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Benjamin Dittrich zeigt in der Leipziger Galerie Kleindienst »Echo einer Ahnung«

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 4 Min.
»Echo 10«, 2022, 33 x 60 Zentimeter, Lack auf Leinwand
»Echo 10«, 2022, 33 x 60 Zentimeter, Lack auf Leinwand

Wie minimalistisch darf der Ausdruck sinnlicher Vielfalt sein, ohne diese ganz zum Verschwinden zu bringen? Benjamin Dittrich, geboren 1987, nennt sich »Bildermacher«, seine Bildwerke haben das Abbildhafte zurückgelassen, sind Konstruktionen aus Farbe und Form. Kreise, in denen das Runde jedoch oval erscheint, etwas Eiförmiges bekommt. Ähnliche Gebrauchsspuren zeigen die Rechtecke, die nie reine Quadrate sind, sondern sich wie zum Licht hin strecken.

Was wir hier vor uns haben, sind Neuschöpfungen der Welt aus den Spuren des Gesehenen. Ihnen folgt der Betrachter bis in die grafische Struktur hinein, eine Art Alchemistenküche der Kunstproduktion. Die Frage drängt sich vor Benjamin Dittrichs Werken auf: Was überhaupt ist hier das Künstlerische? Eine Möglichkeit der Wirklichkeit, ein Anwendungsfall von grenzverschiebender Fantasie gewiss. Dabei jedoch immer mittels eines präzisen Instrumentariums, jenen unverhandelbaren Regeln der Grafik, die Dittrichs Farbwerken zugrunde liegen.

Man hat angesichts seiner Bilder auch schon von »Diagrammlandschaften« gesprochen, was auf ihre besondere Entstehungsweise deutet. Denn hier verbinden sich ganz offensiv Kunst und Wissenschaft. Dittrich hat an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig studiert, war Meisterschüler bei Annette Schröter, in deren eigenem Werk sich Grafik und Malerei ebenso verbinden wie das geometrisch Strenge mit einem freizügigen Element, das aus der Flora erwächst. Die Synthese von Technik und Natur treibt auch bei Benjamin Dittrich ihre ganz eigenen Blüten.

Die Bilder aus »Echo einer Ahnung« – 19 sind es insgesamt – werden in ihrer Faszinationskraft mit der Zeit vermutlich noch wachsen, was von der mit Pfeilen versehenen Tafel, die Dittrich in der Begleitbroschüre zur Ausstellung darbietet, wohl kaum zu erwarten ist. Solcherart Selbsterklärung, einer chemischen Formel zur Welterklärung ähnlich, schwächt nur die eigentliche Bildaussage. Und diese ist per se multiperspektivisch. Was wiederum daran liegt, dass Dittrich häufig seinen Bildern wissenschaftliche Enzyklopädien oder Naturbildbände zugrunde legt. Er klassifiziert, katalogisiert offenbar gern – und dann folgt gleich einem Befreiungsschlag der Übertritt ins Assoziative. Oder auch der Umschlag des Reichs der Notwendigkeit in das der Freiheit. Die Intensität der Farbe resultiert aus ihrer Materialität. Es sind scharf umgrenzte Lackflächen, von einer Konsistenz, als wären hier Flächen aufgetragen, vielleicht sogar aufgeklebt worden. Ihre innere Leuchtkraft – um den Preis dunkler Tiefe – ist also ein Lackphänomen? Lackieren ist etwas anderes als auf- oder anstreichen. Jeder Autobesitzer weiß um diesen Unterschied. Lackiert werden Industrieprodukte, deren Oberfläche normiert – seriell – erscheint.

Sprechen wir hier von dem, was man gemeinhin abstrakte Malerei nennt. Reine Kopfgeburten also, Anwendungsfälle mathematischer Konstruktionsprinzipien? Nicht ganz. Denn alle 19 Bilder dieser Ausstellung verbindet etwas Organisches. Sie scheinen sämtlich aus derselben Wurzel gewachsen, auch wenn dies eine Luftwurzel zu sein scheint. Man denkt unwillkürlich an Eugène Delacroix, der davon sprach, dass »die Natur für den Künstler nur ein Wörterbuch« sei. Benjamin Dittrich benutzt dieses Wörterbuch, übersetzt die sinnliche Außenwelt in einen inneren Raum. Ganz im Sinne von Wassily Kandinsky, der in »Das Geistige in der Kunst« schrieb: »Je freier das Abstrakte der Form liegt, desto reiner und dabei primitiver klingt es.« In »Echo einer Ahnung« visualisiert Dittrich das musikalische Prinzip der Variation über ein Thema. Die Komposition der Farben bestimmt ihren Klang.

Punkt, Linie und Fläche werden zu Ursprungswelten, die nicht hinter uns liegen, sondern in dem Augenblick entstehen, da ein Künstler in seinem Werk einen Anfang macht und zum Schöpfer wird – und damit zum Konkurrenten jener Schöpfung um uns herum, die wir vorgefunden haben. Diesen äußeren Zufall gilt es im eigenen Werk konsequent in Richtung einer inneren Notwendigkeit zu treiben. Außen und Innen fallen zusammen – jedoch nicht unterschiedslos. Am Unterschied in der Einheit arbeitet sich seit jeher der Intellekt ab. Die den Unterschied in sich lebendig haltende Einheit hat Robert Musil in seinem »Mann ohne Eigenschaften« eine »taghelle Mystik« genannt – im Unterschied zur denkfaul-unterschiedslosen »Schleudermystik«. Ein Lob des Unterschieds, das jede Einheit erst lebbar, weil transparent macht.

Und so schwingt diese Ausstellung in der Galerie Kleindienst in der Alten Spinnerei in Leipzig-Plagwitz weit aus ins Philosophische, dem »Echo einer Ahnung« folgend. »Ahnung« klingt allerdings vage. Kann ein Echo größere Klarheit schaffen, gleich einer Reflexion über ein im Werden begriffenes Gegenüber? Es kommt auf ein Exempel an, ein Experiment. Ist das Echo gar jene präzise arbeitende Maschine, die uns davor bewahrt, im Labyrinth unpräziser Ahnungen verloren zu gehen? Was für Dittrich »Echo einer Ahnung« ist, scheint mir das geheime Wurzelwerk seiner sich wissenschaftlicher Mittel bedienenden Malerei. Das ähnelt dem Irrtum der Alchemie, die einst glaubte, mittels forcierter Erkenntnismittel dem Geheimnis des Elementaren beikommen zu können. Johann Friedrich Böttger etwa glaubte, Gold herstellen zu können. Sein Irrtum ließ ihn auf etwas Unvorhergesehenes stoßen: die Erfindung des »weißen Goldes«, des Porzellans (das allerdings kannten die Chinesen bereits).

Das Paradox wirkt auch in Dittrichs Werken: Die avantgardistisch nach vorn drängende Technik der Bildschöpfung ringt fortwährend mit der gewachsenen Ordnung der Dinge. Ein Dialog, einem Zweikampf nicht unähnlich.

»Benjamin Dittrich – Echo einer Ahnung«, Galerie Kleindienst, Spinnereistraße 7, Leipzig, bis 25.2.

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