Der letzte Dialog

Klima schützen vs. Demokratie verteidigen: In der Frage Lützerath prallen Welten aufeinander

Podium und Publikum fanden keine gemeinsame Gesprächsgrundlage.
Podium und Publikum fanden keine gemeinsame Gesprächsgrundlage.

Warum noch miteinander reden, wenn eigentlich schon alles klar ist? Wenn die Polizei seit einer Woche das Dorf umstellt, wenn Polizeipanzer und Wasserwerfer aus weit entfernten Bundesländern auf den Ort zurollen, wenn am Vormittag Pfefferspray und Schlagstöcke eingesetzt wurden? Eine gemeinsame Gesprächsgrundlage zu finden, ist so schwierig bis unmöglich. Das wurde am Dienstagabend in der Erkelenzer Berufsschule deutlich.

Schon Wochen vor Beginn des Polizeieinsatzes hatte die Aachener Polizei erklärt, dass sie mit der Räumung Lützeraths nicht beginnen werde bevor eine öffentliche Informationsveranstaltung stattgefunden hat. Der für den Einsatz verantwortliche Polizeipräsident Dirk Weinspach wollte sich Fragen stellen, flankiert wurde er auf der Bühne vom Heinsberger Landrat Stephan Pusch, der die Allgemeinverfügung zur Räumung Lützeraths im Dezember erlassen hatte, und von Erkelenz’ Bürgermeister Stephan Muckel (beide CDU), der sich geweigert hatte die Räumung anzuordnen.

Ihnen gegenüber im Publikum saß das gesamte Spektrum der Kohlegegner*innen aus dem Rheinland. Vom BUND-Geschäftsleiter Dirk Jansen, über den Dorfbewohner David Dresen, bis zur Landtagsabgeordneten Antje Grothus (Grüne).

Wie die Debatte ablaufen würde, war schnell klar. Polizeichef Weinspach gab sich zurückhaltend und erklärte, der Einsatz werde schwierig. Er wolle zuhören und Fragen beantworten. Offensiver gab sich Landrat Pusch. Er könne nicht verstehen, dass Lützerath zum klimapolitischen »Armageddon« hochstilisiert werde. Beim Protest würden Menschenleben gefährdet, und außerdem habe er sich ja schon gegen die Kohle eingesetzt, als die meisten Lützerath-Besetzer*innen noch gar nicht geboren waren. Die erste massive Welle an Buh-Rufen holte sich Pusch für dieses Statement ab. Bürgermeister Muckel vertrat eine ähnliche Position wie Pusch, nur rhetorisch abgeschwächt. Inhaltlich hätten die Besetzer*innen Recht, die Wahl ihrer Mittel sei aber falsch, sie müssten sich an »demokratische Spielregeln« halten.

Die Antworten auf die Statements fielen ebenso deutlich aus. Besonders in der Kritik stand Landrat Pusch, der ein »Horrorszenario« an die Wand male und Polizeipräsident Weinspach, der zwar immer von Deeskalation rede, dessen Beamt*innen aber immer wieder brutal gegen Aktivist*innen vorgingen.

Im Verlauf des Abends wurde aber vor allem eines deutlich: Den Repräsentanten des Staates und den Klimaaktivist*innen fehlte es an einer gemeinsamen Gesprächsgrundlage. Während die einen gerne im Detail über die Gutachten, die zur Abbaggerung Lützeraths, den Anteil der RWE-Kraftwerke am weltweiten CO2-Ausstoß und die Folgen der Klimakrise sprechen wollten, sahen die anderen ihre Aufgabe als Lehrende in einem Demokratieseminar.

Besonders auffällig hier wieder Landrat Pusch, der offen erklärte, nicht einmal die Gutachten zu kennen, auf Grundlage derer die Landesregierung ihre Entscheidung getroffen hat. Seine Aufgabe sei es, Entscheidungen durchzusetzen. Den Gegner*innen der Abbaggerung von Lützerath warf er ein mangelndes Demokratieverständnis vor. Wenn alle so dächten, dann herrsche »Anarchie«. Weinspach, immerhin Mitglied der Grünen, versuchte zwischen seiner Rolle als Polizeipräsident und seiner persönlichen Meinung zu differenzieren. Im Ergebnis sagte er aber auch, Politik und Gerichte hätten entschieden, er müsse jetzt handeln, ganz egal was er davon denke.

Auf konkrete Vorschläge, wie sie etwa Grothus äußerte, die ein Moratorium für Lützerath forderte und vorschlug, das Geld, das der Polizeieinsatz kostet, besser dafür zu nutzen dass RWE den Tagebau anders plane, wurde nicht eingegangen.

Nach weit mehr als zwei Stunden kamen auch Anwohner*innen zu Wort, denen die politischen Fragestellungen weniger wichtig waren. Sie wollten wissen, ob weiter nachts Hubschrauber über ihren Dörfern kreisen, welche Straßen gesperrt werden, wie lange mit dem Einsatz zu rechnen sei. Darauf gab es auch konkrete Antworten vom Podium.

Insgesamt bleibt von der Veranstaltung ein fader Beigeschmack. Das Bürgergespräch kam spät, mehr als Dialog wurde nicht geboten, diejenigen, die viele Fragen hätten beantworten können, wie die NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) oder RWE-Chef Markus Krebber, saßen nicht auf der Bühne. Lützerath wird geräumt, das steht fest, geändert hat der Abend mit dem Polizeipräsidenten daran nichts. Man hat in einem Raum gesessen und sich gegenseitig Positionen an den Kopf geworfen. Der Erkenntnisgewinn bleibt gering.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.