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Lettland verbietet russischen Exilsender
Kreml-kritischer Kanal Doschd wird wegen »Gefahr für die nationale Sicherheit« abgeschaltet
Der russischsprachige Fernsehsender Doschd ist erneut in Bedrängnis. Die lettische Medienaufsichtsbehörde entzog dem TV-Kanal am 6. Dezember die Sendelizenz, wegen »Gefährdung der nationalen Sicherheit und der öffentlichen Ordnung«. Für die Journalisten ist das kein neuer Vorwurf.
Über lange Jahre war Doschd im russischen Fernsehen eine einsame Bastion für Meinungen abseits der Linie des Kreml. Der Sender vertrat Sichtweisen, die anderswo schon lange keine Sendezeit mehr erhielten. Die Mächtigen hatten zuvor alle übrigen TV-Sender auf zahmen Kurs gebracht. Auch Doschd geriet immer mehr unter staatlichen Druck. Das Programm wurde 2014 aus dem Angebot russischer Kabelanbieter verbannt, Studioräume und Akkreditierungen wurden sabotiert. Im März 2022 wurde TV Rain, wie sich der Sender international nennt, aufgrund des berüchtigten Gesetzes über die »Diskreditierung der russischen Armee« von der Generalstaatsanwaltschaft verboten. Wie viele andere unbequeme Medien wurden die Macher als Kriegsgegner Opfer einer neuen Militärzensur.
Zahlreiche Journalisten des Senders flüchteten vor einer drohenden Verhaftung ins Ausland und bauten im lettischen Riga ein neues Hauptquartier auf. Ab Juni gab es von dort einen Sendebetrieb, für den deutsch-französischen Kulturkanal Arte produzierte das Doschd-Team eine auf Youtube viral verbreitete deutschsprachige Clipreihe namens »Track East«. Diese beschäftigte sich fachkundig mit den Tricks russischer Staatspropaganda. Wenn sich Doschd nun an einem Ort weitgehend unbeschränkter Meinungsfreiheit wähnte, so wurden seine Macher schon wenige Monate später eines Besseren belehrt. Zwar bedienen sich viele EU-Medien der Kompetenz früherer Doschd-Mitarbeiter – so schreibt Ex-Chefredakteur Michail Sygar inzwischen als Kolumnist für den »Spiegel«. Was aber die Russen bei Doschd in Riga selbst produzierten, wurde von den Gastgebern argwöhnisch beäugt.
Am 1. Dezember geschah im Programm ein Fehler, der schwere Folgen hatte. In der Sendung »Hier und Jetzt« forderte Moderator Alexej Korostoljow die Zuschauer auf, den Kanal über die in Russland stattfindende Mobilmachung zu informieren. Der Sender könne viele solche Informationen an der russischen Zensur vorbei veröffentlichen. In diesem Zusammenhang sprach Korosteljow die verhängnisvollen Worte, dass man den rekrutierten »Soldatinnen und Soldaten helfen« könne, etwa »mit Ausrüstung und dem Nötigsten an der Front«. Diese humanitär gemeinte Hilfe für zwangsrekrutierte Russen brachte ukrainische und lettische Blogger sofort auf die Barrikaden, sie witterten Verrat. In einer Schmutzkampagne suchten sie nach alten Posts von Chefredakteur Tichon Dsjadko, in denen er satirisch die Halbinsel Krim nach einer brutalen Razzia als Teil Russlands begrüßte, und dichteten dem Sender wegen eines Studiobesuchs von Ex-Präsident Dmitri Medwedew Staatsnähe an.
Die lettischen Behörden wurden umgehend aktiv. Verteidigungsminister Artis Pabriks forderte Doschd auf Twitter sogar auf, nach Russland zurückzukehren – wissend, dass kein Teammitglied das ohne Verhaftung kann. Er sprach von einem laufenden Verfahren zur Ausweisung der Mitarbeiter und von einer letzten Verwarnung für Doschd. Der Sender versuchte, die Wogen zu glätten. Chefredakteur Dsjadko entschuldigte sich für Korosteljows Aussage und stellte klar, dass es nicht um Unterstützung der russischen Armee gegangen sei. Doschd wurde ja wegen seiner Kriegsgegnerschaft aus Russland verbannt. Zudem verkündete Dsjadko die Entlassung des Moderators. Korosteljow ging nicht dagegen vor, um die lettische Lizenz des Senders zu retten.
Der Haussegen bei Doschd hängt seitdem schief. Vier prominente Mitarbeiter haben aus Solidarität mit Korosteljow gekündigt. Gerade wegen der Tradition des Kanals wollten sie sich nicht damit abfinden, dass sich die eigene Führung staatlichem Druck – nun der lettischen Regierung – beugte, nachdem man den Repressionen des Kreml viele Jahre widerstanden hatte. Die bisherige TV-Moderatorin Margarita Ljutowa brachte es gegenüber der Online-Zeitung Meduza auf den Punkt: »Für mich ging es bei Doschd immer um Humanismus, Offenheit und Ehrlichkeit.« Diesen Prinzipien widerspreche die Entlassung des Kollegen. Ein gefundenes Fressen war der Vorgang für die russische Staatspropaganda. Deren zentrale Story ist es, dass es im Westen mit der Pressefreiheit nicht weiter gediehen sei als im Reich des Kreml. »Verräter werden nirgendwo geliebt«, beschimpfte die Sprecherin des Außenministeriums, Maria Sacharowa, die Doschd-Journalisten im Zusammenhang mit den Problemen in Lettland auf Telegram.
Am 6. Dezember kam dann dennoch das Aus: Doschd wurde vom nationalen Medienrat Lettlands die Lizenz entzogen, zudem soll die Ausstrahlung auf Youtube in der baltischen Republik blockiert werden. Nach Aussage der Generaldirektorin Natalja Sindrejewa verliert der Sender dadurch 20 Prozent seiner Einnahmen. Es ist ein schwerer Schlag für die Aktivisten. Die Ausstrahlung aus Lettland bot dem Sender wegen der nahen Grenze die Möglichkeit, nach Russland hineinzuwirken. Ein Vertreter des lettischen Medienrats gab zudem bekannt, dass der Sender noch eine Geldstrafe von 10 000 Euro erhalte, da er den Eindruck erweckt habe, dass die Krim ein Teil Russlands sei. Auch die Tatsache, dass Doschd nicht wie gefordert sein Programm auf Lettisch untertitelte, wurde bestraft.
Die lettische Regierung duldet offenbar bei den ins Land geflüchteten russischen Journalisten nur Inhalte, die der eigenen Auffassung entsprechen. Das wirft ein bedenkliches Bild auf die Pressefreiheit im Baltikum. Denn Berichte, die der offiziellen Regierungslinie folgen, kann man in der Tat auch in Moskau gefahrlos produzieren. Erst am Umgang mit Andersdenkenden merkt man, inwieweit Berichterstattung wirklich frei ist. Es ist der erste Fall, in dem russische Oppositionelle von einer westlichen Regierung mundtot gemacht werden. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow frohlockte, der Fall zeige, wie illusorisch die Annahme sei, im Westen gebe es Freiheit.
Russische Journalisten und Menschenrechtler reagierten schockiert auf das Vorgehen Rigas. Die lettischen Behörden hätten in ihrer antiputinschen Rhetorik nicht erkannt, wie ähnlich sie dem Feind mittlerweile geworden seien, schrieb der Journalist Andrej Okun auf Telegram. Auch Wladimir Osetschkin von der NGO »Gulagu njet« verglich das Verbot mit der Situation in Russland.
Doschd selbst gab sich am Dienstag kämpferisch. Im Interview mit der Wirtschaftszeitung »RBK« sagte Sindrejewa, der Sender werde weiterarbeiten und in einem anderen Land eine neue Sendelizenz bekommen. Außerdem will der Sender die Entscheidung vor Gericht anfechten.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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