80 Jahre pervers

Der Filmemacher, Aktivist und Autor Rosa von Praunheim feiert Geburtstag

  • Luca Glenzer
  • Lesedauer: 5 Min.

Würde man versuchen, das schier unüberschaubare Werk des Rosa von Praunheim auf eine griffige Formel zu bringen, so könnte sie lauten: das Schweigen brechen. Das, was ist oder gedacht wird, muss – so von Praunheims künstlerischer Ansatz – stets auch auszusprechen sein, gerade wenn es allen bürgerlichen Idealen des normalen und anständigen Lebens noch so konträr gegenüberstehen mag. Schaut man heute auf sein Werk zurück – das Jahr um Jahr um weitere Filme, Bücher oder Theaterstücke ergänzt wird –, lässt sich konstatieren: Dem ihm hier unterstellten künstlerischen Anspruch ist er mit Bravour gerecht geworden.

Gleich seine erste große Filmproduktion »Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt« aus dem Jahr 1971 war eine dynamitbestückte Provokation sondergleichen, mit der er nicht nur den Hass und Zorn der heterosexuell-bürgerlichen Mehrheitsgesellschaft, sondern auch den der Schwulen selbst auf sich zog – eine Konstellation, die von Praunheim in seinem weiteren Leben immer wieder zu evozieren wusste. Der Film war eine einzige bitterböse Karikatur des unterwürfigen, passiven, sich dem Hass der Mehrheitsgesellschaft beugenden Durchschnittsschwulen, der sich in seinem verlogenen Leben zwischen heterosexueller Scheinehe und schwulem Klappensex, zwischen stilvoll-distinguiert eingerichtetem Eigenheim und dem draußen lodernden Hass scheinbar gemütlich eingerichtet hatte, statt selbstbewusst und aufrichtig für sich und die eigenen Rechte einzustehen. Für ein Gros der Schwulen wurde von Praunheim so zeitweise zu einer persona non grata – was so weit ging, dass er in den Folgejahren mehrmals in Schwulenbars körperlich angegangen wurde –, weil sie sich in dem Film wiedererkannten und somit als bloßgestellt empfanden. Für eine Minderheit der Minderheit hingegen avancierte von Praunheim schnell zu einer Ikone.

Innerhalb kürzester Zeit schossen politische Schwulengruppen wie Pilze aus dem spießbürgerlich-modrigen Untergrund der westdeutschen Gesellschaft, die sich – kaum erholt vom Kulturschock der 68er – nun gleich mit der nächsten Ungeheuerlichkeit konfrontiert sah: Statt sich mit der durch die Brandt-Regierung forcierten Modifizierung des Paragrafen 175 dankbar zufriedenzugeben, forderten die nicht zuletzt durch von Praunheims Film politisierten Homosexuellen die sofortige Streichung des Paragrafen und mittel- bis langfristig nicht weniger als die Abschaffung des Patriarchats. Dessen Vorherrschaft hatte von Praunheim längst als Grundlage des Leids der Schwulen im Besonderen und der Welt im Allgemeinen erkannt.

Für von Praunheim war früh klar, dass am Ende alles politisch ist und das Private am allermeisten. Nicht zuletzt daraus resultierte sein schier unstillbares Bedürfnis nach Biografien, dem Erforschen und Nachspüren fremder Erfahrungen, das 2012 anlässlich seines 70. Geburtstags im Mammutwerk »Rosas Welt« kulminierte: eine 70 Kurzfilme umfassende Sammlung von Porträts schillernder und durchschnittlicher, prominenter und unbekannter, perverser und biederer Menschen, die ihn auf je eigene Art faszinierten.

Von Praunheim ist ein unverbesserlicher und selbstbewusst-naiver Grundoptimist, weshalb sein Interesse stets den Gestaltungsmöglichkeiten gilt, das allen Menschen auf je eigene Art zugrunde liegt. Nichts ist ihm dabei mehr ein Gräuel als das Lamento – das sich dem Leid und dem melancholischen Weltschmerz genussvoll hingebende Klagelied –, das sich allen Versuchen entzieht, das Schicksal selbst in Hand zu nehmen.

Unvergessen ist dabei etwa sein auch öffentlich ausgetragener Disput mit Mario Wirz, der 1992 mit »Es ist spät, ich kann nicht atmen« als erster deutschsprachiger Schriftsteller überhaupt die eigene HIV-Infektion thematisierte. Von Praunheim bewunderte Wirz für dessen Mut, doch kritisierte zugleich dessen pessimistische, schwarzmalerische, von schweren Depressionen geprägte Grundhaltung, die sich in seiner Prosa widerspiegelte und dadurch eine, so von Praunheims Kritik, allzu entpolitisierende und passive Wirkung habe. Diese kontroverse Auseinandersetzung, aus der schnell eine enge Freundschaft erwuchs, dokumentierten die beiden Kontrahenten im Jahr 1996 in ihrem Buch »Folge dem Fieber und tanze«.

Seinen wohl größten Medienskandal löste von Praunheim 1991 in der RTL-Sendung »Explosiv – Der heiße Stuhl« aus, als er die beiden TV-Promis Alfred Biolek und Hape Kerkeling ohne deren Einverständnis öffentlich als schwul outete. Anlass war seine Verzweiflung darüber, dass das öffentliche Sprechen über Homosexualität stets mit dem Argument unterbunden wurde, dass Sexualität schließlich Privatsache sei, während die auflagenstarke Klatschpresse zugleich jede noch so unbedeutende Liebschaft heterossexueller C-Promis auf den Frontseiten platzierte, wie er sich in seinen Memoiren »50 Jahre pervers« aus dem Jahr 1992 erinnerte. Das aus dieser bigotten Haltung resultierende Schweigen über schwule Lebensrealitäten sei in Zeiten der Aids-Pandemie, die Anfang der 90er Jahre zu einem regelrechten Massensterben schwuler Männer und damit auch vieler enger Weggefährten und Freunde von Praunheims geführt hatte, zu einer tödlichen Gefahr geworden.

»Bild« titelte im Anschluss an die Sendung »Pfui Rosa« und forderte, ihn nie wieder ins Fernsehen einzuladen. Die »Bunte« wählte ihn zum »Verräter des Jahres«. Auch sah er sich wieder einmal heftigen Anfeindungen aus der schwulen Community ausgesetzt, da sich ein Großteil der Szene mit der Angst vor drohenden Zwangsoutings identifizieren konnte.

Bis heute sprudelt Rosa von Praunheim geradezu über vor Kreativität und schrulligen Einfällen. Erst im September erschien sein neuer Roman, mit einem für ein Praunheim-Werk geradezu charakteristischen Titel: »Hasenpupsiloch – Eine unanständige Geschichte«. Darin erzählt er die Geschichte des schwulen Provinzlers Daniel, der auf eine Zeitungsannonce von vier betagten Damen reagiert, die auf der Suche nach einem passenden Betreuer sind, den sie in Daniel bald finden, woraufhin sie zu ungeahnter Vitalität wiederfinden. Überhaupt geht für von Praunheim von Frauen im fortgeschrittenen Lebensalter seit jeher eine ungeheuerliche Faszination aus: Legendär ist etwa seine Zusammenarbeit mit Lotti Huber, der er 1990 mit dem Film »Affengeil« über Nacht zum Dasein als Filmstar im Alter von 78 Jahren verhalf.

Allen lustvollen Provokationen und evozierten Skandalen zum Trotz taugt von Praunheim heute nicht mehr zum enfant terrible, zu dem ihn die sensationsheischende Boulevardpresse einst auserkoren hatte. Das mag viele Gründe haben, zuallererst aber ist es seinem eigenen Lebenswerk geschuldet, das es vermocht hat und bis heute vermag, die gesellschaftlichen Vorstellungen davon, was als normal und akzeptabel erscheint, geradezu grotesk zu überzeichnen und dadurch letztlich selbst zu entlarven. Heute ist Rosa von Praunheim nicht zuletzt aufgrund seines eigenen Wirkungsgrads nur noch ein Perverser unter vielen – ein stolzer dazu.

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