Leeres Lebenshaus in Marzahn-Nord

In Marzahn mangelt es nicht am Raum für Arztpraxen, sondern am medizinischen Fachpersonal

Im Marzahner Norden lebe man gerne, »das zeigen alle Umfragen«, sagt Bjoern Tielebein, Linksfraktionschef in der Bezirksverordnetenversammlung Marzahn-Hellersdorf und zugleich ebenhier Direktkandidat für die Abgeordnetenhauswahl. »Es muss aber etwas für die entsprechende Wohnqualität getan werden.« Der S-Bahnhof Ahrensfelde beispielsweise könnte seit Jahren mal eine Renovierung vertragen, unbelebte Plätze könnten verschönert und für Kulturprogramme ausgestattet werden. Hinzu kommt ein den Bewohner*innen seit Langem bekanntes Problem: Es fehlen Haus- und Fachärzt*innen.

»Die Praxen stehen leer und wir finden keine Ärzt*innen«, sagt Rosemarie Schulze, Anwohnerin und seit 40 Jahren im Gesundheitsbereich im Ortsteil aktiv. Sie ist am Freitagabend zu einer Wahlkampfveranstaltung der Berliner Linken gekommen, um mit Tielebein und Kristian Ronneburg, seinem Parteifreund aus dem Abgeordnetenhaus, über die Gesundheitsversorgung in Marzahn-Hellersdorf zu sprechen.

Der Bezirk gehört zusammen mit Lichtenberg und Treptow-Köpenick zu den medizinisch unterversorgten Gebieten in Berlin, in denen allein 135 Hausarztsitze offen sind. Die bestehenden Arztpraxen in Marzahn-Nord würden kaum neue Patient*innen annehmen, sagt Schulze; für einen Augenarzttermin müssen die Marzahner*innen nach Mahlsdorf fahren, zu einer Gynäkologin nach Reinickendorf. Aktuell leben etwa 25.000 Menschen im Ortsteil, und deren Zahl nehme weiter zu, sagt Tielebein. »Es werden immer mehr Wohnhäuser gebaut.«

Inmitten dieser wachsenden medizinischen Notsituation befindet sich etwa zehn Minuten zu Fuß vom S-Bahnhof Ahrensfelde entfernt das Vita-Haus Marzahn. Sein Name verspricht Leben, sein Aufbau eine breite Gesundheitsversorgung. Doch schon beim Studium der Übersichtstafel im Eingangsbereich fällt auf, dass bei einigen Praxen ein Hinweiszettel dazugeklebt wurde: »Ohne Nachfolge geschlossen«. In den Gängen des Hauses sieht es am Freitagabend eher leblos aus, an vielen Türen ist gar kein Schild angebracht, an einer ehemaligen gynäkologischen Praxis hängt ein Ruhestand-Abschiedsbrief. »Hier stehen bestimmt 15 Praxisräume leer«, sagt Anwohner Fritz Gläser, der sich im Alternativen Stadtteilaktiv engagiert.

Das Vita-Haus Marzahn teilt seine traurige Geschichte mit vielen anderen Orten im Osten Berlins: Einst als Poliklinik mit allem ausgestattet, was die Anwohner*innen an medizinischer Versorgung im Wohnumfeld brauchen, wurde es nach der Wende privatisiert. Vor knapp drei Jahren übernahm schließlich das landeseigene Wohnungsbauunternehmen Gewobag das Haus. Doch in Kristian Ronneburgs Augen behandelt die das Haus seitdem eher »stiefmütterlich«. »Sie ist aber auch mehr auf Wohnräume als auf Gewerbeeinheiten fokussiert«, räumt der Bezirkschef der Linken ein.

Nun steht das große Haus an der Havemannstraße zur Hälfte leer. Wie können die zur Verfügung stehenden Flächen wieder ihrem eigentlichen Zweck dienen – der wohnortnahen Gesundheitsversorgung? »Man müsste zuerst einmal die Nutzung des Hauses im Bezirk festlegen, zum Beispiel als Medizinisches Versorgungszentrum«, sagt Ronneburg. Das könnte dann durch den Bezirk selbst verwaltet werden. Da augenscheinlich die Gewobag diesbezüglich keine konkreten Pläne hat, müsse die kommunale Politik mit dem landeseigenen Unternehmen dazu ins Gespräch gehen.

Eine weitere Akteurin im Kampf um mehr Ärzt*innen im Osten Berlins ist die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Berlin. Bisher ist es ihr weder durch Förderprämien für neue Niederlassungen in den unterversorgten Gebieten noch durch die Sperrung der ausreichend versorgten Bezirke für Niederlassungen gelungen, die wohnortnahe Gesundheitsversorgung auszubauen und abzusichern. Deshalb betreibt die KV inzwischen zwei eigene allgemeinmedizinische Praxen – »eine Notfallmaßnahme«, so Bjoern Tielebein. Die Eigeneinrichtungen befinden sich in Lichtenberg, in diesem Jahr soll laut KV eine dritte in Marzahn-Hellersdorf entstehen. Man müsse also auch mit der KV darüber reden, warum sie nicht zum Beispiel im Vita-Haus eine Praxis eröffnen will.

»Mal darüber reden reicht nicht«, antwortet Fritz Gläser von der Stadtteilinitiative mit Nachdruck. Man rede schon seit 30 Jahren über verschiedene Projekte, ohne dass am Ende wirklich etwas passiere. »Der Auftrag muss über die Politik kommen«, sagt er. Wichtig sei, dass das kürzlich an die Landeseigene übergegangene Vita-Haus dabei in kommunaler Hand bleibe.

Es sei aber in Marzahn-Nord ein strukturelles Problem, das auch mit der Einkommensstruktur zu tun habe, sagt Gläser. Der Ortsteil gehört zu den ärmeren Gebieten der Stadt. Seit 2016 wird der hiesige Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf 1 im Abgeordnetenhaus durch Gunnar Lindemann von der AfD vertreten, einen selbst für rechtsextreme Verhältnisse extrem weit rechts außen stehender Politikerdarsteller. Im Wahlkreis selbst tritt Lindemann dabei nicht in Erscheinung. Also müssen sich andere wie Die Linke kümmern – auch um die Unterversorgung mit Arztpraxen.

Ein Problem, dass hier dadurch verschärft wird, dass, wie Bjoern Tielebein ergänzt, laut Kassenärztlicher Vereinigung junge Mediziner*innen gern wohnortnah arbeiten wollen – und dass dies in Marzahn-Nord für die meisten nicht der Fall sei. Ein anderer Grund ist der berlinweite Trend unter Ärzt*innen, sich lieber für eine Festanstellung statt für die Selbstständigkeit zu entscheiden.

Letzteres könnte durch einen weiteren Vorschlag der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus angegangen werden. »Nicht nur die Kassenärztliche Vereinigung, auch Vivantes kommt als Trägerin weiterer Praxen in Frage«, heißt es in einem Positionspapier. »Vivantes kann ein weiterer sinnvoller Akteur sein«, sagt Ronneburg. Hier müssten jedoch zunächst die Entwicklungen durch die im Bund geplante Krankenhausreform abgewartet werden.

In der unmittelbaren Zukunft könne der Bezirk aber immerhin an einer Lösung für das Vita-Haus arbeiten: »Es soll wieder eine Poliklinik werden, eine dementsprechende Nutzung muss bezirklich festgeschrieben werden. Die Räume dürfen nicht willkürlich vermietet werden«, fordert Marzahn-Hellersdorfs Linksfraktionschef Tielebein.

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