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  • US-Film »Call Jane«

Eingriff am Kürbis

Das US-Drama »Call Jane« holt das immer noch mit Scham und diffusen Ängsten behaftete Thema Abtreibung erneut aus der Tabuzone

  • Gabriele Summen
  • Lesedauer: 4 Min.
Elizabeth Banks als Joy (links) und Sigourney Weaver als Virginia, die feministische Aktivistin und die Leiterin des Jane-Kollektivs (rechts)
Elizabeth Banks als Joy (links) und Sigourney Weaver als Virginia, die feministische Aktivistin und die Leiterin des Jane-Kollektivs (rechts)

Der Supreme Court in den USA erklärte 1973 im sogenannten »Roe versus Wade«-Urteil die Abtreibungsgesetze von 46 Bundesstaaten für verfassungswidrig, da sie das gesetzlich garantierte Recht auf persönliche Freiheit einschränkten. Mit diesem überfälligen Urteil endet das Drama »Call Jane«. Darin geht es um die im Untergrund arbeitende Gruppe »Janes«, die in den 60er Jahren Frauen zu einem fachgemäß durchgeführten Abbruch verhalf.

Leider ist dieser klug inszenierte Film aktueller denn je. Bekanntermaßen wurde im Juni 2022 das Abtreibungsrecht in den USA wieder gekippt. Schwangerschaftsabbrüche werden dort also erneut in den einzelnen Bundesstaaten geregelt, elf von ihnen stellten den Eingriff daraufhin bereits ohne Ausnahme unter Strafe. Alle Abtreibungskliniken dort wurden geschlossen. Patientinnen bleibt neben gesundheitsgefährdenden, illegalen Abbrüchen also nur übrig, in einen der verbliebenen Bundesstaaten zu reisen, in denen Abtreibung im ersten Trimester noch erlaubt ist. Ähnlich ergeht es Europäerinnen, die 2022 das Pech haben, in Malta, Andorra, Liechtenstein oder Polen ungewollt schwanger zu werden.

Was eine solche Abtreibungsreise im Einzelfall bedeuten kann, schilderte bereits sehr eindrücklich das Teenagerdrama »Never Rarely Sometimes Always« von Eliza Hittman, das auf der Berlinale 2020 zu Recht den Großen Preis der Jury erhielt.

Nun also nimmt sich Phyllis Nagy, die für ihr Drehbuch »Carol« – eine lesbische Liebesgeschichte in den prüden 50er Jahren – für den Oscar nominiert war, in ihrer zweiten Regiearbeit dieses schwierigen Stoffes an. Sie inszeniert ihn mit einer gewissen Leichtigkeit und einer guten Prise Humor, die auch ein breit gefächertes Publikum mitzunehmen weiß.

Chicago 1968: Während Menschen vor den Glastüren eines noblen Etablissements gegen den Vietnam-Krieg demonstrieren, glänzt Joy auf einem Geschäftstreffen – leicht irritiert – weiter als Vorzeigeehefrau ihres Mannes.

Kurz darauf erfährt Joy, die von Elizabeth Banks eindringlich verkörpert wird, dass das Austragen ihres zweiten Kindes mit großen gesundheitlichen Risiken verbunden ist. Ihr Arzt rät zu einer Abtreibung. Doch das ausschließlich aus Männern bestehende Klinikgremium entscheidet sich in einer erschütternden, symbolträchtigen Szene dagegen – über ihren Kopf hinweg. Schließlich besteht eine 50-prozentige Chance, dass sie die Schwangerschaft überlebt und ein gesundes Baby zur Welt bringt!

Während ihr Mann Will (Chris Messina), ein Strafrechtler, an dieser Stelle bereits resigniert, fügt Joy sich nicht der kaltblütigen Entscheidung dieser Männer.

Zunächst versucht sie verzweifelt, zwei psychiatrische Gutachten zu besorgen, die ihr Selbstmordgefährdung attestieren. Unter diesen Umständen dürfte sie nämlich die Schwangerschaft beenden lassen.

Als ihr das nicht gelingt, sucht sie nach einer Möglichkeit, illegal abzutreiben. Dabei stößt sie auf die »Janes«, die einen sicheren Abbruch organisieren – ohne nach Gründen zu fragen. Allerdings verlangt der geldgierige, vermeintliche Arzt, der die kleinen Eingriffe durchführt, ungerührt 600 Dollar pro Abtreibung. Deshalb kann vielen mittellosen Frauen nicht geholfen werden.

Nach dem Eingriff wird Joy noch liebevoll von dem Frauenkollektiv weiter betreut. Leiterin der Janes ist die feministische Aktivistin Virginia, die mitreißend von Sigourney Weaver verkörpert wird.

Als kurz darauf bei den Janes Not an der Frau ist, springt Joy ein. Da ihr politisches Bewusstsein allmählich erwacht und sie die Gemeinschaft der Frauen unterschiedlichster Herkunft und Klassen genießt, engagiert sie sich mehr und mehr in der geheimen Organisation.

Schließlich bringt sich Joy, die noch vor Kurzem nicht einmal über ihre eigenen Genitalien wirklich Bescheid wusste, mit Hilfe eines Kürbisses sogar selbst alles nötige für einen Abbruch bei. So könnten die Janes künftig allen Hilfesuchenden helfen.

Richtig ist, dass der Film den kleinen Eingriff entdämonisiert und stattdessen zeigt, wie einfach er unter sicheren Umständen durchzuführen ist.

Nachdem sie den Eingriff das erste Mal durchgeführt hat, begreift Joy endgültig, dass keine Frau je leichtfertig entscheidet, einen Abbruch vorzunehmen. Es ist ein großes Verdienst des Films, dies herauszuarbeiten – und mensch schaudert erneut bei dem Gedanken, dass beispielsweise in Ungarn die Frauen seit September dazu gezwungen werden, sich den Herzschlag des Fötus anzuhören, bevor sie einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen dürfen – als stünden die Betroffenen nicht schon unter ausreichendem seelischem Druck.

Die Janes aber geben den Druck und die Angst vor Strafverfolgung nicht an ihre Patientinnen weiter, und auch Nagy und ihr Autor*innenteam haben sich dazu entschieden, nicht von dieser ständigen Bedrohung zu erzählen, sondern von dem Optimismus, der Solidarität und dem Zusammenhalt dieser bewundernswerten Frauengruppe.

So ist dieser durchaus unterhaltsame Film, der das immer noch mit Scham und diffusen Ängsten behaftete Thema Abtreibung erneut aus der Tabuzone holt, auch eine gelungene Geschichte über politisches Erwachen.

»Call Jane«: USA 2022. Regie: Phyllis Nagy. Mit: Elizabeth Banks, Sigourney Weaver, Kate Mara, Chris Messina. 122 Min. Start: 1. Dezember.

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