Total diverser Germanenmythos

Die Serien »Barbaren« und »Rome« ergänzen sich gut im Kanon der Heldenepen

  • Tom Wohlfarth
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Serienmacher haben darauf geachtet, den volksseligen Germanenmythos durch möglichst viel Diversity zu flankieren.
Die Serienmacher haben darauf geachtet, den volksseligen Germanenmythos durch möglichst viel Diversity zu flankieren.

Wenn heutzutage die einflussreichen angelsächsischen Fernsehserien des frühen 21. Jahrhunderts von »West Wing« bis »Breaking Bad«und »House of Cards« aufgezählt werden, wird meist eine besondere Perle vergessen. Dabei markiert sie den Übergang des einstigen Platzhirschs der analogen Bezahlsender, HBO, von seinem frühen Aushängeschild »The Sopranos« zum globalen Ereignis »Game of Thrones«. Die Rede ist von der ersten Co-Produktion zwischen dem US-Sender und der britischen BBC der historischen Serie »Rome« (2005) über den Umbruch des antiken Rom von der Republik zum Kaiserreich kurz vor Beginn unserer Zeitrechnung.

Von den beiden Sendern mit der bis heute rekordverdächtigen Summe von 110 Millionen US-Dollar für die ersten zwölf Folgen ausgestattet wurde die ursprünglich auf fünf Staffeln angelegte Serie, sicher auch wegen der riesigen Produktionskosten, nach nur zwei Staffeln eingestellt – eine Entscheidung, die die Produzenten später aber bereuten, denn »Rome« hatte hervorragende Kritiken wie Quoten.

Doch zum Glück gibt es immer mal wieder Gelegenheit, sich an diesen Meilenstein der Fernsehunterhaltung zu erinnern. Derzeit etwa anlässlich der Netflix-Serie »Barbaren«, deren zweite Staffel kürzlich erschienen ist. Die deutsche Produktion erzählt vom Widerstand germanischer Stämme gegen die Besatzungsmacht des römischen Imperiums in den letzten Jahren eben jenes Kaisers Augustus, der in »Rome« dieses Imperium geschaffen hatte.

Die erste Staffel von »Barbaren« (sechs Folgen, 2020) war mit der sogenannten Varus- oder »Hermannschlacht« einem der spektakulärsten und entsprechend mythisch aufgeladenen Ereignisse der »deutschen« Geschichte gewidmet. Im Jahr 9 n. Chr. brachte ein Germanenbündnis unter Führung des Arminius (»Hermann der Cherusker«) der römischen Armee unter Publius Quinctilius Varus eine ihrer verheerendsten Niederlagen ein.

Die Serie muss den historischen Ereignissen nicht viel hinzufügen, um sie Netflix-tauglich zu machen. So war auch der echte Arminius als Sohn des mit den Römern verbündeten Cheruskerfürsten Segimer ein Ritter der römischen Armee und als solcher mit Varus bekannt, womöglich wuchs er sogar in Rom auf. In der Serie hieß er einst Ari und wurde im Kindesalter als römische »Friedensgeisel« zu Varus’ Adoptivsohn, der just zu der Zeit in seine Heimat zurückkehrt, als dort wegen steigender Tributforderungen der Unmut unter den Germanenstämmen wächst und Aris’ Kindheitsfreunde Folkwin und Thusnelda beschließen, zur Stärkung des Widerstandsgeistes den römischen Truppen ihren Legionsadler zu klauen.

Mit eben einem solchen Standartenraub in der Nachbarprovinz Gallien begann auch die erste Staffel von »Rome«. Der entscheidende dramaturgische Kniff der Römer-Serie bestand allerdings darin, dass der Untergang der Republik konsequent aus der Perspektive zweier einfacher römischer Soldaten geschildert wurde. Im zentralen Liebesdreieck bei »Barbaren« hingegen gerät zwischen dem meuterischen Ritter Ari und der Fürstentochter Thusnelda ausgerechnet der einfache Soldat Folkwin sowohl romantisch wie erzählerisch zunehmend ins Hintertreffen.

Das Ergebnis ist ein technisch versierter Abklatsch der inzwischen sattsam bekannten Zutaten, der seinen Vorbildern von »Rome« bis »Vikings« zum synthetischen Orchesterkleister im Stile von ZDF-History hinterherhechelt. Sittenbildlich fragwürdig ist es, wenn zwar jede Form von Brutalität bis in die routiniert blutrünstigen Details ausgeschlachtet wird – inklusive nach dem Kampf verspeiste »Römerklöten« –, der Anblick von funktionsfähigen Geschlechtsteilen aber in den genregemäß zahlreichen Sexszenen schamvoll verborgen bleibt, ein Nippelblitzer hier und da muss genügen.

Andere Serien überzeugen seit »Rome« durch einen ausgewogeneren Naturalismus von Sex und Gewalt. Besetzungsmäßig wird das Ganze nicht besser dadurch, dass die germanische Blut-und-Boden-Befreiung ausgerechnet durch einen dunkelhaarigen Österreicher geschieht. Wobei der Wiener Laurence Rupp als Ari/Arminius – wie die meisten anderen Darsteller, vor allem die Latein sprechenden, meist italienischen Römer-Mimen – seine Sache ganz ordentlich macht.

Wem die erste Staffel nicht gereicht hat, kann nun also auch die Fortsetzung verfolgen. Ein Jahr nach der Varusschlacht gehen die Scharmützel in Germanien weiter und Ari will sich zur Vereinigung der Stämme zu deren »Kuning« küren lassen. Die Serienmacher haben diesmal darauf geachtet, den volksseligen Germanenmythos durch möglichst viel Diversity zu flankieren. So gibt es nun etwa ein schwules Liebespaar (das sich aber keinesfalls auf den Mund küssen darf), eine sich dem Befreiungskampf anschließende schwarze Karthagerin sowie eine Extraportion Patchwork-Family-Vibes.

Doch ist das oftmals so läppisch anbiedernd erzählt und verkommt bisweilen zur Seifenoper, dass man sich fast das Großspurige der ersten Staffel zurückwünscht. Das bekommt man dann auch, wenn am Ende schließlich der totale Krieg beschworen wird – natürlich nur zur Verteidigung.

»Barbaren« unternimmt den heute unversehens auch für Mitteleuropäer wieder relevant erscheinenden Versuch, eine zeitgemäße Erzählung vom Widerstand gegen imperiale Besatzung zu bieten, erliegt aber letztlich zu sehr seinem Held*innenpathos. Zum Glück bietet das Netflix-Programm auch Anschauungsmaterial dafür, dass moderne Kriege in der Regel keine Gewinner kennen, so die Weltkriegsdesillusion »Im Westen nichts Neues« oder die Dystopie künftiger deutscher Stammeskriege in »Tribes of Europa«.

»Barbaren« verfügbar auf Netflix
»Rome« verfügbar auf Sky

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