Schönheit um jeden Preis

Zum Tode der Schauspielerin Gina Lollobrigida

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 5 Min.
Schön und selbstbewusst: Gina Lollobrigida, 1956 in Rom. Foto: imago images/Leemage
Schön und selbstbewusst: Gina Lollobrigida, 1956 in Rom. Foto: imago images/Leemage

Als sie 1930 (mit drei Jahren!) zum schönsten italienischen Kleinkind gewählt wurde, musste man für ihre Zukunft fürchten. Wurde da jemand vermarktet, solange der schöne Schein reichte und dann kam der unvermeidliche Absturz? Gleich nach Kriegsende 1945 war sie bei Misswahlen (zweiter Platz »Miss Roma«, dritter Platz »Miss Italia«) ganz vorn dabei – und für die Allermeisten wäre dies ein Weg in die Sackgasse gewesen. Dann müsste man hier nicht einen Nachruf auf »Gina Nazionale« schreiben, die am 16. Januar in Rom mit 95 Jahren an den Folgen eines Sturzes starb.

Noch im vergangenen Sommer posierte sie – perfekt zurechtgemacht wie immer – vor Fotografen. Da kandidierte sie für das Linksbündnis Italia Sovrana e Popolare, dem auch die Kommunistische Partei angehört. Kurz zuvor hatte ihr Sohn juristisch einen Vormund durchgesetzt, der über ihr Vermögen wachen sollte, weil er seine Mutter von immer jüngeren Männern finanziell ausgebeutet sah. Einen Tag später saß die derart Gedemütigte samt Anwalt protestierend in einer Talkshow. Nein, sie hatte nicht den Verstand verloren, sie lebte, wie es ihr gefiel, und junge Männer gefielen ihr – schon immer. Das Geld, das sie für sie ausgab, hatte sie schließlich selbst verdient. Ernährer brauchte sie nicht. Und als 1971 auch im katholischen Italien die Scheidung möglich wurde, nahm sie dieses Recht sofort für sich in Anspruch.

Sie stand mit ihrer Kämpfernatur als selbstbewusste schöne Frau wie eine Zukunftsvision vor einem alten und hässlich gewordenen Italien. Gegen das von Mussolinis Faschisten und das der Katholischen Kirche. Vielleicht war es eine entscheidende Erfahrung für sie gewesen, dass die Möbelfabrik ihres Vaters samt Wohnhaus in Subiaco in den letzten Kriegswochen zerstört wurde. Bis dahin hatte sie sich für ein wohlhabendes junges Mädchen aus besserem Hause gehalten, mit privatem Tanz-, Gesangs- und Zeichenunterricht. Und nun stand die Familie vor dem Nichts, sie als zweitälteste Tochter musste jetzt Geld verdienen – und das tat sie.

Diese Entschiedenheit, trotz katastrophaler Ausgangsbedingungen erfolgreich zu werden, prägte ihren Weg in den Fünfzigerjahren. Damit konnten sich viele Italiener identifizieren. Unbändig im wahrsten Sinne des Wortes war sie, wie die wilde Esmeralda an der Seite von Anthony Quinn im »Glöckner von Notre Dame« von 1956. Nie verließ sie sich auf »hilfreiche« Männer, die anboten, ihr den Weg ins Filmgeschäft zu ebnen. Stattdessen erlangte sie 1945 ein Stipendium für Bildhauerei und Malerei am Liceo Artistico in Rom, spielte nebenbei in einem kleinen römischen Theater, bekam Statistenrollen im Film und hatte 1952 an der Seite von Gérard Philipe in »Fanfan, der Husar« einen ersten internationalen Erfolg.

Und so wurde auch »Gina nazionale« schnell »Gina internazionale«. Ganz Italien blickte ohne Neid auf ihren Weg nach Hollywood und wusste, dass sie ihre Herkunft nicht verleugnen würde. Aber es ist seltsam, die Erfolgsfilme jener Jahre wie »Schach dem Teufel« von 1953 (zu dem Film schrieb Truman Capote mit am Drehbuch), samt einem wie auf Autopilot agierenden Humphrey Bogart und mit Peter Lorre als Schatten seiner selbst oder auch »Die Strohpuppe« von 1964 mit Sean Connery als üblem Intriganten, der die von Gina Lollobrigida gespielte Krankenschwester in ein Mordkomplott verwickelt – sie alle wirken seltsam verstaubt. Das ist bloß Mittelmaß für den Massengeschmack von einst. Und die Frauenfiguren sind doch wieder Abziehbilder, erotische Beigabe zu den männlichen Hauptdarstellern.

Das ist die Tragik der so selbstbewussten und gewiss auch talentierten Gina Lollobrigida: Die insgesamt siebzig Filme, in denen sie mitspielte, waren zwar meist an der Kasse erfolgreich, aber künstlerisch zweitklassig. Sie waren Begleit-Filme zum wirtschaftlichen Aufschwung der Fünfzigerjahre, etwas freizügiger und freigeistiger als bisher, aber doch im Rahmen einer konventionellen Ästhetik.

Genau zu dieser Zeit, als Gina Lollobrigida in Hollywood erfolgreich wurde, ging ein Hollywoodstar mit sicherem künstlerischem Instinkt den umgekehrten Weg: Ingrid Bergman drehte in Italien mit Roberto Rosselini Filme wie »Stromboli«, keine internationalen Erfolgsprodukte, aber unsterbliche Filmkunst.

Ganz am Anfang ihrer Laufbahn hatte Gina Lollobrigida mit Vittorio de Sica zusammen gespielt, der das Kunststück fertigbrachte, als Schauspieler alte italienische Operettenmanier zu verkörpern, aber als Regisseur mit dem Neorealismus eine ganz neue Ästhetik zu schaffen – und das zumeist mit Sophia Loren in der Hauptrolle. Gina Lollobrigida dagegen verpasste die wirklich innovativen Regisseure, in deren Filmen andere Schauspielerinnen zu Ikonen ihrer Zeit wurden. Brigitte Bardot etwa in Jean-Luc Godards »Verachtung« oder Claudia Cardinale in kaum mehr dreißig Sekunden als Traumbild in Fellinis »Achteinhalb«. Dieses Glück hatte sie nicht.

Aber zur Größe Gina Lollobrigidas gehörte, dass sie das sehr klar sah und in den siebziger Jahren kurzentschlossen die Seiten wechselte. Sie wurde Fotografin und drehte auch Dokumentationen, unter anderem über Fidel Castro. Vier Bildbände entstanden. Mit über achtzig Jahren nahm sie noch einmal Unterricht in Bildhauerei – und arbeitete fortan an großformatigen Figuren, zumeist ihren Filmrollen nachempfunden. Zwecks besserer Vermarktung ihrer Plastiken gründete sie sogar eine eigene Ladenkette.

In einem Interview sagte die bereits über Neunzigjährige, man dürfe nie aufhören mit den Widerständen zu kämpfen, die einem das Leben in den Weg stelle. Sie tat eigensinnig, was immer sie für richtig hielt, auch als Jury-Präsidentin der Berlinale 1986. Da distanzierte sie sich öffentlich von der Mehrheitsentscheidung der Jury für Reinhard Hauffs »Stammheim« über die RAF, der den Goldenen Bären erhielt. Diesen Film fand sie »widerlich«.

Das Gezeigte war gewiss schrecklich, aber dass der Film gerade wegen seines Muts zur Hässlichkeit Bedeutsamkeit erlangte, blieb ihr verborgen. Es verschloss sich ihrem Sinn für Schönheit, über den sie nicht mit sich handeln ließ.

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