»Vieles ist heute nicht mehr denkbar«

Hark Empen über Diversität im Theater und die kulturelle Einöde Nordfrieslands

  • Leonie Ruhland
  • Lesedauer: 6 Min.
Der Hamburger Hark Empen setzt sich in der künstlerischen Szene für eine diverse und inklusive Repräsentation ein.
Der Hamburger Hark Empen setzt sich in der künstlerischen Szene für eine diverse und inklusive Repräsentation ein.

Herr Empen, Sie sind im Theaterkollektiv Stückliesel aktiv, von dem zuletzt eine queerfeministische Verarbeitung des »Schwanensees« lief. Was genau bedeutet das?

Interview

Hark Empen, 32, ist viel in der künstle­ri­schen Szene aktiv, wo er sich für eine diverse und inklusive Repräsentation einsetzt. Er hat Soziologie und Politikwissenschaften studiert und lebt gemeinsam mit zehn ande­ren Menschen in einer WG im Ham­bur­ger Stadtteil Wilhelmsburg.

Ballettstrukturen kenne ich zwar selbst nicht so gut, weil ich nicht aus dem Tanz komme, aber man kennt das Klischee von dünner als normschönen Körpern, die ihr Leben lang trainieren, um diese Form einzunehmen und sie zu perfektionieren. Zudem gab es in der Szene in den letzten Jahren in verschiedenen Städten wie Berlin, Leipzig und Zürich krasse Rassismus- und Sexismusprobleme und trotzdem bleibt der große Aufschrei aus. »Swan Fate« hingegen thematisiert genau das auch im Stück. Und was es außerdem besonders macht, ist der Zugang. Es gab eine Audiodeskription, die permanent für alle im Raum erzählt, was auf der Bühne passiert, damit Blinde und Sehbeeinträchtigte einen Zugang zum Tanz haben. Vor der Aufführung darf das Publikum bei einer Tast-Tour das Bühnenbild, die Kostüme und die Performer*innen anfassen, während diese bestimmte Bewegungen machen, die parallel mit Adjektiven beschrieben werden. Die Worte wiederum tauchen dann immer wieder im Stück auf, wodurch blindes oder sehbehindertes Publikum die Bewegungen wiedererkennen kann. Auch Dramaturg*innen selbst waren taub und sehbeeinträchtigt. Zudem gab es vor dem Stück eine Einführung in deutscher Gebärdensprache (DGS). 

Das klingt beeindruckend. Wie wurde das vom Publikum angenommen?

Das lief supergut. Es war ausverkauft und gab auch gute Artikel in der Presse. Was mich besonders gefreut hat, ist, dass wir tatsächlich die Menschen erreicht haben, die sonst nicht in Tanzstücke kommen. Es waren einige Menschen da, die blind oder sehbehindert sind, und es war eine ganze Community an Menschen vor Ort, die sich in DGS unterhalten hat.

Als PR-Manager lag Ihr Fokus auch auf der Zugänglichkeit. Was genau bedeutet das in der Vorarbeit?

Die Choreografin, Ursina Tossi, macht schon lange Tanzstücke für blindes und sehbehindertes Publikum. Wir arbeiten nun seit anderthalb Jahren zusammen. Dadurch wissen wir, wie bestimmte Abläufe sein sollten, um diese Menschen zu erreichen. Wir haben schon länger eine Kooperation mit dem Blinden- und Sehbehindertenverein in Hamburg, mit dem wir Texte der Pressematerialien abstimmen. Zum Beispiel gibt es auf Social Media eine Bildbeschreibung, die von einem Screenreader vorgelesen wird. Dann muss man die Stunde vor dem Tanzstück planen: Die Touch-Tour muss mit dem Haus koordiniert werden, es muss klar abgestimmt sein, wo der Treffpunkt ist, wo die Leute abgeholt werden. Das sind vor allem Kommunikations- und Koordinationsaufgaben. 

Stückliesel hat sich der Verbreitung von politischen und gesellschaftskritischen Sichtweisen verschrieben. Wie kann ich mir das Konzept des Kollektivs vorstellen?

Wir bewegen uns in der freien Szene. Das bedeutet, wir sind nicht an festen Häusern, deren Strukturen relativ veraltet sind. Dort gibts eine Intendanz, eine Regie und alles andere hat sich unterzuordnen. Stattdessen geht es um Künstler*innengruppen, die unabhängig von diesen Strukturen agieren. Die Arbeitsweise kann man sich so vorstellen, dass eine Gruppe sechs Wochen an einem Stück arbeitet, dann folgen vier Aufführungen, und wenn man Glück und Kontakte hat, an einem anderen Ort nochmals ein paar wenige Aufführungen. Wir begleiten diese Gruppen und kümmern uns um die organisatorischen Abläufe. Wir helfen also beim Prozess, die Stücke zu realisieren. Es werden immer wieder interessante politische Themen verhandelt. Wir sehen aber, dass das leider nicht besonders nachhaltig passiert.

Und diese fehlende Nachhaltigkeit soll aufgebrochen werden.

Genau. Zum Beispiel hatten wir im Sommer ein Projekt auf dem Artville, bei dem wir einzelne Figuren aus Theaterstücken aufs Festival geholt haben. Wir veranstalteten Workshops mit ihnen und sie sind als Walking Acts übers Gelände gelaufen. Dadurch konnten wir das Material des Bühnenstücks wiederverwenden und die Figuren eins zu eins mit dem Publikum in Kontakt treten lassen. So haben wir quasi das Theater zu den Leuten geholt, anstatt zu versuchen, die Leute ins Theater zu holen.

Das Ziel bei Stückliesel, Menschen eine Bühne zu geben, gilt auch für die von Ihnen mitgegründete Booking-Agentur eq:booking, nur dass Sie sich hier im musikalischen Bereich bewegen.

Stimmt. Eq:booking haben wir 2017 ein bisschen aus der Not heraus gegründet. Weil Veranstalter*innen immer wieder meinten, sie würden keine weiblichen DJs kennen. Es ging also um Repräsentation, aber auch um ein konkretes Netzwerk an Menschen mit queerfeministischen Ansichten, die Musik machen. Unsere Aufgabengebiete waren immer fluide. Eigentlich organisieren wir Bookings für Künstler*innen, aber wir machen auch Showcases und kooperieren mit Kollektiven, die ähnliche Visionen wie wir haben. In einzelnen Fällen positionierten wir uns oder waren mit Betroffenengruppen in Kontakt, wenn es Vorfälle in Clubs gab, die wir oder unsere Künstler*innen aus einem queeren Blick kritisiert haben.

Was hat sich in den letzten fünf Jahren dahingehend verändert?

Als wir damals angefangen haben, erlebten wir selbst in linksalternativen Kontexten immer wieder, dass nur männlich gelesene Personen auf dem Line-up standen. Dann gab es einen Switch und heute ist das kaum noch denkbar. Außerdem wird vieles intersektionaler betrachtet, also andere Kategorien als das Geschlecht werden einbedacht. Es dauert aber. So ein Grundverständnis findet man mehr und mehr in manchen Line-ups wieder.

In beiden Projekten arbeiten Sie also daran, bestimmten Menschen eine Öffentlichkeit zu bieten. Eine Person unter ihnen, die gerade einen rasanten Aufstieg macht, ist THORD1S

Genau, THORD1S ist gerade in der Planung eines eigenen Albums, das nächstes Jahr kommen wird. Das ist aufregend und ich bin schon sehr gespannt. THORD1S ist die letzten Wochen im Studio abgetaucht, da bekomme ich gar nicht so viel mit. Es ist immer sehr unterschiedlich in den Projekten, wie sehr ich im künstlerischen Prozess involviert bin oder auch nicht.

Sie arbeiten auch noch für »Hauptsache frei«. Was ist das? 

Das ist ein Festival aus der Hamburger freien Szene, daher der Name. Es bietet eine Plattform für Künstler*innen und vernetzt sie parallel bundesweit mit Fachleuten und mit Menschen aus anderen Städten, die ähnliche Dinge machen. Außerdem bietet es Raum für gesellschaftspolitische Diskurse, die in den Stücken verhandelt werden. 

Aus all den Projekten hört man heraus, dass Ihnen eine Bühne für die künstlerische Szene sehr wichtig ist. Was ist Ihr persönlicher Ansporn dahinter?

Als ich groß geworden bin, bedeutete, ins Theater zu gehen: ein Stück über Janosch zu sehen, der den Bären trifft, und die treffen dann den Igel. So hats kulturell in Nordfriesland ausgesehen. Partymäßig wars auch eher mau. Mit Leuten in Kontakt zu sein, die verschiedene Hintergründe haben und verschiedene Dinge verhandeln wollen, ist superinteressant für mich. Außerdem ist es mit einem Klassismus-Hintergrund spannend. Aktuell sehe ich oft, dass Leute mit großen akademischen Begriffen um sich herumschmeißen oder bestimmte Choreografen nennen. Aber niemand kann etwas mit dieser Aufzählung von Choreograf XY aus London anfangen. Das ist oft überhaupt nicht zugänglich. Und von einer Position kommend, von der ich weiß, was ein fehlender Zugang bedeutet, finde ich das eine interessante Herausforderung.

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