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Infiltration im Staatsauftrag?
Rechtsradikale haben in Russland versucht, linke Strukturen zu unterwandern
Für die beiden Mitglieder eines sozialistischen Zirkels in der russischen Millionenstadt Wolgograd ist die Sache gerade noch einmal glimpflich ausgegangen. Wie der linke Telegram-Kanal »dialectic.club« berichtet, erhielt der Zirkel vor einiger Zeit Zuwachs von Menschen, die sich angeblich für den Marxismus interessierten. Doch statt mit den Mitgliedern des namentlich bisher nicht bekannten Zirkels über Kapital und Proletariat zu diskutieren, riefen die Neuen zu Aktionen auf, auf die jedoch niemand einging.
Als die Provokation fehlschlug, lockten die vermeintlichen Genossen zwei der Zirkel-Mitglieder in einen Hinterhalt und bedrohten sie dort mit Messern. Zwar konnten die Angegriffenen sich im letzten Moment losreißen, dabei wurde jedoch eine Person durch einen Schuss aus einer Gaspistole im Gesicht verletzt. Passanten riefen schließlich die Polizei, die offiziell Ermittlungen aufgenommen hat. Noch versuchen linke und oppositionelle Medien Licht ins Dunkel zu bringen, warum der Zirkel unterwandert werden sollte. Klar scheint hingegen zu sein, dass die angeblichen Marxisten Mitglieder der rechtsradikalen Organisation »Russkij korpus« (»Russisches Korps«) sind.
Hetze gegen Migranten und LGBT
Das »Russische Korps« ist eine eher kleine rechte Gruppierung. Im sozialen Netzwerk Vkontakte erreichen die Nationalisten gerade mal drei Dutzend Personen, auf Telegram sind es allerdings mehr. Dort bekennen sie sich zum Christentum und zum russischen Nationalismus in seiner konservativ-antikommunistischen Variante. Ihre »russische Identität« sehen die Rechten, die gerne klassisch in Springerstiefeln mit weißen Schnürsenkeln auftreten, durch Migration, LGBT, Drogen und generell den »Materialismus der modernen Welt« bedroht und kämpfen dagegen an.
Viele ihrer Meldungen über angebliche kriminelle »Gastarbeiter« und homosexuelle Pädophile werden von mehr oder weniger offenen Aufrufen zur Lynchjustiz begleitet. Mit dem Ziel, » eine starke Gesellschaft starker Menschen in einem starken Staat« zu errichten, ist das »Russische Korps« russlandweit aktiv, doch die meisten ihrer Aktionen konzentrieren sich auf Wolgograd. Von dort posteten die »starken Menschen« seit Dezember vermehrt Drohungen gegen all jene, die in der Stadt linke Aufkleber anbringen.
Anführer hat in der Ukraine gekämpft
Dass das »Russische Korps« seine Gewaltfantasien auch auslebt, beweist der Gründer Iwan Morosow, Kampfname »Rarog«. 2020 wurde er wegen Volksverhetzung angeklagt und sitzt seit vergangenem Sommer in Untersuchungshaft, nachdem er zusammen mit Mitstreitern bei der Jagd auf »marginale Persönlichkeiten und Pädophile« eine Gruppe Jugendlicher zusammengeschlagen hatte, die in der Öffentlichkeit Alkohol trank. In nationalistischen Kreisen läuft seitdem eine Solidaritätskampagne für ihn.
Kampferfahrung hatte Morosow vor der Gründung seines Korps gesammelt, als er zwei Jahre in den Reihen einer Miliz Freiwilliger im Donbass war. Dass Name und Symbole seiner Organisation dem »Russischen Schutzkorps Serbien« (RSS) ähneln, ist wohl kein Zufall. Gemeinsam mit den Nazis kämpfte das RSS im Zweiten Weltkrieg gegen jugoslawische Partisanen. Auch andere russische Nazi-Kollaborateure sind für Morosow Vorbilder. Wie das mit der offiziellen Propaganda und dem »Kampf gegen Faschisten in der Ukraine« zu vereinbaren ist, dazu hat er kein Wort verloren.
Umso mehr verwundert, dass sich das »Russische Korps« trotz offener Unterstützung für den Krieg in der Ukraine in Bezug auf Russlands Präsident Wladimir Putin auffällig zurückhält. Zumal die Losungen sowohl das Kreml-Lager als auch die Nationalisten in der Opposition ansprechen. In linken Kreisen wird deshalb vermutet, dass hinter dem Versuch, die Marxisten zu unterwandern und zu Straftaten anzustiften, staatliche Auftraggeber stecken könnten.
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