Zapfenstreich für Christine Lambrecht

Nach dem Rücktritt der Verteidigungsministerin wird über ihre Nachfolge spekuliert

Seit ihrer Neujahrsbotschaft auf Instagram waren die Rufe nach einem Rücktritt von Christine Lambrecht insbesondere von Seiten der Unionsparteien immer lauter geworden. Am Montag war es soweit: Die Bundesverteidigungsministerin bat um ihre Entlassung, Kanzler Olaf Scholz nahm das Gesuch an.

In einem »Tagesbefehl« Lambrechts an die Soldatinnen und Soldaten, in dem sie über ihre bevorstehende Entlassung informiert, erklärt sie, ihr Rücktritt sei »ein schmerzhafter Schritt, weil ich dieses verantwortungsvolle Amt mit voller Überzeugung und ganzer Kraft ausgeübt habe«. Der »wertvolle Dienst« der Bundeswehrangehörigen und ihr Dienst an »der Gemeinschaft« habe sie »täglich aufs Neue motiviert«, schreibt die SPD-Politikerin. Aufgrund der ausufernden Befassung der Medien mit ihrer Person in den letzten Monaten könne sie ihrem Anspruch, »die Dinge in der und mit der Bundeswehr zum Besseren zu verändern«, nicht mehr gerecht werden, begründet sie ihren Abschied vom Amt.

Die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann sagte am Montag, der Bundeskanzler respektiere die Entscheidung Lambrechts und danke ihr »für die gute Arbeit, die sie in dieser schwierigen und herausfordernden Zeit als Verteidigungsministerin geleistet hat«. Aus »Respekt vor der Entscheidung der Ministerin« werde die Entscheidung über die Nachfolge »aller Voraussicht nach« nicht mehr am Montag verkündet. Dabei sei für Scholz auch die Parität der Geschlechter im Kabinett »wichtig«.

Interessanterweise nannte der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Florian Hahn (CSU), die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl (SPD), als geeignete Nachfolgerin. Wie CDU-Generalsekretär Mario Czaja mahnte auch FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai eine schnelle Neubesetzung des Ministeriums an. Der Krieg in Europa lasse keine Zeit, sagte er in Berlin. Der FDP gehe es bei der Nachbesetzung ganz allein um die Kompetenzfrage.

Die meiste Kompetenz sprachen diverse Medien bereits vor dem offiziellen Rücktritt Lambrechts SPD-Chef Lars Klingbeil zu, der »aus einer Offiziersfamilie« stamme. Der Reservist der Bundeswehr war zudem als Bundestagsabgeordneter bereits viele Jahre Mitglied des Verteidigungsausschusses. Die genannten Kommentatoren bedauerten zugleich vorausschauend, für die Ampel zähle die Quote und nicht Sachkenntnis.

Klingbeil selbst erklärte, er zolle Lambrecht Respekt. Sie habe das Verteidigungsministerium in einer »außen- und sicherheitspolitischen Ausnahmesituation übernommen«, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Sie habe »gemeinsam mit Bundeskanzler Olaf Scholz dafür gesorgt, dass wir mit dem 100 Milliarden Euro Sondervermögen die Bundeswehr endlich wieder auf die Höhe der Zeit bringen können«. Zudem habe sie »viele ganz konkrete Verbesserungen für die Truppe angestoßen, bei der persönlichen Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten etwa oder auch bei den finanziellen Spielräumen für die Kommandeure vor Ort«.

Der SPD-Chef hatte sich in den vergangenen Monaten mit der Forderung profiliert, dass Deutschland auch militärisch wieder internationale »Führungsmacht« werden müsse, weil das von vielen Regierungen erwartet werde. »Nach knapp 80 Jahren der Zurückhaltung hat Deutschland heute eine neue Rolle im internationalen Koordinatensystem«, hatte er im Juni in einer Grundsatzrede verkündet und hinzugefügt: »Friedenspolitik bedeutet für mich, auch militärische Gewalt als ein legitimes Mittel der Politik zu sehen.«

Am Montag war Lambrecht nach Angaben eines Sprechers nicht im Verteidigungsministerium, zudem sei unklar, ob sie dort noch einmal erscheinen werde. Formell bleibe sie so lange Ressortchefin, bis sie die Entlassungsurkunde vom Bundespräsidenten erhalten habe. Das Ministerium sei »nicht führungslos«, betonte der Sprecher. Dass Lambrecht nicht anwesend sei, bedeute ja nicht, »dass sie nicht ansprechbar ist und dass man sie nicht erreichen kann«. Es sei davon auszugehen, dass sie wie bei Demissionen üblich mit einem Großen Zapfenstreich aus dem Amt verabschiedet werde.

Die Vorsitzende der Linken, Janine Wissler, kommentierte den Rücktritt Lambrechts mit den Worten: »Wenn denn Peinlichkeit ein Maßstab wäre, dann hätten Herren wie Scheuer oder Spahn oder Lindner ja auch längst zurücktreten müssen.« Das Problem im Fall der Verteidigungsministerin seien indes nicht »peinliche Silvestervideos«, sondern »dass so viel Geld verpulvert wird an die Rüstungsindustrie, durch ein teils desolates Beschaffungswesen, aber auch dadurch, dass eben immer weiter auf Aufrüstung gesetzt wird«.

Nach Ansicht des verteidigungspolitischen Sprechers der Linksfraktion im Bundestag, Ali Al-Dailami, wurde Lambrecht indes »von Union, Grünen und FDP« letztlich »aus dem Amt gejagt, «weil sie ihnen in Sachen Waffenlieferungen ins ukrainische Kriegsgebiet zu zögerlich war». Dabei sei ihre «schwerwiegendste Verfehlung» gewesen, dass sie die «Scholzsche ›Zeitenwende‹-Politik» samt «maßloser Aufrüstung» stets mitgetragen habe, sagte Al-Dailami.

Żaklin Nastic, Obfrau der Linken im Verteidigungsausschuss des Bundestages, geht davon aus, dass der Nachfolger oder die Nachfolgerin von Lambrecht die Aufrüstungspolitik der Bundesregierung und die Belieferung der Ukraine mit immer schwereren Waffen durch Deutschland weiter umsetzen wird. Hier erwarte sie «keine substanziellen Veränderungen». «Im Sinne der Bevölkerungen der Ukraine, Russlands, Europas und der ganzen Welt bräuchte es aber jemanden mit kühlem Kopf, der auf diplomatische Bemühungen hinwirkt, statt uns alle einer unkalkulierbaren Gefahr auszusetzen», sagte Nastic.

Ein Kommentator im von dem Journalisten Thomas Wiegold betriebenen Blog «Augen geradeaus!» zu Bundeswehr und Militärpolitik sieht die Gründe für das Scheitern Lambrechts ebenfalls nicht in ihrer Person. Das «Grundproblem» für sie sei zum einen gewesen, dass zum Zeitpunkt ihrer Ernennung im Dezember 2021 die Kriegsgefahr in der Ukraine «längst bekannt» gewesen sei. Der Kommentator macht Olaf Scholz verantwortlich: Der Kanzler habe wohl nicht daran glauben wollen, «dass Putin tatsächlich Krieg anfängt, trotz der amerikanischen Warnungen». Deshalb sei mit Lambrecht zwar «eine erfahrene Ministerin ausgesucht» worden, ihre Schwäche sei aber gewesen, dass sie keinerlei Vorkenntnisse in der Außen- und Sicherheitspolitik und keine «Affinität zur Truppe» habe. Sie habe das «Mangelressort» nur verwalten sollen, im Koalitionsvertrag der Ampel sei von der am 27. Februar 2022 von Scholz verkündeten militärpolitischen Zeitenwende noch nichts vermerkt gewesen.

Der Kommentator scheint einige Interna zu kennen, meint er doch, dass Lars Klingbeil, Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt und Arbeitsminister Hubertus Heil schon dankend abgelehnt hätten, während die Wehrbeauftragte Högl nicht das Vertrauen des Kanzlers habe. Dagegen habe die von den Medien hofierte FDP-Militärpolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann «das falsche Parteibuch». Abzuwarten bleibt, ob der anonyme Szenekenner richtig liegt, wenn er es für möglich hält, dass Scholz sich für den früheren Regierenden Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, entscheidet, der zuletzt durch sein Eintreten für mehr Diplomatie und gegen Schützenpanzerlieferungen auffiel.

Lambrecht wird derweil materiell weiter gut dastehen. Dem Bundesministergesetz zufolge kann sie nach dem Ausscheiden aus ihrem Amt drei Monate lang volle Bezüge erhalten, nach Angaben des Bundes der Steuerzahler insgesamt 50 445 Euro. Bundesminister verdienen immerhin 16 815 Euro monatlich. Das Übergangsgeld wird aber ab dem zweiten Monat mit privaten Einkünften verrechnet. Sollte Lambrecht keinen neuen Job annehmen, erhält sie nach den drei Monaten bis zu 21 Monate noch das halbe Amtsgehalt. Alles in allem steht ihr also ein Übergangsgeld in Höhe von rund 227 000 Euro zu.

Mit dem Renteneintrittsalter kommt das sogenannte Ruhegehalt dazu. Wer mindestens vier Jahre lang Bundesministerin oder Bundesminister war – Lambrecht wurde 2019 Justizministerin – erhält eine Pension von 4660 Euro pro Monat. Mit jedem weiteren Jahr als Regierungsmitglied steigt die Pension um 400 monatlich bis maximal 12 060 Euro.

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