Werbung

Gegen den Krieg mit selektiver Kritik

Die Rosa-Luxemburg-Konferenz fand seit 2020 erstmals wieder vor großem Publikum statt

In der Etage über dem Tagungssaal der Luxemburg-Konferenz findet sich das für linke Veranstaltungen typische vielfältige Bücher-, Zeitschriften- und Accessoire-Angebot.
In der Etage über dem Tagungssaal der Luxemburg-Konferenz findet sich das für linke Veranstaltungen typische vielfältige Bücher-, Zeitschriften- und Accessoire-Angebot.

Die Menschen, die sich am Samstagvormittag vor dem Mercure-Hotel Moa in Berlin-Moabit in eine lange Warteschlange einreihten, waren geduldig. Dabei verging von der Ankunft draußen bis zum Vordringen in den Raum, in dem die Rosa-Luxemburg-Konferenz stattfand, im Schnitt eine gute Stunde. Im Saal verfolgten später zeitweilig bis zu 3000 Menschen das Programm der von der Tageszeitung »Junge Welt« veranstalteten Konferenz. Die letzten beiden Jahre war sie pandemiebedingt ausschließlich per Livestream zu verfolgen gewesen. Dieses Mal wurde die analoge Tagung nach Veranstalterangaben parallel von rund 15 000 Endgeräten aus verfolgt. Vor Ort schien wieder alles wie früher: Menschen jeden Alters aus der gesamten Bundesrepublik – und darüber hinaus – reisten zur Tagung an, die viele auch als Chance nutzen, Freunde und Genossen aus der Ferne zu treffen.

Die Referenten der Zusammenkunft unter dem Motto »Den dritten Weltkrieg stoppen – jetzt!« setzten sich vor allem mit dem Krieg in der Ukraine, seinen Ursachen und den globalen Folgen auseinander. Unterbrochen wurden sie unter anderem von einer Saalkundgebung für den Frieden und von einer Spendenaktion für die Unterstützung des seit Jahrzehnten unschuldig in den USA inhaftierten früheren Black-Panter-Aktivisten Mumia Abu-Jamal.

Die Atmosphäre: trotz zweier Jahre Trennung durch die Pandemie und vermutlich auch unter den hier Anwesenden unterschiedlichen Standpunkten zu deren Management durch die Regierung wie auch zum Ukraine-Krieg harmonisch.

Unter den Rednern war Nikolai Platoschkin von der Kommunistischen Partei Russlands (KPRF), der wie auch die Wirtschaftswissenschaftler Jack Rasmus (USA) und Wen Tiejun (China) live zugeschaltet war. Platoschkin hat Charisma, es ist kurzweilig, ihm zuzuhören. Zugleich hatte der Auftritt des früheren Diplomaten – er hat auch in der Bundesrepublik gearbeitet und hielt seinen Vortrag auf Deutsch – etwas Surreales. Aus seiner Darlegung wurde klar, dass er wie die Mehrheit der KPRF und alle ihre Vertreter in der Staatsduma die Invasion der Ukraine, deren Unabhängigkeit Russland 1994 endgültig anerkannt hatte, unterstützt.

Er sprach von »freiwilligen Kämpfern mit roten Fahnen«, unter ihnen auch viele prorussische Ukrainer, die derzeit für eine Rückkehr des Sozialismus und der Sowjetunion, in der Russen und Ukrainer wieder friedlich und gleichberechtigt miteinander leben könnten, streiten würden. »Die Ukraine und Russland – das ist die neue Sowjetunion«, sagte der Politiker und erntete dafür starken Applaus.

Für eine Rückkehr zur Sowjetunion, so Platoschkin, seien jüngsten Umfragen zufolge 64 Prozent der Menschen in Russland. Der 57-Jährige erinnerte an die vielen Verbrechen des ukrainischen Staates seit 2014, an die bis zu 14 000 Toten in den acht Jahren vor Beginn des Einmarschs der russischen Armee infolge von Kämpfen zwischen ukrainischer Armee und von Russland unterstützten Separatisten und politischen Morden. Und an das Verbot der ukrainischen KP 2014. All das – und den nach seinen Worten mehrheitliche Wunsch der Ostukrainer in den »Volksrepubliken« Donezk und Luhansk nach Angliederung an Russland, dessen Umsetzung per Referendum von Kiew 2014 mit Waffengewalt verhindert worden sei – rechtfertigt seiner Ansicht nach offenbar den Überfall auf das Nachbarland.

Zugleich betonte der KPRF-Mann die Verhandlungsbereitschaft seines Landes – die nur von Kiew und den Nato-Staaten torpediert werde. Platoschkin selbst wurde 2021 als Oppositioneller zu einer Haftstrafe auf Bewährung verurteilt und darf sich zehn Jahre lang nicht mehr politisch betätigen. 2020 hatte er eine Präsidentschaftskandidatur in Erwägung gezogen.

Auch insgesamt war auf der Tagung fast nur die Verantwortung der Nato-Staaten für die Eskalation der Lage in der Ukraine hin zum Krieg Gegenstand kritischer Reflexion. Die Rolle des seit 30 Jahren oligarchisch-kapitalistischen, von nationalistischen Kräften regierten und zunehmend imperialistischen Russland wurde nicht thematisiert.

Immerhin: Zwei Rednerinnen verurteilten die Invasion der Ukraine als völkerrechtswidrigen Akt. Eine von ihnen war die belgische Historikerin Anne Morelli, die ansonsten sehr allgemein die Thesen ihres schon 2001 veröffentlichten Buches »Elementare Prinzipien der Kriegspropaganda« referierte und illustrierte – wobei sie sich beim Ukraine-Krieg auf die Propaganda des Westens und die sich steigernde Russophobie fokussierte.

Auch Aminata Dramane Traoré, malische Menschenrechtsaktivistin und frühere Ministerin für Kultur und Tourismus in Mali (1997–2000), bezeichnete den russischen Angriff als völkerrechtswidrig und konstatierte, er habe zu einer Zuspitzung der vielfältigen globalen Krisen geführt, worunter insbesondere der afrikanische Kontinent leide.

Traoré erinnerte zugleich an die vielen Kriege, die nicht im Fokus der Aufmerksamkeit der Industriestaaten stehen. 90 Prozent der bewaffneten Konflikte spielten sich im Nahen Osten und in Afrika ab, sagte die Politikerin und Wissenschaftlerin. Die EU-Staaten hätten mit ihrer neokolonialen Politik großen Anteil daran. Bei dem seit 2013 von Frankreich in Mali und der Sahelzone angeführten EU-Militäreinsatz gehe es nicht, wie behauptet, um die Bekämpfung des internationalen islamistischen Terrorismus, betonte Traoré. Vielmehr wolle insbesondere Frankreich nicht auf die Ressourcen der Region verzichten: Erdöl, Gold und Uran.

Auf einem Jugendpodium tauschten sich vier junge Aktive aus dem Linke-Studierendenverband DieLinke.SDS, dem Jugendverband der türkisch-kurdischen Föderation der Demokratischen Arbeitervereine (DIDF), der SDAJ und linker Schülerbewegungen über die sich zuspitzende soziale Lage vieler junger Menschen infolge der Pandemie-Einschränkungen und der auch durch Krieg und Wirtschaftskrieg bedingten Explosion der Lebenshaltungskosten aus. Und konstatierten, dass es schwierig sei, größere Teile der Jugend für progressive Bewegungen zu gewinnen. Mirkan Dogan von DIDF berichtete von der Kampagne seines Verbandes, 100 Milliarden Euro für bessere Bildung und Chancen für junge Menschen statt für die Aufrüstung im Rahmen des Sondervermögens für die Bundeswehr einzusetzen. Dominic Lenz von der SDAJ äußerte die Hoffnung, dass eine breitere Jugendbewegung für die Enteignung von Wohnungs- und Stromkonzernen entstehe. Die Proteste gegen die Abbaggerung von Lützerath am Kohletagebau Garzweiler machten Mut, dass dergleichen möglich sei. An die Teilnehmer der zeitgleich stattfindenden Großdemo für den Erhalt des Dorfes sandten die Tagungsveranstalter solidarische Grüße.

Auf dem Abschlusspodium waren sich die Teilnehmerinnen darüber einig, dass es sofortige Verhandlungen zwischen der Ukraine und der Nato einerseits und Russland andererseits sowie einen Stopp der Waffenlieferungen geben müsse. Die Linke-Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen erklärte, letztere entsprächen den Kriegskrediten von 1914. Sie erhöhten das Risiko eines Weltkriegs drastisch. Scharfe Kritik übte Dagdelen insbesondere an ihrer Partei, der es im Herbst nicht gelungen sei, wirksamen und Protest gegen die größten Reallohnverluste in der Geschichte der Bundesrepublik zu formieren und sich dabei auch klar gegen den Wirtschaftskrieg des Westens gegen Russland zu positionieren.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.