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Baustoff mit Selbstheilungskräften
Beton aus dem alten Rom ist haltbarer als heutiger. Wissenschaftler entschlüsseln die antike Rezeptur
Römischer Beton ist unverwüstlich: Auch nach 1900 Jahren beeindruckt die riesige Kuppel des Pantheons, und selbst 2000 Jahre alte antike Hafenanlagen erweisen sich als haltbarer als moderne Betonmolen. Wie es den Römern gelang, einen Baustoff herzustellen, der sich selbst repariert, gab der Wissenschaft lange Rätsel auf. Doch nun haben Forscher einen weiteren Teil seiner Geheimnisse enthüllt.
Während hierzulande Autobahnen vom »Betonkrebs« Risse bekommen und Brücken zerbröseln, waren die Baumeister im antiken Rom bereits wesentlich weiter: Sie verfügten über unterschiedliche spezielle Rezepturen, mit denen sie ressourcenschonend Beton produzierten, der den modernen Beton auf Basis von »Portlandzement« qualitativ in den Schatten stellt.
Deshalb versuchen Wissenschaftler seit Jahrzehnten, dem verloren gegangenen Wissen um »opus caementitium« (so die Bezeichnung des römischen Betons) auf die Spur zu kommen, um es für heutige Bauwerke nutzbar zu machen.
Nun ist ein Forscherteam um Linda Seymour und Admir Masic vom MIT in Boston in Zusammenarbeit mit italienischen Wissenschaftlern der Entschlüsselung des Rätsels einen weiteren Schritt nähergekommen, wie ihr im Januar 2023 veröffentlichter Forschungsbericht belegt.
Bereits vor wenigen Jahren hatten andere Forschungen offengelegt, dass der römische Beton Vulkanasche als Zusatzstoff enthielt, die ihm eine enorme Stabilität und Dauerhaftigkeit verlieh. Besonders verblüffend war dabei die Entdeckung, dass der Beton damit für die Verwendung für Hafenanlagen, Molen und Wasserleitungen prädestiniert zu sein schien – alles Einsatzbereiche, bei denen moderner Beton noch schneller schlappmacht als auf dem Trockenen. Als »Clou« an der Verwendung von Vulkanasche erweisen sich darin enthaltene Stoffe, »Puzzolane« genannt, und deren Reaktion mit Meerwasser. Anstatt den Beton zu schwächen, löst der Kontakt mit Wasser eine chemische Reaktion aus, die ihn wesentlich langlebiger und resistenter gegenüber Wasser macht.
So setzten also die Römer bewusst genau das als Produktionsmethode ein, was die heutige Betonherstellung auf jeden Fall vermeiden möchte: chemische Reaktionen, die innerhalb des verbauten Betons ablaufen.
Millimetergroße Kalkeinschlüsse
Allerdings blieben die genaue Rezeptur des »Wunderbetons« und seine Wirkweise immer noch ungeklärt, obwohl heutzutage auch künstlich hergestellte Puzzolane verwendet werden. Die neuesten Forschungsergebnisse zeigen nun, dass Puzzolane nicht die einzige besondere Zutat der Römer bei der Betonherstellung waren. Hatte man bis dato vermutet, dass millimetergroße Einschlüsse in Form von weißen Kalkbröckchen, die man im Beton fand, bloße Verunreinigungen darstellten, sah sich das MIT-Team diese genauer an. Es schien nicht schlüssig, dass die Römer einerseits oben beschriebene technische Kniffe bei der Produktion anwendeten, aber gleichzeitig so nachlässig arbeiteten, dass ungewollt grobe Verunreinigungen entstehen konnten.
Mithilfe des Elektronenmikroskops und modernster Labormethoden untersuchte das Forschungsteam des MIT daraufhin Proben aus der rund 2000 Jahre alten Stadtmauer des antiken Pivernum. Dabei gewannen die Wissenschaftler die Erkenntnis, dass gerade diese Bröckchen enorm zur Wasserfestigkeit des Materials beitragen. Denn die Römer verwendeten zwar normalerweise gelöschten Kalk zur Produktion ihres »opus caementitium«.
Allerdings gab es auch die noch wesentlich effektivere Variante, diesen durch trockenen Branntkalk zu ersetzen. Auf diesem Wege konnten sie bei geringer Temperatur eine exotherme Reaktion freisetzen, die sonst nur unter extremer Hitze stattfindet und so die Bröckchen erzeugen. Falls dann später Poren oder Risse entstehen und Wasser in den Beton eindringt, löst sich Kalzium aus ihnen, sodass Kalziumkarbonat entsteht. Dieses wiederum tritt in eine Reaktion mit der Vulkanasche: Die Lücken im Beton werden so wieder geschlossen, das Material »heilt« sich selbst.
Um das Ganze im Labor zu erproben, stellten die Forscher auf Basis dieser Erkenntnisse unterschiedliche Betonmischungen her. Den produzierten Beton spalteten sie und fügten ihn danach so zusammen, dass ein Spalt von 0,5 mm verblieb. Nachdem sie kontinuierlich Wasser darüberlaufen ließen, war das Ergebnis wie vermutet: Während das Wasser durch den Beton ohne Einschlüsse nach 30 Tagen ungehindert weiterfloss, hatte sich der Spalt in dem Beton mit Bröckchen fast komplett geschlossen: Der ungelöschte Kalk hatte sich in Verbindung mit dem Wasser in gelöschten Kalk umgewandelt, der mineralisierte und damit den Spalt wieder auffüllte.
Ökonomische und ökologische Vorteile
Nun setzen die Forscher alles daran, die alte Rezeptur bis ins kleinste Detail zu entschlüsseln, um sie auch heutzutage nutzbar zu machen. Schließlich ist der moderne Beton nur auf eine Lebensdauer von 50 bis 150 Jahren ausgelegt und erreicht diese oft nicht einmal annähernd. Eine längere Haltbarkeit, weniger Reparaturanfälligkeit und ebensolche Selbstheilungskräfte stünden natürlich auch modernen Bauwerken gut zu Gesicht, zumal andere innovative Selbstheilungstechniken, wie z.B. durch Bakterien, teuer sind – und natürlich nicht so lange erprobt wie die römische Methode.
Wenn man Zement und Beton auch bei geringeren Temperaturen herstellen könnte, wäre dies ein Beitrag, um die CO2-Emissionen zu senken, an denen die Zementproduktion mit acht Prozent beteiligt ist. Außerdem wäre es angesichts von 19 Milliarden Tonnen Beton, die jährlich weltweit verbaut werden, ökonomisch und ökologisch von enormem Vorteil, wenn diese ebenso haltbar sein könnten wie antike Wasserleitungen, die teilweise heute noch ganz selbstverständlich ihren Beitrag zur Wasserversorgung italienischer Städte leisten.
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