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Noch immer Covid-Hotspot
Eine Barmer-Studie zeigt, wie schlimm Corona in Pflegeheimen wütete
»Pflegeheime waren der Corona-Hotspot Nummer eins«, sagt Heinz Rothgang vom Socium-Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik der Universität Bremen. 45 Prozent der in den Jahren 2020 und 2021 mit Covid-19 Gestorbenen seien Heimbewohnende gewesen, so der Gesundheitsforscher und Co-Autor des diesjährigen Barmer-Pflegereports, der am Dienstag in Berlin der Presse vorgestellt wurde. Im Vergleich zu den Jahren davor habe es in den Heimen eine Übersterblichkeit von mehr als 150 000 Personen gegeben – »eine erschreckend hohe Zahl«, wie Rothgang einräumt.
Nirgends wird das Versagen des deutschen Corona-Krisenmanagements deutlicher als in diesem Bereich. Es war frühzeitig in der Pandemie klar, dass hochaltrige Menschen und solche mit besonderen Vorerkrankungen bei einer Covid-Infektion ein stark erhöhtes Risiko eines schweren Verlaufs haben. Während staatliche Maßnahmen alle möglichen Bereiche von Handel über Gastronomie bis zu Schulen und Kitas betrafen, waren laut der Studie der Krankenkasse in der ersten und zweiten Welle die Inzidenzwerte bei Heimbewohnern sieben- bis achtmal so hoch wie in der Gesamtbevölkerung. In der Folge starben vor allem zur Jahreswende 2020/21 Zehntausende Menschen in den Heimen in kurzer Zeit.
Die Zustände waren so besorgniserregend, dass die Nachfrage nach Pflegeleistungen deutlich zurückging, wie aus dem Report hervorgeht. Die Sorge um eigene Angehörige habe dazu geführt, zum Teil auf die Nutzung zu verzichten, und zwar sowohl bei der Kurzzeit- als auch bei der vollstationären Pflege, wie Experte Rothgang erläutert. Zudem mussten Einrichtungen ihr Angebot insbesondere aufgrund von Personalmangel zum Teil zurückfahren. Die Zahl der Heimbewohner ging zeitweilig um 40 000 zurück, hat sich aber mittlerweile wieder normalisiert.
Aktuell gibt es, wie aus dem jüngsten Wochenbericht des Robert-Koch-Instituts (RKI) hervorgeht, Corona-Ausbrüche in 248 Alten- und Pflegeheimen; entsprechend der aktuellen Inzidenzentwicklung war das ein deutlicher Rückgang gegenüber den Vorwochen. Über den gesamten Zeitraum der Pandemie wurden dem RKI 18 810 Ausbrüche in Heimen gemeldet. Die Situation ist natürlich nicht mehr vergleichbar: »Durch die Impfungen und das Einhalten der Abstands- und Hygieneregeln konnte das coronabedingte Sterberisiko deutlich gesenkt werden«, sagt Rothgang. Eine Rückkehr zu Kontaktbeschränkungen wie zu Beginn der Pandemie müsse und dürfe es nicht mehr geben, gerade auch wegen der »negativen Effekte auf die psychische Gesundheit der Heimbewohnenden, nicht zuletzt durch Einsamkeitserleben«.
Der Barmer-Vorstandsvorsitzende Christoph Straub mahnt indes mit Blick auf das weitere Herunterfahren der bundesweiten Maßnahmen: »Wir brauchen auch weiterhin ein Corona-Konzept mit Augenmaß vor allem für besonders Schutzbedürftige.« In Pflegeheimen heiße das: Hygiene- und Abstandsregeln, Maskenpflicht für Besucher und in Gemeinschaftsräumen, »konsequent« die Impfungen weiterführen. Auch beim Personal plädiert Rothgang für Freiwilligkeit und Überzeugung statt Zwang. Mit Blick auf die absehbar bundesweit zu Ende gehende Isolationspflicht appellierte er indes, dass zumindest Pflegekräfte, die positiv getestet sind und sich fit fühlen, zu Hause bleiben und dies auch dürfen.
Umso wichtiger ist es daher, dass genügend Pflegekräfte eingestellt sind. Eine richtige Personalbemessung ist letztlich entscheidend, um »die Resilienz der Heime zu erhöhen«, wie Rothgang es ausdrückt. Es sei notwendig, das neue Personalbemessungsverfahren zügig umzusetzen, das im Juli 2023 in Kraft treten soll. »Wir brauchen ein Drittel oder 115 000 mehr Vollzeitstellen«, bisher habe man nicht einmal 20 000 besetzt bekommen.
Zu Beginn der Pandemie hatten sich die Arbeitsbedingungen physisch und emotional verschärft. Da Schutzausrüstungen fehlten und das Personal wegen der körpernahen Arbeit nur eingeschränkt Abstand halten kann, lagen die Arbeitsunfähigkeitsquoten im Pflegeheim laut der Barmer-Studie in den beiden ersten Wellen etwa fünfmal so hoch wie bei den Beschäftigten in sonstigen Wirtschaftszweigen. Inzwischen haben sich die Zahlen zwar angeglichen, aber jede neue Corona-Welle sorgt für hohe Personalausfälle.
Für Krankenkassenchef Straub steht die finanzielle Frage im Vordergrund. Die Ausgaben der Pflegeversicherung für Rettungsschirme, Antigen-Tests und die Corona-Pflegeprämie hätten sich bis zum ersten Quartal 2022 auf mehr als 9 Milliarden Euro belaufen, wovon gut 6 Milliarden nicht erstattet worden seien. Straub appellierte an den Bund, die noch offenen Gelder schnell an die Pflegeversicherung zu zahlen. Denn bei einer Winter-Infektionswelle würden die Belastungen für Pflegebedürftige, Pflegekräfte und die Pflegeversicherung »wieder enorm sein«.
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