• Kultur
  • »The Infinite Conversation«

Maschinengeist der Postmoderne

Was kann uns das endlose KI-Gespräch zwischen Slavoj Žižek und Werner Herzog bedeuten?

  • Julius Twardowsky
  • Lesedauer: 4 Min.

»Das Netz ist dazu da, dass Computer mit Computern verschaltet werden.« So beschrieb einmal der Medientheoretiker und Kulturwissenschaftler Friedrich Kittler das Wesen des Internets. Ob sich darüber hinaus über Maus und Tastatur oder über Touchscreen und Interface auch noch irgendwelche Nutzer*innen einklinken, ist demgegenüber zweitrangig. In erster Linie möchte Computer mit Computer kommunizieren.

Die damit gestiftete Beziehungsweise Rechner zu Rechner, bildet, wie Kittler meint, eine Ätherwelt, die ein geisterhaftes Leben eigener Art entwickelt, das ganz ohne Menschen auskommt. Ein »Leben des Geistes«, nennt der Medienwissenschaftler das mit G. F. W. Hegel, in dem sich die erkennende Natur in einer Selbstbewegung des absoluten Geistes mit sich selbst rückkoppelt. Bekanntlich hatte schon Hegel selbst einige Mühe damit, den Menschen zu dieser Selbstbewegung der Substanz überhaupt noch hinzu zu denken. Ob das Internet durch die Computer-Computer-Verschaltung insofern die nachträgliche Vollendung des Hegelschen Systems darstellt, beschränkt nur durch sich selbst und die eigenen Entwicklungsmöglichkeiten, und ob dieser Traum von Kittler geträumt wird oder von den Maschinen selbst, sei dahingestellt.

Jedenfalls begleitet die Frage nach der Möglichkeit künstlicher Intelligenz (KI) die moderne Informationstechnologie, seit der britische Mathematiker Alan Turing in den 30er Jahren die theoretischen Grundlagen für die Herstellung erster intelligenter Rechenmaschinen schuf. Kittlers apokalyptische Vision einer Welt, in der autonome Maschinensysteme die Menschen als geschichtlich handelnde Akteure ersetzt haben, ist zwar Fiktion, entspricht aber der realen menschlichen Angst, von der eigenen Schöpfung eingeholt zu werden.

Nun ist dem italienischen Künstler und Programmierer Giacomo Miceli kürzlich eine solche Entgrenzung von Mensch und Maschine auf spielerische Weise gelungen: Für die Website infiniteconversation.com hat er zwei KIs programmiert, die in der Rolle des deutschen Regisseurs Werner Herzog und des slowenischen Philosophen Slavoj Žižek ein komplett automatisiertes Gespräch führen. Miceli, der sich für das Projekt der realen Stimmen von Herzog und Žižek bemächtigt hat, lässt die KI immer neue, sich nicht wiederholende Unterhaltungssequenz generieren, die die KI-Inkarnationen sich abwechselnd vorsprechen. So läuft die Konversation der beiden, theoretisch, für die Ewigkeit.

Miceli versteht »The Infinite Conversation« als Illustration dafür, wie schnell audiovisuelle Deepfakes (also realistisch wirkende Medieninhalte, die durch künstliche Intelligenz generiert wurden) in naher Zukunft das Vertrauen in die Medien und die Glaubwürdigkeit von Quellen beeinträchtigen könnten. Die Leichtigkeit, mit der heutzutage reale Stimmen synthetisiert werden können, war noch vor ein paar Jahren in dieser Form nicht denkbar. »Right now, any motivated fool can do this with a laptop in their bedroom« (Jeder motivierte Depp kann das heutzutage mit seinem Laptop im Schlafzimmer machen), schreibt Miceli dazu auf der Website. Auch wenn sich hier noch nicht Kittlers »Nacht der Substanz« der sich entkoppelten Maschinensubjekte abzeichnet, ist »The Infinite Conversation« Teil einer Debatte, die in Reaktion auf die rapiden Fortschritte auf dem Gebiet der KI in den letzten Jahren geführt wird. Dabei geht es nicht nur um Risiken- und Nutzenkalküle; ganz grundsätzlich werden Fragen nach den Grenzbereichen des Menschlichen verhandelt.

Slavoj Žižek, der in seinem produktiven Output wenn überhaupt nur von seinem Bot übertroffen wird, hat sich in der »Zeit« umgehend persönlich zur »Infinite Conversation« geäußert, und gibt sich unbeeindruckt. Neben seinem markentypischen Schniefen, moniert er, mangele es dem Bot an seinen »gelegentlich ›inkorrekten‹ Vulgaritäten«. Den Erfolg der Website schreibt er einer allgemeinen Tendenz postmoderner Begriffs- und Bedeutungswillkür zu, auf deren Grundlage potenziell jede Banalität als durchdachte Tiefsinnigkeit erscheinen kann. Da Žižek mit ein paar Abstrichen durchaus selbst zu eben jenem postmodernen Wissensbetrieb gezählt werden kann, stellt sich die Frage, ob die Abneigung gegen den Bot nicht eher aus der Furcht vor Belanglosigkeit eines längst zum Meme gewordenen Intellektuellen stammt, der zwischen sich und der KI nur noch eine laufende Nase und provozierende »Inkorrektheiten« wähnt.

Man muss Žižek allerdings Recht geben, wenn er sagt, dass die Diskussion über die Gefahren von KI etwas von einer Nebelkerze hat. Die Menschheit steht nicht kurz davor, vor einem Maschinenbewusstsein in die Knie zu gehen. Dennoch stehen wir, wie Žižek schreibt, »bis zu den Ärschen« in der Scheiße. Neben der steigenden Popularität rechter Ideologien ist da selbstverständlich der drohende und kaum noch abzuwendende Klimakollaps. Bedingt ist dies nicht durch die zunehmende Technisierung und Automatisierung, sondern durch die kapitalistische Produktionsweise. Schon Karl Marx hat in der »Deutschen Ideologie« Hegels »Weltgeist« als idealistische Hülle des voll entfesselten Weltmarkts entziffert. Anhängsel ist die Menschheit allenfalls vom kapitalistischen Strukturprinzip. Immer noch gilt es, dieses zu durchbrechen. Diese Aufgabe kann uns nicht von den Maschinen abgenommen werden. Von Giacomo Micelis »The Infinite Conversation« bleibt vor diesem Hintergrund ihr Unterhaltungswert. Dasselbe ließe sich auch über Žižek sagen.

www.infiniteconversation.com

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.