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Klimaschutz auf Sparflamme
Die Grünen haben viel versprochen, aber trotz der Energieeinsparungen die Klimaziele nicht erreicht
In diesem Jahr haben sich die Grünen viel vorgenommen. Auf der zweitägigen Klausur des Bundesvorstands, die am Dienstag zu Ende ging, erklärte Parteichefin Ricarda Lang in Berlin, dass ihre Partei 2023 zum »Jahr des Klimaschutzes« machen wolle. Das soll gelingen, indem die erneuerbaren Energien ausgebaut werden, der Kohleausstieg bis 2030 für die gesamte Bundesrepublik verbindlich wird und die Verkehrswende gelingt.
Allerdings werden die Grünen diesbezüglich noch einige Konflikte ausfechten müssen. Verkehrsminister Volker Wissing muss laut Gesetz bis zum Frühjahr weitere Vorschläge machen, wie in seinem Bereich mehr CO2 eingespart werden kann. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hatte den FDP-Politiker dafür kritisiert, dass die von ihm vorgelegten Pläne für die Erreichung des im Klimaschutzgesetz vorgeschriebenen Sektorziels nicht ausreichen. Wissing will trotzdem etwa den Ausbau des Straßennetzes vorantreiben.
Nicht nur die FDP wird wegen ihrer Politik von Klimaschützern kritisiert. Die Grünen gelten für Teile der Bewegung nicht mehr als verlässliche Mitstreiter. Ende vergangenen Jahres beschlossen sie, dem längeren Betrieb zweier rheinischer Kohlekraftwerke zuzustimmen, mit der auch die Abbaggerung des Ortes Lützerath verbunden ist und der von der Polizei geräumt wird. Mit der entsprechenden Vereinbarung zwischen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und dem Energiekonzern RWE wurde im Gegenzug der Kohleausstieg für das Rheinische Braunkohlerevier von 2038 auf 2030 vorgezogen.
Parteichefin Lang sprach nun in Bezug auf Lützerath von einer »schmerzlichen Entscheidung«. »Ich finde, Deeskalation aller Beteiligten ist jetzt das Gebot der Stunde«, sagte sie. Trotzdem äußerte die Grünen-Politikerin »Verständnis für Menschen, die jetzt dort demonstrieren, für Frust und vor allem auch für Druck für mehr Klimaschutz«, fügte sie hinzu. Die Grünen regieren zwar in Nordrhein-Westfalen zusammen mit der CDU, tun aber so, als ob sie mit dem anstehenden Polizeieinsatz, bei dem es auch zu Gewalt kommen dürfte, nichts zu tun haben. Lang sagte, dass innerhalb der schwarz-grünen Regierung Innenminister Herbert Reul von der CDU die Verantwortung dafür trage.
Hintergrund der Entscheidungen in Deutschland zur Kohlepolitik sind die Verwerfungen zwischen der Regierung in Moskau und westlichen Staaten seit den russischen Angriffen auf ukrainisches Territorium. Seitdem sind die russischen Gaslieferungen nach Europa eingebrochen. Das hat nicht nur zu einem zwischenzeitlichen Revival von Kohle und Atomstrom in Deutschland geführt. Habeck hat sich auch um neue Partner bemüht. Er war bei Diktaturen am Golf wie Katar vorstellig geworden, um Flüssiggas für Deutschland zu sichern.
Kürzlich hielt sich der Minister auch in Norwegen auf. Dort traf Habeck den Ministerpräsidenten Jonas Gahr Støre, verschiedene Ministerkollegen und Wirtschaftsvertreter. Das skandinavische Land ist inzwischen der wichtigste Energielieferant der Bundesrepublik. Die Grünen setzen vor allem auf Wasserstoff, der unter anderem aus Norwegen kommen soll. Bisher liefert das Land vor allem Gas. Bis 2030 soll eine großflächige Infrastruktur zum Import von Wasserstoff nach Deutschland entstehen.
Allerdings wird auch der Wasserstoff zunächst nicht umweltfreundlich gewonnen. Es handelt sich vor allem um »blauen Wasserstoff«, der durch eine Pipeline geliefert und aus Erdgas gewonnen werden soll. Das bei der Produktion von Wasserstoff entstehende CO2 wird abgetrennt und unterirdisch eingelagert. Kritiker befürchten, dass das Gas aus den Speichern entweichen könnte. Die Risiken für Natur und Umwelt sind nicht absehbar. Zudem vermindere die Technologie den Anreiz, den Ausstoß von Treibhausgasen von vornherein zu vermeiden.
Also wird es nicht sonderlich schnell vorangehen mit dem Klimaschutz, obwohl die Grünen im Bund sowie in zahlreichen Ländern mitregieren. Habeck ist seinen Anhängern gegenüber zumindest ehrlich. Er hatte bereits Ende 2021 erklärt, dass Deutschland seine Klimaziele in den Jahren 2022 und 2023 wohl verfehlen werde. Kürzlich kam für das vergangene Jahr die Bestätigung. Der Thinktank Agora Energiewende legte Zahlen vor, wonach Deutschland 761 Millionen Tonnen Treibhausgas emittierte, fünf Millionen Tonnen mehr als die selbst gesetzte Obergrenze vorsieht. Habeck sah Deutschland trotzdem »auf dem richtigen Weg«, weil die Gesamtemissionen 2022 gegenüber 2021 leicht gesunken seien.
Fast entschuldigend hieß es vonseiten des Grünen-Vorstands auf der Klausur, dass 2022 vor allem ein Jahr der Krisenbewältigung gewesen sei. Die Parteispitze behauptet auch, dass es trotzdem große Fortschritte beim Klimaschutz gegeben habe.
Im nun ausgerufenen »Jahr des Klimaschutzes« soll deutlich mehr passieren. Dabei kommt es auch auf Habeck an. Laut Agora Energiewende muss sich die Ausbaugeschwindigkeit der Solarenergie verdoppeln, bei Windkraftanlagen verdreifachen und bei Windparks auf See verachtfachen. Doch es gibt einige Faktoren, die dem schnellen Ausbau entgegenstehen. Allein die Planungszeit für eine Windkraftanlage beträgt teilweise bis zu sieben Jahre und der Artenschutz steht im Konflikt mit dem Bau von nicht wenigen Anlagen.
In den kommenden Wochen dürfte auch die Atomenergie noch einmal auf den Tisch kommen. Der 15. April ist das Enddatum für die drei verbliebenen Kernkraftwerke in der Bundesrepublik. Neben der SPD sehen auch die Grünen keinen Grund dafür, die Abschaltung weiter hinauszuzögern. Doch die FDP fordert eine Kommission, die prüfen soll, ob die Kraftwerke nicht doch noch am Netz bleiben sollen.
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