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Verbeugung vor dem Manuskript
Im Deutschen Theater in Berlin wurde Elfriede Jelineks »Angabe der Person« uraufgeführt
Das steuerliche Ermittlungsverfahren gegen Elfriede Jelinek ist inzwischen eingestellt – doch war diese Erfahrung Anlass für die Nobelpreisträgerin, zurück auf ihr Leben zu blicken. Sechs Verfahrensjahre haben sie geprägt und in die Tiefen des Steuerrechts gezwungen. Sechs Jahre hat es gebraucht, um das Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und Österreich gerichtsfest auszulegen und das Besteuerungsrecht für Jelineks Welteinkommen zu klären.
Erstmals seit 15 Jahren erschien im November ein Text von Elfriede Jelinek in gedruckter Form. In der Zwischenzeit war die Autorin vor allem mit Theatertexten auf der Bühne präsent und griff brisante Themen auf. Waren es in der Vergangenheit bekannte Dramenfiguren und andere Frauengestalten, steht die Autorin diesmal selbst im Rampenlicht. Herausgekommen ist ein typischer Jelinek-Text, eine Wortlawine – die Sprache wurde, mal wieder, von der Leine gelassen. Es ist ein Assoziationsgewitter, eine wortgewaltige Collage, ein Ritt durch die Vergangenheit und Gegenwart. Sehr privat erzählt Jelinek von ihren jüdischen Vorfahren, von ihrer unerbittlich ehrgeizigen Mutter und (weiteren) Schicksalsschlägen.
Als Münchner Finanzfahnder die Wohnung der zurückgezogen lebenden Schriftstellerin früh am Morgen stürmten, wurde sie wie eine Kapitalverbrecherin behandelt. Auf die Stürmung folgte die Durchsuchung. Es wurden Festplatten mit intimen Emails kopiert. Ohnmächtig konnte die Steuerpflichtige den Finanzern nur zusehen, wie die Spürhunde der Staatsgewalt stöberten, wühlten und schnüffelten. Diese Ohnmacht hat Wut erzeugt. Wut die sich bei Jelinek nicht nur gegen die Finanzbüttel richtet, sondern immer auch gegen die große Ungerechtigkeit auf dieser Welt. Ihr Zorn richtet sich gegen Steuerschlupflöcher und die Eigendynamik des vagabundierenden Finanzkapitals. Durch den eigenen Steuerfall wurde der Steuerflüchtling Boris Becker zum Reibungspunkt. Becker hatte bekanntlich jahrelang Monaco als seinen Hauptwohnsitz angegeben, obwohl er eigentlich in München lebte – und dadurch rund 1,7 Millionen Euro Steuern hinterzogen.
Aber nicht nur Steuern und ihre bürokratischen Wucherungen sind Themen des Stücks. Auch die Cum-Ex- und Wirecard-Skandale, die Judenverfolgung, Altnazis, der Umgang mit Corona, Flucht und die grausame Beiläufigkeit von männlicher Gewalt gegen Frauen werden bearbeitet.
Jelinek und der Regisseur Jossi Wieler kennen sich schon lange. Bereits 1994 hat der heute 71-Jährige das Stück »Wolken.Heim« am Schauspielhaus Hamburg uraufgeführt. In der Theaterwelt gilt Wieler als subtiler Ermöglicher von Echokammern für die Sprachkompositionen Jelineks. Für die Uraufführung in Berlin hat er die Vorlage auf die Hälfte eingekürzt. Doch man merkt es dem Text nicht an. Es ist, als hätten alle Themen der Vorlage ausreichend Platz bekommen.
Für die Schauspieler teilt Wieler den Text in drei Monologe und ein chorisches Finale. Im von Anja Rabes gestalteten schwarzen Bühnenrund steht ein schräges Wohnskelett, eine Wand mit Tür und Fenster, eine Kloschüssel mit noblem Porzellanmuster. Drei weggeworfene Puppen liegen davor, erinnern an vergangene Kindertage und verstorbene Verwandte. Neben der Spielfläche steht ein kleiner Tisch. Umrankt von Tonbändern starrt dort ein Mensch mit Kopfhörern in einen Laptop. Unter der Spielfläche leuchtet eine Zahlenkolonne in rot, manchmal steht sie, manchmal läuft sie. Mit blonder Perücke, schwarzer Hose, weißer Bluse und Westover, also im Jelinek-Look, laufen die drei Darstellerinnen hektisch herum. Klavierlaute erklingen, und Linn Reusse rennt an die Rampe. Sie knallt einen Aktenordner auf den Boden und stürzt sich in »Lebenslaufbahn«, Datenaustausch, Belegbetrug und das Rauschen der Wasserspülung (Boris Becker wurde durch die Anzahl betätigter Toilettenspülungen in München überführt). Jede Schauspielerin hat für ihren Soloauftritt, für ihre halbe Stunde, etwas Schönes gebaut, serviert Geschichten, Wortwitze und Pointen. Das Saallicht bleibt an und steigert die Kraftanstrengung der einsamen Monologe. Es ist ein Bild für das Anlaufen, das Stemmen gegen den Strom der Zeit, gegen die Verhältnisse und gegen das Publikum. Fritzi Haberlandt gibt die fröhlich freche Marktschreierin, um gleich wieder in Stummfilm-Posen zu erfrieren, bevor sie beherzt auf den zynisch grotesken Textwellen weiterreitet. Am besten gelingt die Rampenshow der wandlungsfähigen Susanne Wolf. Sie setzt sich ans Klavier und dringt mit der finsteren Schilderung einer Verhandlung über eine Vergewaltigung in die Zuschauer. Im Finale kommen die drei Jelineks an der Rampe wieder zusammen. Nach der gemeinsamen Kippe auf dem Klo lassen sie ihre Beine am Bühnenportal baumeln, bevor sie chorisch beschleunigt durch das Textgewitter jagen. Mal zwei gegen einen, dann wieder alle drei zusammen. Am Schluss übernehmen Frauenstimmen aus dem Off den Text, dann ist Ruhe. Nach zweieinhalb Stunden schaltet der Mann am Laptop die Tonbandüberwachung aus. Das wachsame Auge (Bernd Moss) – eine Replik auf den kürzlich verstorbenen Ehemann Jelineks, Gottfried Hüngsberg – steht auf, schlurft herum und liest stockend die letzte Seite des Bühnenmanuskripts, dann geht das Licht aus.
Die Inszenierung von Wieler bleibt höflich im Hintergrund, verzichtet auf zusätzliche Resonanzfelder. Das Streifen durch die assoziative Jelinek-Welt ist unterhaltsam, aber es setzt der literarischen Vorlage nicht viel entgegen. Ohne szenische Dialoge, ergänzende Bilder sind die Wortsalven teilweise auf sich allein gestellt und können die Aufmerksamkeit des Publikums nicht dauerhaft halten. Beim Premierenapplaus legen Wieler und seine Bühnenbildnerin das Textbuch auf die Bühne und applaudieren. Es ist eine Verbeugung vor der öffentlichkeitsscheuen Autorin, die über sich schreibt: »Ich lasse nichts aus, ich bin eine Art Windel für die Welt.«
Nächste Vorstellungen: 22.12., 29.12., 02. 1. und 25. 1, 19:30 Uhr, Deutsches Theater Berlin
Elfriede Jelinek: Angabe der Person. Rowohlt, 189 S., geb., 24 €
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