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Europas Feministin
Die Künstlerin Gunilla Palmstierna-Weiss ist im Alter von 94 Jahren gestorben. Ihre kürzlich erschienene Autobiografie gibt Zeugnis von einem reichen Leben
Gerade konnte sie noch die Veröffentlichung der deutschen Ausgabe ihrer Autobiografie im engagierten Verbrecher-Verlag erleben, nun ist Gunilla Palmstierna-Weiss im Alter von 94 Jahren in Stockholm gestorben. Unvergessen sind ihre Auftritte auf verschiedenen Konferenzen in Berlin, zum Beispiel bei der langen Peter-Weiss-Nacht in der Akademie der Künste anlässlich dessen 100. Geburtstags am 30. April 2016 im Gespräch mit dem Filmwissenschaftler Florian Wüst. Palmstierna-Weiss vertrat das Werk ihres verstorbenen Mannes mit großem Engagement und durchaus energisch gegenüber dem Suhrkamp-Verlag, mit dem sie lange über die richtige Fassung der »Ästhetik des Widerstands« stritt, die schließlich Jürgen Schutte nach vielen Jahren 2016 vorlegen konnte.
Doch Gunilla Palmstierna-Weiss war keineswegs »nur« die Frau an Peter Weiss’ Seite, sondern eine Künstlerin, die nicht nur in Schweden, sondern auch international große Bedeutung hatte. Bereits früh arbeitete sie eng mit Ingmar Bergman zusammen und hat viele Kostüme und szenografische Entwürfe für ihn realisiert. Auch als Regisseurin hat sie manche Stücke inszeniert. Mit Peter Weiss ging sie ab 1952 auf Augenhöhe eine Lebens-, Liebes- und Arbeitsgemeinschaft ein, und ihr Anteil am Werk von Weiss ist unschätzbar hoch und müsste als eigenständiger Beitrag zum Gegenstand einer kritischen Forschung werden. Alle Recherchereisen unternahmen sie gemeinsam, ob nach Vietnam für das Stück »Viet Nam Diskurs« oder nach Paris und Mexiko auf den Spuren Leo Trotzkis. Immer wieder stellte Gunilla Palmstierna-Weiss die Frage nach den unsichtbaren Frauen im Umfeld der historischen Männerfiguren, so auch bei Trotzki, dessen Frau Natalja Sedowa sie besonders interessierte.
1928 in Lausanne als Tochter von Kule Palmstierna, Chirurg und Gynäkologe, und Vera Herzog, Psychologin, geboren, wuchs sie in Stockholm, Wien, Rotterdam und Paris auf und absolvierte später Studien in Amsterdam, Paris und Stockholm, wo sie bis zuletzt lebte. Die Grafikerin, Keramikerin sowie Bühnen-, Kostüm- und Maskenbildnerin hat in all diesen Bereichen ihre Spuren hinterlassen. Die multitalentierte Frau konnte auf ein äußerst bewegtes Leben zurückschauen und hat sehr früh ein politisches und ebenso feministisches Bewusstsein entwickelt, das von der Empathie für die Ausgebeuteten und Unterdrückten geprägt war.
Das Leben der weitverzweigten Familie Palmstierna mit deutsch-jüdischen Wurzeln ist durchzogen von Dramen um Trennung, Verstoßung und Enterbung. Palmstierna-Weiss’ Kindheit und Jugend waren nur wenig mit Glück und Unbeschwertheit gesegnet und ließen sie Erfahrungen mit Armut machen. Als Jüdin überlebten sie und ihre Mutter im Schutz des schwedischen Vaters und Ehemanns in Holland.
Unter dem Namen ihres ersten Ehemanns Mark Sylwan entwarf Gunilla Palmstierna für die schwedische Ausgabe von André Bretons »Nadja« ein Cover, das Peter Weiss bei der zweiten Begegnung Anfang der 50er Jahre uncharmant als hässlich bezeichnete. Bretons Roman über die surreale Amour fou sowie die Verbindung von Psychoanalyse und Surrealismus faszinierten sie ebenso wie Peter Weiss, mit dem sie bis zu dessen Tod 1982 zusammenlebte. Bevor beide ein Paar wurden, schlug Peter Weiss vor, dass, sollten sie einmal eine Tochter zusammen haben, diese unbedingt Nadja heißen müsse. 1972 wurde sie geboren; heute lebt sie als Schauspielerin und Regisseurin in Stockholm.
Palmstierna-Weiss reiste mit Peter Weiss an die Schauplätze politischer Kämpfe, und beide positionierten sich engagiert nicht nur für die Theaterbühne, sondern auch auf Demonstrationen. Ihre Autobiografie enthält zahlreiche Anekdoten über interessante Begegnungen im Rahmen der Gruppe 47 sowie unter vielen anderen Szenen eine Erinnerung an die Filmwissenschaftlerin Lotte Eisner in Paris. Diese kontrollierte als Zerberus »knallhart« den Zugang zu dem einflussreichen Henri Langlois, Chef der Cinémathèque in Paris, zu dem das Paar mit seiner experimentellen Filmarbeit vorzudringen versuchte.
Palmstierna-Weiss’ Schilderungen der Entwicklungen einzelner Theaterstücke ihres Mannes und der von ihr betreuten Bühnenfassungen zeigen, wie sachkundig und modern ihre Bühnenentwürfe waren. Ihre höchstspannenden Memoiren spiegeln die politischen Auseinandersetzungen des Kalten Krieges sowie die vielen Flügelkämpfe innerhalb der Linken bis hin zu den Debatten um den bewaffneten Widerstand in den Metropolen. Palmstierna-Weiss schildert zahlreiche Begegnungen mit wichtigen Protagonisten aus Kultur und Politik nach 1945. Von Theodor Adorno über Alexander Abusch, Ernst Busch, Fidel Castro, Simone de Beauvoir, Peter Handke, Ernest Mandel bis zu Jean-Paul Sartre und Helene Weigel, um nur einige zu nennen, sind Gespräche und Zusammenkünfte nachgezeichnet. Die Autobiografie ist ein regelrechtes »Who is who« der kulturellen Linken in Ost und West und eine letzte und würdige Erinnerung an viele aufregende Jahrzehnte einer europäischen Feministin.
Auf den letzten Seiten resümiert die Autorin die Veränderungen im Zusammenleben der Geschlechter und bringt mit leiser Skepsis ihre Hoffnung zum Ausdruck: »Es ist eine Revolution im Stillen und, hoffentlich, ein stetig fortdauernder Prozess zur Erreichung der Gleichberechtigung.« Und sie fügt buchstäblich auf der letzten Seite hinzu: »Sowohl Frauen als auch Männer können Machtmenschen sein. Das hängt von der Gesellschaftsstruktur ab.«
Gunilla Palmstierna-Weiss: Eine europäische Frau. Verbrecher-Verlag, 600 S., geb, 39 €.
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