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  • Kritische Theorie der Rackets

Grundform der Herrschaft

In kriselnden Staaten tritt die Gewalt hervor, aus der diese entstanden sind. »Rackets« machen daraus ein Geschäftsmodell, erklärt Thorsten Fuchshuber

  • Interview: Peter Nowak
  • Lesedauer: 7 Min.
Im Film herrscht »der Pate« (1972) über die Unterwelt. In Wirklichkeit sind Rackets mit Staat und Herrschaft verschlungen.
Im Film herrscht »der Pate« (1972) über die Unterwelt. In Wirklichkeit sind Rackets mit Staat und Herrschaft verschlungen.

Der Begriff des Rackets meint so etwas wie Bandenherrschaft und findet sich in der Kritischen Theorie. Dort ist er aber kein ausgearbeitetes Konzept. Woher kam Ihr Interesse für eine Racket-Theorie?

Interview

Thorsten Fuchshuber, Jahrgang 1972, promovierte zu Horkheimers Racket-Theorie und veröffentlichte im Ça ira-Verlag das Buch »Rackets – Kritische Theorie der Bandenherrschaft«. Im Interview spricht er über die Frage, warum die Theorie heute wieder aktuell ist.

Ich habe mich mit den gesellschaftlichen Strukturen sogenannter Failed States – also Staaten, die ihre grundlegenden Funktionen nicht mehr aufrechterhalten können – beschäftigt und mich gefragt, weshalb bestimmte regionale oder nationale Akteure, Banden, Warlords oder eben »Rackets« kein Interesse an der Entstehung ziviler und staatlicher Ordnungsstrukturen sowie an der Geltung allgemeinverbindlicher rechtlicher Formen haben, die auch die subjektiven Rechte Einzelner garantieren.

Was haben Sie herausgefunden?

Die Gründe hierfür scheinen recht banal, sofern das Geschäftsmodell der Genannten einer Beuteökonomie entspricht, die auf der Androhung und Ausübung unmittelbarer Gewalt zum Zweck der Bereicherung basiert. Doch es gibt auch politische Formen der Bandenbildung. Dann hat man es beispielsweise mit Akteuren zu tun, die vorläufig nicht mächtig genug sind, um an institutionalisierten Machtstrukturen teilzuhaben. Sie können aber mit ihren Gewaltmitteln reichlich Chaos stiften, um so der »herrschenden« Politik klarzumachen, dass es ohne Einbeziehung dieser lokalen Gewaltakteure nicht geht. Die Grenze zwischen Kriminalität und Politik erscheint fließend.

Ich wollte die Mechanismen verstehen, die all dies möglich machen; und die Fragmente für eine Racket-Theorie von Max Horkheimer, Otto Kirchheimer und anderen schienen mir ein guter Ansatz zu sein, um das Verhältnis von auf Gewalt basierender Bandenherrschaft, von Rackets, Recht und Staat zu begreifen. Daran anknüpfend habe ich mich mit Blick auf die bürgerliche Gesellschaft gefragt: Wie kann es sein, dass das Recht die gesellschaftlichen Verhältnisse zivilisiert und Gewalt einschränkt, während es doch zugleich die Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Gewaltverhältnisse ermöglicht und diese perpetuiert? Ich begann zu verstehen, dass Rechtsphilosophie nur als Kritik der Gewalt möglich ist und diese sich wiederum nur im Zusammenhang mit einer Kritik der politischen Ökonomie formulieren lässt.

Sie gehen in Ihrem Buchkapitel »Die Herrschaft der Banden in der Weimarer Republik« ausführlich auf die Niederschlagung der linken Arbeiter*innenbewegung durch die Freikorps ein. Wo sehen Sie dabei den Zusammenhang zu einer Theorie der Rackets?

Die Racket-Theorie, deren Umrisse Max Horkheimer in den 1930er und 40er Jahren formuliert hat, sollte auch dabei helfen, die Entstehung des Nationalsozialismus zu verstehen. Horkheimer selbst hat keinen Zweifel daran gelassen, dass er hier eine enge Verbindung zu den Freikorps sieht: »Noch das äußerste Entsetzen heute hat seinen Ursprung nicht 1933, sondern 1919 in der Erschießung von Arbeitern und Intellektuellen durch die feudalen Helfershelfer der ersten Republik«, schrieb er 1938. Für ihn waren die Freikorps eine Form der Bildung von – in diesem Fall politischen – Banden, die symptomatisch waren für den Niedergang des Liberalismus.

Welche Erklärung hatte Horkheimer dafür?

Diese Entwicklung hing für ihn eng mit der zunehmenden Konzentration und Zentralisierung der kapitalistischen Produktionsweise zusammen. Es bildeten sich zunehmend gesellschaftliche Strukturen heraus, die es aufgrund ihrer Machtfülle gar nicht mehr nötig hatten, auf die Interessen anderer Rücksicht zu nehmen. Daher hätten sie auch »kein Interesse am Funktionieren des allgemeinen Rechtssystems und an seiner unparteiischen Verwaltung« mehr, wie er meinte, sondern führten einen regelrechten Kampf gegen solche gesellschaftlichen Vermittlungsinstanzen, die ihre Macht einschränkten. Horkheimer ging es dabei nicht bloß um die Bildung irgendwelcher Banden oder wirtschaftlicher Monopole, sondern vielmehr um ein Prinzip, das sich in der Gesellschaft mehr und mehr durchzusetzen drohte und dem jegliche Organisation und Institution sich nur schwer entziehen konnte. All das ist im Sinne der Dynamik der kapitalistischen Krise zu verstehen, verbunden mit der Frage, wieso gerade in Deutschland diese Entwicklung zum Nationalsozialismus führte.

Der Racket-Begriff hat auch in der letzten Zeit wieder an Bedeutung gewonnen. Wo sehen Sie den Grund?

Das hat viel mit dem Zerfall der Sowjetunion und der daraus folgenden globalen Neuordnung, aber auch mit den Zerfallsprozessen innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft selbst zu tun. Es gibt etwa Länder, in denen es nicht oder nicht mehr gelingt, die bereits angedeuteten bürgerlichen Verkehrs- und Vermittlungsformen durchzusetzen und zu bewahren.

Können Sie Beispiele nennen?

In Mexiko setzen kriminelle Rackets ihre Interessen gegen die staatliche Zentralmacht durch, während deren Gewaltmonopol erodiert und nicht mehr durchgesetzt werden kann. Im extremsten Fall zerfällt der Staat als Organisationsstruktur komplett, wie das momentan in Haiti droht und zuvor etwa in Somalia zu beobachten war. In der Russischen Föderation ist es nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht gelungen, dauerhaft tragfähig solche Vermittlungsinstanzen aufzubauen, die auf einer Teilung der Gewalten, einem zumindest formal geregelten Interessenausgleich und einer einigermaßen berechenbaren Rechtsordnung basieren. Es ist gut möglich, dass vieles von dem, was ich hier angedeutet habe, nicht bloß das Scheitern bestimmter Staaten, sondern auch die Zukunft kapitalistisch verfasster Demokratien zeigt; auch dort sind Racket-Strukturen erkennbar. Horkheimer ging es nicht allein darum, was im schlimmsten Fall werden kann, sondern er wollte auch deutlich machen: Als ein die Gesellschaften strukturierendes Prinzip drohen die Rackets die bürgerliche Gesellschaft von innen heraus so zu transformieren, dass am Ende all das, was positiv über diese hinausweisen könnte, zerstört worden ist.

Wenn Rackets ein Krisensymptom des Kapitalismus bezeichnen, warum braucht es dann eine eigenständige Theorie?

Es geht darum, einer Veränderung bestimmter Momente innerhalb kapitalistisch verfasster Gesellschaften Rechnung zu tragen. Die Rackets stehen für einen Begriff des Politischen, der im Extremfall vom Zerfall der bürgerlichen Gesellschaft und ihrem Staat ausgeht, zugleich aber auch die Kritik bestimmter Tendenzen innerhalb der bürgerlichen Gesellschaften meint. Die Frage ist, was bleibt, wenn all jene gesellschaftlichen Vermittlungsinstanzen abgeschafft oder unwirksam geworden sind, die es überhaupt erlauben, von Staat und Gesellschaft als zwei getrennten Sphären zu sprechen und die alle Mitglieder dieser Gesellschaft eben nicht bloß als Teile einer Gemeinschaft begreifen, sondern relational und reflexiv aufeinander beziehen? Letztlich hat man dann eine Gesellschaft, die nur noch gemäß dem Modus von Inklusion und Exklusion, von Freund und Feind agiert. Was die politische Einheit einer Gesellschaft ausmacht, wird nicht mehr ausgehandelt oder konflikthaft offen gelassen, sondern allein aufgrund der Feindbestimmung, nach innen wie außen, definiert. Repräsentiert wird diese Einheit nicht mehr von einem Staat, der ganz allgemein die Aufrechterhaltung der Bedingungen der Kapitalakkumulation garantiert, sondern von den maßgeblichen, miteinander konkurrierenden Rackets, die ihre jeweiligen Interessen durchzuboxen versuchen. »Die Gewalt, die dieser Staat ausübt, ist keine äußere mehr, sodass die Souveränität entfällt, sie ist vielmehr die Gewalt der organisierten Gemeinschaft selbst«, hat Horkheimers Mitarbeiter Franz Neumann diese Entwicklung einst genannt.

Im Kapitel »Antisemitismus in der Racketgesellschaft« verneinen sie eine Zwangsläufigkeit von Antisemitismus und Rackets. Wo sehen Sie dennoch die Überschneidungen?

Die Überschneidung liegt in der paranoiden Grundstruktur der Racket-Gesellschaft: Es kommen keine gesellschaftlichen Widersprüche mehr zur Sprache, es gibt nur noch Freund und Feind. Die Feindbestimmung ist es auch, die den paranoiden Charakter des antisemitischen Wahns potenziell ins Politische übersetzt. Auf diese Weise konvergiert der in den Gesellschaften vorhandene Antisemitismus tendenziell mit der Grundstruktur des Rackets, das überall nur Feinde wittert, und wird dadurch seinerseits verstärkt. Das ist ausschlaggebend dafür, weshalb der Antisemitismus zum politische Einheit stiftenden Moment einer ansonsten vollständig in partikulare Machtinteressen zerfallenen Gesellschaft werden kann, wie im Nationalsozialismus geschehen. Ob und welche Rolle der Antisemitismus in einer in Rackets zerfallenden Gesellschaft tatsächlich spielt, bleibt aber in der Tat jeweils zu untersuchen.

Warum wird der Iran oft als Racket-Staat bezeichnet?

Auch im Iran kann weder von einer Gewaltenteilung noch von einer formal geregelten Vereinheitlichung der staatlichen Zwangsgewalt die Rede sein. Es gibt konkurrierende Machtfraktionen, die über je eigene Gewaltapparate verfügen und miteinander in einer Art permanenter islamischer Revolution rivalisieren. Das führt zu einem auf Dauer gestellten Ausnahmezustand im Inneren, wie sich derzeit einmal mehr auf drastische Weise zeigt, wo die Feindbestimmung große Teile der eigenen Bevölkerung einbegreift. Das islamische Regime ist aber nicht formloses Resultat eines Zerfallsprozesses, vielmehr konkurrieren die Rackets mit Blick auf ein gemeinsames Ziel: Es geht ihnen allen um die Vernichtung Israels. Aus dieser antisemitischen Feindbestimmung leiten sie über ihre Rivalität hinweg ihre politische Einheit ab, was dem Regime seine eigentümliche Form und Festigkeit verleiht.

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