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Streit um Stuck
Wie DDR-Bürger marode Altbauten im Potsdam der 80er Jahre vor dem Abriss bewahrten
Bröckelnder Putz, marode Dächer, ruinierte Fenster: Kaum etwas wird so eng mit dem Ende der DDR in Verbindung gebracht wie der letztliche Zustand ihrer Altbauten. Heute, rund 32 Jahre nach der Wiedervereinigung, können ostdeutsche Städte mit sanierten historischen Stadtkernen beeindrucken – nicht unbedingt zur Freude aller Westdeutschen.
»Natürlich gibt es da auch Neiddebatten, gerade was Potsdam angeht«, sagt Stadtbau-Forscher Thomas Fischer von der Technischen Universität Kaiserslautern zu »nd«. »Da kommen dann Leute aus dem Saarland oder Nordrhein-Westfalen her und denken: Boah, was die sich hier leisten können!« Tatsächlich aber sei es vor allem der Initiative von DDR-Bürger*innen zu verdanken, dass Brandenburgs Landeshauptstadt heute seinen Altbau-Charme überhaupt entfalten kann.
An der Seite seines Universitätskollegen Holger Schmidt hat Thomas Fischer die Wanderausstellung »Stadtwende« kuratiert, die noch bis zum 12. Februar im Potsdam Museum zu sehen ist. Als Teil eines 16-köpfigen Teams forschten die beiden Wissenschaftler zur Baupolitik der DDR: dazu, wie sich zivile Initiativen in den 80er Jahren gegen den Verfall und Abriss historischer Bauten immer entschiedener zur Wehr setzten und wie es der Staat überhaupt so weit kommen lassen konnte.
Am Ende der vierjährigen Forschungsarbeit steht ein Produkt des Ostens und Westens gleichermaßen. Neben der TU Kaiserslautern sind die Bauhaus-Universität in Weimar, das Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung in Erkner und die Universität Kassel an dem Projekt beteiligt. Die Kuratoren Schmidt und Fischer stammen aus dem Osten, genauso wie die Hälfte ihres Forschungsteams. Mission ist auch, den Wissensaustausch zwischen beiden Seiten zu fördern. »Es geht uns auch darum, ein gegenseitiges Verständnis zu entwickeln«, sagt Fischer. »Bei aller Kritik, die man an der deutschen Einheit setzen kann, ist die Stadterneuerung im Osten letztlich eine Erfolgsgeschichte.«
Ihren Anfang nimmt diese Geschichte bereits vor dem Ende der DDR. So zumindest lautet die zentrale These der Stadtbauexperten: Die Wende begann schon Mitte der 80er Jahre mit dem Kampf um das bauliche Erbe ostdeutscher Städte. »Es gab ganz viele Ansätze, diesen Altstadtverfall nicht zu tolerieren, sondern etwas dagegen zu tun«, sagt Holger Schmidt. Nicht nur auf wissenschaftlicher Ebene habe es heiße Diskussionen um den Erhalt der Altbauten gegeben. »Auch viele Kunstwerke beschäftigen sich mit dem Thema.« Ganz besonders seien es aber Bürgergruppen gewesen, die ein Umdenken bei den DDR-Offiziellen bewirkten. Die abrissorientierte Stadtentwicklung, die hauptsächlich auf Plattenbauten als Ideal des sozialistischen Wohnens setzte, wurde von einem zumindest behutsameren Vorgehen abgelöst.
Ihrem Unmut machten Bürger*innen auf Veranstaltungen Luft. Es gab aber auch Ehrenamtliche, die mit Brettern und Nägeln darangingen, leer stehende Häuser in Potsdam winterfest zu machen. »Es gab auch Hausbesetzungen in der DDR«, sagt Holger Schmidt. Sie seien allerdings meist eher im Stillen abgelaufen, ohne Transparente, wie heute üblich. »Manche Leute sind auf eigene Faust in die Wohnungen rein und haben dann von selbst Miete überwiesen. Statistiken gibt es für solche Geschichten allerdings nicht.«
Die Ausstellung selbst beginnt mit einem kurzen Animationsfilm; es folgen Infotafeln mit vielen Fotografien, historische Dokumente, aber auch Pläne und Hausmodelle. Zum Teil wurde das gesammelte Material noch nie veröffentlicht. Parallel zur Ausstellung erschienen ist ein Band mit Forschungsaufsätzen, der Möglichkeit gibt, sich weiter in das Thema einzuarbeiten. Doch schon die Ausstellung selbst präsentiert ihren Besucher*innen ein umfangreiches Angebot.
Auf der Rundreise von »Stadtwende« ist Potsdam die mittlerweile fünfte Station. Zuvor gastierte die Ausstellung in Brandenburg an der Havel, Schwerin, Stralsund und Halle. Trotzdem unterscheidet sich das Präsentierte von Standort zu Standort. Die gleich bleibende Kernausstellung wird jeweils durch lokale Bezüge ergänzt. In der brandenburgischen Landeshauptstadt ist es der Stadtbau-Forscher und Ingenieur Frank Jäger, ebenfalls von der TU Kaiserslautern, der diesen Teil zusammengestellt hat.
»Gerade der soziale Zusammenhalt in den Altbauquartieren hat gelitten, weil es das Angebot am Stadtrand gab«, erklärt Jäger »nd«. »Vor allem junge, dynamische Familien sind aus den Zentren in die Neubauten gezogen.« Was zurückblieb, beschreibt Jäger als »eine bunte Mischung«: Ältere, weniger mobile Menschen, Alleinstehende oder auch Künstler*innen. »Wohnen war schon immer ein Distinktionsmerkmal. Es gibt einige Leute, die können am Stadtrand einfach nichts anfangen.«
Wegen seiner auch zu DDR-Zeiten repräsentativen Rolle stand es um Potsdam und seine Altbauten weniger schlimm als um andere Städte. Doch gerade hier konnten Bürgerinitiativen wichtige Erfolge für eine rücksichtsvollere Altbaupolitik erzielen. Dabei mussten sich die Gruppen besonders anfangs Vorwände für Netzwerktreffen und Veranstaltungen überlegen, um innerhalb der Legalität agieren zu können.
In Potsdam war es unter anderem die Arbeitsgemeinschaft Umweltschutz und Stadtentwicklung (Argus), die für Wirbel sorgte. Der Verein gründete sich im Frühjahr 1988 und entwickelte sich in kürzester Zeit zu einem entscheidenden Faktor innerhalb der baupolitischen Opposition. Nach dem Abriss eines früheren Wohnhauses des Schriftstellers Theodor Storm im August 1989 profitierte Argus vom dadurch entstandenen Frust der Potsdamer*innen.
Gegen den Plan, weitere historische Gebäude in der betroffenen Dortustraße abzureißen, formierte sich öffentlicher Protest. Argus gelang es, den damaligen Bürgermeister Manfred Brille 1989 zu einem gemeinsamen Rundgang durch die Straße zu bewegen. Am Ende der Bemühungen stand sogar ein offiziell beschlossener Abrissstopp für weitere Gebäude in der Nachbarschaft des früheren Storm-Hauses. Beschlossen wurde das am 1. November 1989, kurz vor dem Fall der Mauer. Das Beispiel Argus bestätigt die »Stadtwende«-Forscher in ihrer grundlegenden These: »Das war der Durchbruch für eine andere Stadterneuerungspolitik in Potsdam«, heißt es auf einer Tafel der Ausstellung. Für die DDR kam sie zu spät.
Warum aber die späte Einsicht? Dass ältere Häuser bisweilen sich selbst überlassen wurden, lag laut Frank Jäger nicht nur an mangelnden Baustoffen. »Oft war das eine Frage der Rangigkeit. Der Zwinger und das Schloss Sanssouci waren zum Beispiel immer top in Schuss«, sagt er. Zudem hätte das, was engagierte Bürger*innen mit einfachsten Mitteln erreichten, auch der Staat bewerkstelligen können. Mehr als alles andere habe sich jedoch die Umwandlung privater Handwerksbetriebe gerächt. Irgendwann habe es massiv an Maurer*innen, Dachdecker*innen und Zimmerleuten gemangelt. »Das war ein Fehler, den man der DDR vorwerfen kann, und er war rein ideologisch motiviert«, sagt Jäger. »Irgendwann machte sich dann in Betrieben auch eine gewisse Lethargie breit.«
Plattenbau gegen Altbau – mittlerweile hat sich das Blatt in Potsdam gewendet. Aktuelle städtebauliche Debatten werden vor allem um Gebäude der DDR-Moderne geführt. »Wir wollten uns mit der Ausstellung bei diesen Diskussionen heraushalten«, sagt Jäger, der aber aus seiner eigenen Meinung kein Geheimnis macht. Welchen städtebaulichen Vorteil ein Ende des umstrittenen Staudenhofs mit sich bringen sollte, versteht er nicht: »Natürlich hat die Nachkriegsmoderne ihre Berechtigung. Über die Haltung, das alles pauschal abzureißen, sollten wir mittlerweile hinweg sein.«
»Stadtwende: Bürgergruppen gegen den Altstadtverfall in der DDR«, 10. Dezember 2022 bis 12. Februar 2023 im Potsdam Museum, Eintrittspreis 5 Euro (ermäßigt 3 Euro)
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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