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Knapp daneben ist gerade richtig

Eine Hommage an Florence Foster Jenkins

  • Olga Hohmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Florence Foster Jenkins wurde bekannt als »schlechteste Königin der Nacht der Welt« – andere Spitznamen, die sie von ihrem schaulustigen Publikum bekam, waren »Diva der falschen Töne« oder »Königin der Dissonanzen«. Sie wurde 1868 in Pennsylvania als Tochter eines reichen Anwalts und Bankers geboren und als musikalisches Wunderkind bezeichnet. Sie hatte schon früh den Wunsch, Gesang zu studieren – was ihr allerdings von ihrem Vater ausgeredet wurde, der sich außerdem weigerte, das Studium zu finanzieren. Von ihrem ersten Ehemann, dem Arzt Frank Thornton Jenkins, wurde sie mit Syphilis angesteckt und anschließend mit Quecksilber und Arsen von der Krankheit »kuriert«, was dazu führte, dass sie alle Haare verlor, die ihr Leben lang nicht nachwuchsen, weshalb sie (immer pompöser werdende) Perücken trug. Es ist möglich, dass die Krankheit und die Behandlungsmethoden ebenfalls ihr Gehör und ihr zentrales Nervensystem beschädigten.

Foster Jenkins trennte sich 1902 von ihrem Mann und fing an, als Klavierlehrerin zu arbeiten. Als ihr Vater 1909 verstarb, vererbte er ihr so viel Geld, dass sie als Mäzenin für klassische Musiker*innen arbeiten und selbst Gesangsunterricht nehmen konnte. Mit 44 Jahren gab sie ihr erstes Konzert. Das Publikum johlte, pfiff und applaudierte – es war unklar, ob es sich um Buhrufe oder Standing Ovations handelte. Die Zuhörer*innen befanden sich in einem voyeuristischen Taumel, bei dem ununterscheidbar wurde, ob man die arme Sängerin auf der Bühne auslachte oder, im Gegenteil, begeisterte Ehrfurcht vor ihrer vergeblichen Hingabe hatte.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist, und versucht es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen.
dasnd.de/hohmann

Auch Florence selbst vermittelte uneindeutige Informationen – ihr Selbstbewusstsein grenzte an Selbstvergessenheit, gleichzeitig konnte es ihr nicht entgangen sein, dass das Publikum sie in Wirklichkeit »auslachte«. Es ist also in gewisser Weise eine großzügige Geste, dass sie ihrem öffentlichen Scheitern so viel Raum gab. Florence Foster Jenkins war nicht nur eine buchstäblich hervorragende Interpretin von Mozarts »Zauberflöte« (und anderen Classic Hits), sie war auch eine Unterhaltungskünstlerin, eine augenzwinkernde Grande Dame des schönen Scheiterns.

All das passierte zu einer Zeit, in der Frauen noch nicht in einer Position waren, sich Raum zu nehmen, wenn er ihnen nicht, zum Beispiel angesichts durch Selbstkontrolle und Disziplin erlangter Virtuosität, von außen zugesprochen wurde. Florence Foster Jenkins aber begann eine Karriere auf eigene Faust, das heißt nach ihren eigenen (mehr oder weniger bewusst aufgestellten) Regeln, und erschuf sich damit ihre eigene Art des Erfolgs. Natürlich bleibt die Geschichte dennoch tragikomisch, denn die Ernsthaftigkeit, mit der sie ausdauernd, aber vergeblich versuchte, Perfektion in dem Handwerk zu erlangen, trug zur Schönheit ihres Failures bei. Akzeptanz und Verbissenheit hielten sich bis zum Schluss die Waage.

Mit 76 Jahren wurde die vom Publikum liebevoll Florence Foster Nightingale genannte Amateursängerin (und Profi-Entertainerin) in die Carnegie Hall eingeladen und sang dort ihr bislang größtes Konzert. Es war ein herrlicher (Miss-)Erfolg, die Karten waren schon Wochen vorher ausverkauft und wurden auf dem Schwarzmarkt zu riesigen Summen gehandelt. Einen Monat später verstarb Florence an einem Herzinfarkt. Auf ihrem Sterbebett soll sie gesagt haben: »Leute können sagen, ich kann nicht singen, aber niemand kann sagen, ich hätte nicht gesungen.« Dennoch gibt es die These, dass sie aus Herzschmerz über die »schlechten« Kritiken ihres einmaligen, one-of-a-kind, Konzerts gestorben sein soll.

Dieser Text ist eine Hommage. Ein Nachruf, aus keinem aktuellen oder historischen Anlass geschrieben, sondern weil es sich eigentlich jeden Tag lohnt, sich an die Richtigkeit der schiefen, der schrägen, der (ver-)queren Töne zu erinnern. Weil Kontrolle und Transgression, Virtuosität und Überschreitung näher beieinanderliegen, als man vielleicht annimmt. Und weil man die Regeln für die Kunst selbst aufstellen darf, selbst für die in Germany sogenannte E-Musik. Weil es gut ist, sich nicht unterzuordnen, selbst wenn man es gerne würde. Und weil es gut ist, zu viel zu sein, den Raum (durch sich selbst) neu zu strukturieren – science is fiction anyway. Denn am Ende zählt tatsächlich die Leidenschaft, zumindest solange sie niemandem wehtut, zumindest solange sie mindestens in den Ohren wehtut. Denn: Wie man vor zehn Jahren gesagt hat: YOLO (you only live once). Oder wie meine Freundin A. sagt: Ten Points for Passion. Was so viel heißen soll wie: Der Versuch ist alles oder – in Foster Jenkins’ Fall: Knapp daneben ist gerade richtig.

Florence Foster Nightingale, this one’s for you. I am your biggest fan. And there are many.

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