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- »Nosferatu«-Ausstellung
Die Mär vom bösen Fremden
Eine Berliner Ausstellung erinnert an Friedrich Wilhelm Murnaus Vampirfilm »Nosferatu« – und zieht propagandistische Parallelen
Glückliche Zeiten sollten es gewesen sein, in denen sich die Menschen vor Vampiren mehr gefürchtet haben als vor Nebenkostenabrechnungen. Doch erlaubt es die Kulturgeschichte, uns den Vermieter als Vampir vorzustellen. Denn zwar nicht in Bram Stokers Roman »Dracula« (1897), aber doch in dessen berühmtester Verfilmung, Friedrich Wilhelm Murnaus »Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens« (1922), steht am Beginn der zwielichtige Häusermakler Knock (Alexander Granach).
Knock schickt seinen blauäugigen Assistenten Hutter (Gustav von Wangenheim) nach Transsylvanien zu Graf Orlok, nämlich Nosferatu (Max Schreck). Nosferatu, das sei zugegeben, ist nicht im Immobiliengeschäft, aber weniger schrecklich als er ist Makler Knock nicht, über den »vielerlei Gerüchte« umgehen. Knock liest des Unholds in okkulten Symbolen verfassten Brief ebensogut wie seine Bilanzen und frisst am Ende Fliegen wie ein Teufel in Not.
Für die auf unheimliche Kunst spezialisierte Sammlung Scharf-Gerstenberg gibt es Gründe genug, sich diesem Film ausführlich zu widmen, leider nicht nur gute. Im Vorwort zum Katalog ihrer »Nosferatu«-Ausstellung schreiben Klaus Biesenbach, Direktor der Neuen Nationalgalerie, und Kyllikki Zacharias, Leiterin der Sammlung, es habe niemand ahnen können, »wie aktuell dieses Thema durch den Ausbruch der Corona-Pandemie und den russischen Angriff auf die Ukraine zum Zeitpunkt der Ausstellungseröffnung sein würde«.
Die erste Hälfte von Biesenbachs und Zacharias’ Satz erschließt sich: Nosferatu reist mit Särgen voll pestverseuchter Erde an. Von ihr, vielmehr von den Ratten, die aus den Särgen springen, angesteckt, stirbt erst eine Schiffsbesatzung, und die Pest (sprich Corona) bricht dann in dem beschaulichen Städtchen Wisborg (also unserer Bundesrepublik) aus. Aber was der Ukraine-Krieg mit Nosferatu zu tun hat, müssen wir uns hinzudenken. Siegfried Kracauer nennt in seinem Buch »Von Caligari zu Hitler« (1947) Nosferatu eine »blutrünstige, aussaugerische Tyrannenfigur«, der die Deutschen in »Hassliebe« verbunden seien. Kurz, Nosferatu soll Hitler sein, folglich ist er nun Putin; laut der aktuellen Propaganda nimmt uns der Moskauer Fürst der Finsternis Gas statt Blut.
Gesetzt, Corona und Putin wären die Blutsauger von heute, wer wäre dann ihr Prof. Van Helsing? Biesenbach und Zacharias verraten, die Pandemie habe ihnen »die einmalige Chance« geboten, »Christian Drosten, dem unermüdlichen Verfechter der medizinischen Aufklärung, zu folgen. Vor 100 Jahren hätte er auch Nosferatu in die Knie gezwungen. Ihm sei dieser Katalog gewidmet.«
Wären die Ausstellung oder auch nur der Rest des Prof. Van-Helsing-Drosten gewidmeten Katalogs vom Geist dieses Vorworts, das sich zwischen Albernheit und Demagogie nicht recht entscheiden kann, es müsste zum Schutz der Intelligenz ein Cordon sanitaire ums Museum gezogen werden. Das ist zwar nicht der Fall, aber mit dem Vorwort endet die Peinlichkeit noch nicht. Denn ein satanischer Makler, der eine pseudo-kabbalistische Schrift liest, ein Untoter mit Hakennase und Fledermauszähnen, der nach dem Blut eines unschuldigen Mädchens giert, ausschwärmende Ratten … – in einem Land, in dem es mehr Antisemitismus-Sachverständige als Juden gibt, muss nicht erläutert werden, wie man all das deuten könnte. Ausstellung und Katalog ersparen sich das Thema, und das mag nach der Schlammschlacht um die Documenta ganz erfrischend sein, aber seltsam ist es doch.
Seltsamer wird die Sache noch dadurch, dass Jürgen Müller, der mit Frank Schmidt und Zacharias die Schau kuratiert hat, sich schon vor gut 20 Jahren über den Antisemitismus von »Nosferatu« ausließ. Doch nun, schreibt er, wolle er die »bereits gewonnenen Erkenntnisse« nicht wiederholen, sondern lieber der »Bildpoetik besondere Aufmerksamkeit« schenken. Propagandistische Parallelen zu Corona und zum Ukraine-Krieg sind erlaubt, ansonsten soll alles Üble in den trüben Teich der Bildpoetik versenkt werden. Tauchen wir in ihn ein.
Murnau hatte ein Talent, auch für dünne Geschichten (»Sunrise«, 1927) starke Bilder zu finden. Bei »Nosferatu« verdankte er viel seinem Art Director Albin Grau, der sich wiederum an Alfred Kubins morbiden Zeichnungen orientierte. Kubin, Max Klinger, Edvard Munch, Odilon Redon gehören zum festen Bestand der Sammlung Scharf-Gerstenberg, einer der besten der Stadt. Dank der Albtraumvisionen dieser Künstler verstärkt die Ausstellung den Effekt von Murnaus Schauermärchen, aber sie setzt der Erzählung auch etwas entgegen, etwa mit den Bildern von James Ensor, auf denen, wie Walter Benjamin schrieb, »ein Spuk die Straßen großer Städte erfüllt: karnevalistisch vermummte Spießbürger«; statt der Gefahr von außen meint Ensor die von innen. Obwohl ein Gemälde von Franz Sedlacek deutlich ins Surrealistische ausgreift, finden die Kuratoren für ihre Behauptung, »Nosferatu« sei der Film der Surrealisten eher literarische als bildliche Belege. Zeitgenössische Positionen bleiben unterbelichtet; Tracey Moffatt immerhin kann sich gegen die Meister des Fin-de-siècle behaupten.
Sehr gut gliedert die Ausstellung den Film in einzelne Motive – »Unheimliche Reise«, »Das Tor«, »Morgen-Grauen« … –, jede im Halbdunkel gehaltene Abteilung ist mit einem Fransenvorhang abgetrennt, auf den ein Film-Bild projiziert wird. Die Besucherinnen und Besucher gehen also durch die Bilder hindurch. Und am Ende ist es weniger der Horror, der an einem nagt und leckt als der Ekel. Für die Mär vom bösen Fremden stehen eher Nosferatus polypenartige Finger und allerhand schleimiges und bizarres Getier ein als der bucklige Vampir selbst, von dem wir eh wissen, dass er verschwindet, sobald die Sonne auf- oder die Kinosaalbeleuchtung angeht.
»Phantome der Nacht. 100 Jahre Nosferatu«, bis zum 23. April, Sammlung Scharf-Gerstenberg, Berlin
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