Vorlesung statt Praxisübung

Die Alice-Salomon-Hochschule fürchtet Kürzungen durch die Hintertür

Ausbildungsstätte für viele Sozialarbeiter: Die Alice-Salomon-Hochschule in Hellersdorf
Ausbildungsstätte für viele Sozialarbeiter: Die Alice-Salomon-Hochschule in Hellersdorf

Seltene Einigkeit: 59 der 68 Professoren der Alice-Salomon-Hochschule (ASH) in Hellersdorf wenden sich in einem offenen Brief gegen einen Plan der Senatswissenschaftsverwaltung, die Betreuungsverhältnisse in den Sozialarbeits-, Kindheitspädagogik- und Gesundheitsstudiengängen deutlich herunterzuschrauben. Demnach sollen die sogenannten Curricular-Normwerte angepasst werden, die regeln, wie viele Professoren auf wie viele Studierende in einem Studiengang kommen. Mit der Neuberechnung müssten die Studiengänge mit gleichem Personal mehr Studierende betreuen, befürchten die Professoren. Sie warnen vor Qualitätsverlusten, die »etablierte und akkreditierte Studiengänge in ihrer Funktionsfähigkeit zu gefährden« drohen, wie es in dem offenen Brief heißt. Für die ASH-Professoren ist die Neuberechnung eine kaum versteckte Kürzung: »Wir verstehen es als Versuch, in den Studiengängen Präsenz- und Kontaktanteile einzusparen.«

Üblicherweise sind die Curricular-Normwerte Teil der Verhandlungen zu den Hochschulverträgen. Die stehen jedoch erst im kommenden Jahr an. Die Wissenschaftsverwaltung habe sich trotzdem bereits im Herbst an die ASH gewandt, berichtet Barbara Schäuble, die in Hellersdorf Soziale Arbeit lehrt. Die Verwaltung spreche von einer Regelprüfung. »Wir erleben das anders«, sagt Schäuble. Die Wissenschaftsverwaltung habe schnell Korrekturbedarf ausfindig gemacht. »Uns werden Rechenmodelle vorgelegt, die in didaktische Fragen eingreifen.« Die verwendeten Berechnungsgrundlagen liefen zwangsweise auf eine Kürzung hinaus.

Konkret würde die geplante Anpassung der Curricular-Normwerte bedeuten, dass kleinere Lehrveranstaltungen wie Seminare oder Werkstätten, in denen Studierende ihre Erfahrungen austauschen können, zugunsten von großen Vorlesungen gestrichen werden müssten. Praxisübungen sowie das Proben von Routinen und Situationen müssten so eingeschränkt werden. »Der Interaktionscharakter des Studiums würde deutlich sinken«, sagt Schäuble. 

Die Konsequenzen für die Studierenden: Viele Inhalte, die ihnen später im Beruf konkret begegnen, könnten nur noch abstrakt vermittelt werden. Im schlimmsten Fall könnte der Studiengang gar die Akkreditierung verlieren, befürchtet Schäuble.

Auch Tobias Schulze, der wissenschaftspolitische Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, blickt mit Sorge auf die Anpassung. »Wer die Lehrbelastung auf weniger Schultern verteilen will, der gefährdet sowohl die Qualität der Lehre als auch die Arbeitsbedingungen an unseren Hochschulen«, sagt er. Mit der Aufwertung der Fachhochschulen seien die Aufgaben für die dort Lehrenden bereits deutlich gewachsen. »Eigentlich wäre eher eine Senkung als eine Steigerung der Lehrbelastung angezeigt«, sagt er.

Barbara Schäuble warnt zudem vor den Auswirkungen, die ein Qualitätsverlust im Studium für die Sozialarbeit in Berlin haben könnte: »Letztlich ist die Frage, ob wir es uns als Stadt leisten können, das Ausbildungsniveau zu senken.« Eine praxisorientierte Ausbildung verhindere, dass Sozialarbeiter gegenüber ihren Klienten autoritär auftreten. Zudem seien sie an ihren Arbeitsstellen häufig die einzigen Festangestellten, während das restliche Team aus Ehrenamtlichen bestehe. »Wenn jetzt ausgerechnet die Leute, die den Überblick behalten sollen, auch noch schlecht ausgebildet werden, dann ist das ein großes Problem«, sagt Schäuble. Darunter leide auch die Attraktivität des Berufsbildes – obwohl in dem Bereich großer Fachkräftemangel herrsche.

Die Wissenschaftsverwaltung wiegelt unterdessen ab, bei der Prüfung handele sich um einen normalen Vorgang. Auch Schäuble sieht hinter dem Prozess eher verwaltungstechnische Überlegungen als politisches Kalkül. Der Verwaltungsakt könnte aber ungeahnte Folgen haben, befürchtet sie. Wissenschaftssenatorin Ulrike Gote (Grüne) habe der Hochschule aber zugesagt, dass der ASH keine Entscheidungen aufgedrückt werden, sondern es einen Dialog über die Curricular-Normwerte geben soll. 

Wie und wann dieser Dialog stattfinden wird? Unklar. Barbara Schäuble weiß auch nicht, wo ein Dialog eigentlich ansetzen sollte: »Die Lehrformate sind eigentlich jetzt schon zu groß. Wie soll man sich da in der Mitte treffen?«

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