Offene Grenzen und scharfe Kontrollen

Kroatien führt im Januar den Euro ein und tritt dem Schengenraum bei. Gleichzeitig versuchen die Behörden alles, die Balkanroute für Flüchtlinge unpassierbar zu machen

  • René Heilig
  • Lesedauer: 5 Min.

Letzter Schritt geschafft! Beschluss des Rates angenommen – es ist nun offiziell bestätigt, dass Kroatien ab dem 1. Januar 2023 dem Schengenraum beitritt», twitterte die Ständige Vertretung Kroatiens bei der Europäischen Union am Nachmittag des 8. Dezember 2022.

Nach Angaben der kroatischen Grenzpolizei sollen die Schlagbäume pünktlich zum Jahreswechsel geöffnet werden. Um die Symbolwirkung zu erhöhen, wird EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Neujahrstag zum slowenisch-kroatischen Grenzübergang Obrezje-Bregana reisen. Auch der Fährverkehr von und nach Italien wird erleichtert. Insgesamt beendet Kroatien die Kontrollen an 73 Übergängen in Richtung EU sowie an zwölf weiteren an seinen Seegrenzen. An den Flughäfen muss man sich noch etwas gedulden, dort fallen die Passkontrollen erst ab dem 26. März weg.

Das Schengener Abkommen garantiert seit 1995 die Reisefreiheit in großen Teilen Europas. Benannt ist es nach dem Ort Schengen in Luxemburg. Der liegt im Dreiländereck zu Deutschland und Frankreich. Dort begannen die drei Staaten 1985 gemeinsam mit Belgien und den Niederlanden mit dem schrittweisen Abbau der Grenzkontrollen. Zehn Jahre später trat das Schengen-Abkommen in Kraft. Inzwischen gehören der visumfreien Zone 26 europäische Länder an. Darunter sind 22 EU-Länder und die Partnerstaaten Schweiz, Norwegen, Island und Liechtenstein.

Kroatien, so schrieb dieser Tage ein Kolumnist in der viel gelesenen «Večernji list», «wollte ein unabhängiger und souveräner Staat werden, der vollständig in das moderne Europa integriert ist, und diese vollständige, tiefste Integration findet gerade jetzt, im zehnten Jahr der Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union, statt».

2022 lief für Kroatien alles wie geschnitten Brot. Erst neun Jahre zuvor hatte der Bundestag als letztes Parlament der Europäischen Union zugestimmt, dass Kroatien in die EU aufgenommen wird. Gegenstimmen gab es nicht, lediglich sechs Abgeordnete enthielten sich. Der damalige deutsche Außenminister Guido Westerwelle (FDP) nannte den Beitritt «historisch» und begrüßte die Zusicherung aus Zagreb, laut der das Land auch nach dem Beitritt an notwendigen demokratischen Reformen arbeite. Vom Ergebnis dieser Bemühungen ist derzeit, da das Land, das bereits seit 2009 der Nato angehört und nun in den Kreis der auserwählten Schengen-Staaten aufgenommen wird, weniger die Rede.

Viel wichtiger scheint in der offiziellen Berichterstattung das Geschäftliche. Kroatien führt ab 2023 den Euro ein. «Kroatien ist ein Tourismusland mit einer beträchtlichen Fläche an der Adriaküste. Für ein solches Land bedeutet der Schengen-Raum eine viel einfachere Ankunft», erklärte Ministerpräsident Andrej Plenkovic am Mittwoch und war sich sicher, dass dies «dann natürlich in den Einnahmen in den kommenden Jahren spürbar sein wird». So wie der Premier in Zagreb sind Zehntausende an Kroatien interessierte EU-Bürger froh, dass die gerade in Urlaubszeiten lästigen Kontrollen an den slowenisch-kroatischen sowie ungarisch-kroatischen Übergängen wegfallen. Millionen deutsche Urlauber erwarten eine doppelte Erleichterung: Sie müssen kein Geld mehr tauschen, ersparen sich also auch Wechselkursverluste.

Während Bulgariens und Rumäniens Schengen-Aufnahmeanträge abgelehnt wurden, stünden Kroatiens Bürger nun vor dem Eintritt in «die weltweit größte Zone der Bewegungsfreiheit», jubelte auch Innenminister Davor Božinović. Doch: «Nichts ist vom Himmel gefallen», sein Land habe gezeigt, dass es imstande ist, «alle Bedingungen für den Schengen-Beitritt umzusetzen».

Genau daran bestehen berechtigte Zweifel, wenn man sich der Schengen-Sache von der anderen Seite, also aus Richtung der einstigen jugoslawischen Bruderstaaten Serbien, Montenegro sowie Bosnien und Herzegowina nähert. Dort werden die ohnehin schon harten Grenzkontrollen verstärkt. Das mag ein Ärgernis für Bürger dieser Staaten sein, für Menschen, die in Europa auf Schutz durch Asyl hoffen, ist es eine schreckliche Nachricht.

Zwar gibt es im Schengenraum gemeinsame Visa- und Asylbestimmungen, doch daran stören sich die Behörden des EU-Außengrenzstaates kaum. Sie versuchen im Auftrag der westeuropäischen Staatengemeinschaft und mit Billigung der EU-Zentrale in Brüssel alles, um große Teile der sogenannten Balkanroute für Flüchtlinge unpassierbar zu machen.

Dabei verletzt Kroatien systematisch und brutal internationales Recht. Schutzsuchende werden abgefangen, misshandelt und ohne die Chance, einen ihnen zustehenden Asylantrag stellen zu können, zurückgeschoben. Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl und Amnesty International haben diese illegale, weil völkerrechtswidrige Pushback-Praxis umfangreich dokumentiert. Nach dem Tod einer Sechsjährigen an der serbisch-kroatischen Grenze im November 2017 befand sogar der Europäische Gerichtshof, dass Kroatien gegen das Verbot von Kollektivausweisungen verstoße. Was folgte daraus? Nichts.

Nicht verborgen bleibt die deutsche Beihilfe beim systematischen Rechtsbruch. Die läuft entweder direkt oder über die EU-Grenzschutzorganisation Frontex. Seit Jahren unterstützt die Bundesregierung Kroatien und seinen Grenzschutz durch die Ausbildung von Polizisten, durch Personalaustausch sowie die Lieferung von «Sachmitteln». Man übergab Wärmebildkameras und Spezialfahrzeuge, um ein besseres «Grenz- und Migrationsmanagement» zu erreichen. Auf eine Anfrage der Linksfraktion antwortete die Bundesregierung: «Hinweise auf eine zweckwidrige Verwendung… liegen trotz regelmäßiger Arbeitsbesuche nicht vor.» Detailauskünfte lehnt die Bundesregierung ab, weil diese «Rückschlüsse auf aktuell laufende Maßnahmen zulassen».

Die alltägliche Unterstützung des kroatischen Grenzschutzes ist ebenso wie das von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) abgegebene Votum für die Aufnahme Kroatiens in den Schengenraum ein deutliches Indiz dafür, dass Deutschland im Bereich von Menschenrechten wieder einmal an der Seite der Täter und nicht der Opfer steht.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.