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Friedhof der Ausgeh-Orte
So war Berlin, als es noch nicht so teuer war: Mit »Places« würdigen Tine Fetz und Daniel Schneider die Räume der alten Subkultur
»Geht unbedingt dahin«, hatte einer aus der Basketballmannschaft gesagt, und wir taten es, ganz so, wie Ideal gesungen hatten: »Mal seh’n, was im Dschungel läuft …« Immer noch eins der besten Berlin-Lieder überhaupt. Ich weiß noch, wie ich im »Dschungel« (geschlossen 1993) einen Orangensaft orderte. Ich war 16 und hielt das für das coolste Getränk in dem Laden, in dem auch David Bowie Gast gewesen sein soll. Als mich die Bedienung wegen der Lautstärke fragte: »Einen O-Saft?«, wusste ich zuerst gar nicht, was sie meinte. Total aufregend. Wie das »Risiko«, die Bar von Blixa Bargeld (existierte bis 1986), da gab es nur Bier, Wodka und Kaffee. Das war fast zu viel für uns.
Mein bester Freund und ich waren auf Besuch, angereist mit der Mitfahrzentrale aus »Westdeutschland«, wie damals die Leute in Westberlin sagten, die aus Westdeutschland hergezogen waren. Und deren Verwandte heute die Stadt für teures Geld kaputtkaufen. Oder sie viel normaler machen, als wollten sie eine Sperrstunde für alle, wie damals in Westdeutschland üblich.
Die alten Ausgeh-Orte sind dicht, verlassen oder abgerissen. Die Illustratorin und Comic-Zeichnerin Tine Fetz (geboren in Bad Kreuznach) und der DJ und Archivar Daniel Schneider (geboren in Gießen) haben ihnen mit »Places« ein Denkmal gesetzt. Ihr Buch ist ein kleiner schöner Friedhof zum Durchblättern, ein anschaulicher Reiseführer zu 60 verlorenen Orten: Beispielsweise der Knaack-Klub (2010 geschlossen, nach 58 Jahren), »Eimer« (2003 als letztes besetztes Haus in Berlin-Mitte geräumt), »Big Eden« (2006 geschlossen, 2022 starb sein Gründer Rolf Eden), Insel der Jugend (wegen Lärm-Beschwerden der neuen Townhouse-Bewohner gegenüber sind seit 2012 kaum noch Veranstaltungen möglich), »Tacheles« (2012 geräumt), »Metropol« (1998 geschlossen, Nachfolger scheitern endgültig 2014).
Von den Orten, an denen nach dem Mauerfall Techno entwickelt wurde, ist eigentlich keiner mehr übrig. Darüber hinaus würdigen Fetz und Schneider die untergegangenen Spaßbäder in West (Blub, 2002 geschlossen) und Ost (SEZ, ebenfalls 2002 dichtgemacht). Und was passiert mit den Ruinen der alten Abhörstation der US-Amerikaner (Bild) auf dem Teufelsberg? David Lynch wollte dort mal ein Hotel für seine Yogiflieger-Sekte bauen lassen – das war 2007.
Natürlich fehlen in »Places« jede Menge Kneipen und Clubs, die man so erinnert. Was mich mit am meisten beeindruckt hat: Das »Dirt« in Berlin-Mitte, Anfang der Nullerjahre. Ein Raum, ein Tapetentisch als Bar, Musik und Flaschenbier und sonst nichts. Sehr praktisch.
Tine Fetz/Daniel Schneider: Places. Ventil, 128 S., br., 20 €.
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