der Autor ist als Meister des Anekdotischen bekannt, da will man ein und dieselbe nicht mehrmals auf knapp 300 Seiten lesen müssen. Und auch bei der deutschen Übertragung holpert es hier und da etwas. Es ist schon ein erstaunliches Missverständnis in der übersetzerischen Arbeit, wenn davon die Rede ist, Biden wollte Mitarbeiter des Staatswesens wöchentlich (!) gegen Covid-19 impfen lassen. Fake News wider Willen?
Stellenweise kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, das Hantieren mit marxistischer Theorie – inklusive Mao-Pose hier, Lenin-Zitat da – sei bloße Koketterie. Schon die Kapitelüberschriften, von »Radikale Veränderungen, nicht Mitgefühl« bis »Letzter Ausweg: Kommunismus«, weisen einen eigentlich klaren Weg. Aber was ist einem linken Denker, der den real exisierenden Sozialismus des vergangenen Jahrhunderts als Irrläufer erkennt und auch die Entwicklungen im China unserer Tage scharf kritisiert, der Kommunismus? Nicht in der Abschaffung des Marktwettbewerbs liege unsere Zukunft, aber doch in einem starken Regulativ, das das Notwendige zu tun bereit ist – auch auf Kosten individueller Freiheit, wie wir sie unter anderem bei den Maßnahmen zur Pandemieeindämmung erlebt haben.
Kommunismus wird nicht sein, weil wir ihn wollen, sondern weil er sein muss, so ließe sich vereinfacht sagen. Ganz leicht klingt das nicht. Aber Žižek weiß, mit Horkheimer, wie das Motto eines wahren radikalen Linken lauten sollte: »Pessismismus in der Theorie, Optimismus in der Praxis«.
Slavoj Žižek: Unordnung im Himmel. Lageberichte aus dem irdischen Chaos. A. d. Engl. v. Axel Walter. WBG Theiss, 288 S., br., 25 €.
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