Am Rande des Rechtsstaats

Innenminister von Bund und Ländern planen noch härteres Vorgehen gegen die Letzte Generation

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 5 Min.

Joachim Herrmann lag deutlich vorne. Bei einer Abstimmung der Organisation Jugendliche ohne Grenzen wurde der bayerische Innenressortchef am Freitag zum »Abschiebeminister 2022« gewählt. Der CSU-Politiker setzte sich mit 57,6 Prozent der Stimmen gegen seine Amtskollegen Michael Stübgen aus Brandenburg und den Sachsen Armin Schuster durch. Die beiden CDU-Politiker lagen bei 29,1 beziehungsweise 13,3 Prozent.

Wenig später machte Herrmann deutlich, warum er diesen Negativpreis verdient hat. Er trat als Gastgeber der dreitägigen Innenministerkonferenz in der Landeshauptstadt München vor die Presse und sprach sich für eine »Begrenzung der allgemeinen Zuwanderungszahlen und eine konsequente Rückführung abgelehnter Asylbewerber« aus. Prioritär sollten Menschen behandelt werden, die aus der Ukraine vor dem Krieg flüchteten. Schutzsuchende, die versuchen, über die Balkanroute Deutschland zu erreichen, will der bayerische Innenminister hingegen fernhalten. Sie müssten von anderen europäischen Ländern oder außerhalb von Europa aufgenommen werden, sagte er. Insbesondere die rot-grün-gelbe Koalition im Bund solle diesbezüglich mehr tun.

Die Bundesregierung hat bereits mit einer »Rückführungsoffensive« gedroht. In Deutschland leben mehr als 240 000 Menschen mit einer Duldung. Sie haben kein Asyl erhalten, doch ihre Abschiebung wurde vorübergehend ausgesetzt. Die Bundesregierung will denjenigen, die als »gut integriert« gelten, mit dem neuen »Chancen-Aufenthaltsrecht« helfen. Wer es bisher nicht auf dem deutschen Arbeitsmarkt geschafft hat, bei dem sinken auch die Bleibechancen.

In der Union sind damit viele unzufrieden, obwohl es sich lediglich um eine Selektion von Menschen zugunsten von Unternehmen handelt. Denn die Konservativen vermuten, dass immer mehr Migranten ins Land gelockt werden, die sich Hoffnung auf eine Zukunft in Deutschland machen. »Der Bund setzt die falschen Signale«, sagte dazu der hessische Innenminister Peter Beuth, der ebenfalls an der Pressekonferenz teilnahm. Der CDU-Politiker bezog sich dabei nicht nur auf das sogenannte Chancen-Aufenthaltsrecht, sondern auch auf die von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) geplanten Änderungen beim Einbürgerungsrecht, die es vielen Menschen erleichtern sollen, schneller an einen deutschen Pass zu kommen, wenn sie seit Jahren hier leben.

Einigkeit herrschte unter den Ministern hingegen im Umgang mit Geflüchteten aus dem Iran. Wegen des brutalen Vorgehens des Regimes in Teheran gegen Demonstrierende werden Abschiebungen in das Land zunächst ausgesetzt. Das gilt allerdings nicht für alle Iraner, die sich in Deutschland aufhalten. Ausnahmen gibt es für sogenannte islamistische Gefährder und für Menschen, die schwere Straftaten begangen haben.

Viele Diskussionen bei dem Treffen drehten sich neben der Asylpolitik um die Aktivisten der Letzten Generation. Herrmann verkündete, dass ein Lagebild zu den Aktivitäten der Gruppe erstellt werde. Der Minister warf den Klimaaktivisten Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung und die Gefährdung von Menschen vor. Sein Kollege Beuth sprach sogar von einem »Angriff auf den Luftverkehr«. Die Aktivisten hatten nicht nur Straßen, sondern zeitweise auch den Flughafen Berlin-Brandenburg (BER) blockiert.

Bei der Pressekonferenz wurde gemutmaßt, dass die Letzte Generation eine kriminelle Organisation sei. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius sagte, die Feststellung werde aber nicht von den Innenministern getroffen. »Der Rückschluss, ob es sich um eine kriminelle Vereinigung handelt, das ist eine Entscheidung der Gerichte«, erklärte der SPD-Politiker. Wenn es sich um eine solche Vereinigung handeln würde, könnte sie verboten und aufgelöst werden. Es ist fraglich, ob ein Gericht den Ministern diesen Gefallen tun wird. Denn das wäre ein harter Schlag gegen das Demonstrationsrecht.

Bereits jetzt nehmen die Repressionen zu. Manche Länder setzen auf Präventivhaft gegen die Aktivisten. Nancy Faeser forderte am Freitag eine einheitliche Linie bei der Anwendung und Dauer dieser Haft. In Bayern können in Einzelfällen Personen bis zu 30 Tage weggesperrt werden, weil man davon ausgeht, dass sie eine Straftat begehen können. In den meisten anderen Bundesländern ist die maximale Dauer wesentlich kürzer.

Die Letzte Generation will sich von solchen Maßnahmen nicht einschüchtern lassen. Sie kündigte für die kommenden Wochen und Monate weitere Protestaktionen an. »Wir lassen uns nicht abbringen«, sagte Sprecherin Carla Hinrichs. Der Protest werde friedlich sein, »aber er wird intensiver werden«.

Die Innenminister haben das Treffen in München auch genutzt, um für die Vorratsdatenspeicherung zu trommeln. Der Europäische Gerichtshof hat zwar im September dieses Instrument in der Bundesrepublik für rechtswidrig erklärt, aber Ausnahmen zugelassen. So ist nach dem Urteil die anlasslose Speicherung nur von IP-Adressen für Ermittlungen gegen schwere Kriminalität möglich.

Die Grünen und FDP-Justizminister Marco Buschmann präferieren hingegen ein »Quick Freeze«-Verfahren. Dieses sieht vor, dass bei schweren Straftaten wie Mord, Erpressung oder sexualisierter Gewalt gegen Kinder Daten »eingefroren« werden. Die Telekommunikationsanbieter würden verpflichtet, bei einem Anfangsverdacht Daten zu einzelnen Nutzern zu speichern. Das soll für einen bestimmten Zeitraum möglich sein. Wenn sich der Verdacht erhärtet, dürften die Daten verwendet werden. Die Ermittlungsbehörden hätten dann neben der IP-Adresse auch Verbindungs- und Standortdaten. Faeser reicht das nicht. Das vom Justizminister vorgeschlagene Verfahren sei »kein Ersatz für die Speicherung der IP-Kennungen«, sagte die SPD-Politikerin. Sie versprach ihren Kollegen in München, bei diesem Thema weiter Druck auf Buschmann auszuüben.

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