Es geht auch ohne Vitaminpillen

Abwechslungsreiche Ernährung hilft, gesund durch den Winter zu kommen

  • Angela Stoll
  • Lesedauer: 5 Min.

Blutergüsse, entzündetes Zahnfleisch, schmerzende Gelenke: Unter Seefahrern war früher Skorbut eine schwere, oft tödliche Plage. Nach Monaten einseitiger Ernährung litten viele Matrosen an einem chronischen Vitamin-C-Mangel, der üble Folgen hatte. Mitte des 18. Jahrhunderts zogen zwei Skorbut-Patienten das große Los: Sie waren die Glücklichen, die bei einer Versuchsreihe des schottischen Arztes James Lind zusätzlich zu ihrer normalen Verpflegung täglich zwei Orangen und eine Zitrone bekamen. Die zehn anderen ebenfalls erkrankten Teilnehmer bekamen zwar auch Zusatzrationen, etwa Essig, Apfelwein, verdünnte Schwefelsäure und Meerwasser. Doch waren die Orangen-Esser die einzigen, die sich schnell erholten. Damit war klar: Zitrusfrüchte heilen Skorbut.

Dass die Wunderwirkung der mediterranen Früchte auf ihrem hohen Vitamin-C-Gehalt beruhte, erfuhren Mediziner erst später. Einen Teil ihres unverwüstlichen Rufs als gesunde Vitamin-C-Bomben dürften Zitrusfrüchte diesem historischen Hintergrund verdanken. Kommt man also fit und erkältungsfrei durch den Winter, indem man bergeweise Orangen futtert? »Das ist völliger Quatsch«, sagt die Ernährungsexpertin Angela Clausen von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Mehr Vitamin C zu sich zu nehmen, als man braucht, bringt nämlich nichts: Überschüssige Mengen werden vom Körper einfach ausgeschieden. Es gibt keine Belege dafür, dass der Stoff in hohen Dosen vor Erkältungen schützt. Infektanfällig wird man nur bei einer Unterversorgung. Laut Deutscher Gesellschaft für Ernährung (DGE) sind die meisten Bundesbürger allerdings gut mit Vitamin C versorgt.

»Das Wichtigste für das Immunsystem ist eine abwechslungsreiche, energieangepasste Ernährung«, sagt Astrid Donalies von der DGE. Die Ernährungswissenschaftlerin empfiehlt eine bunte, pflanzenbetonte Auswahl an Lebensmitteln, allen vorweg Gemüse, Obst und Vollkornprodukte. »Dabei geht es nicht nur um Vitamine, sondern auch um Ballaststoffe, sekundäre Pflanzenstoffe und vieles mehr.« Außerdem sollte man weder zu viel noch zu wenig Kalorien zu sich nehmen, da beides dem Immunsystem auf Dauer nicht bekommt. Sinnvoll ist es, beim Kauf von Grünzeug auf saisonale und regionale Produkte zu setzen. Sie sind nicht nur nachhaltiger und oft preiswerter, sondern auch vitaminreicher: Bei grünem Salat zum Beispiel sinkt der Vitamingehalt bei längerer Lagerung schnell.

Wer meint, nur Vitamin C und ein paar weitere Stoffe seien für die körpereigene Abwehr wichtig, irrt sich gewaltig. »Fast alle Vitamine und Nährstoffe haben eine Aufgabe im Immunsystem«, sagt die Ernährungsmedizinerin Kristina Norman vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke. Das heißt nicht, dass Multivitamintabletten nötig wären: Der Durchschnittsdeutsche ist mit den meisten Nährstoffen ausreichend versorgt. Bloß bei Vitamin D, Kalzium, Folsäure und Jod gibt es Hinweise, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen – etwa Senioren – die Zufuhr-Empfehlungen der DGE nicht erreichen, heißt es beim Bundesinstitut für Risikobewertung. Doch auch das ist längst nicht mit einem Mangel gleichzusetzen: Die Empfehlungen enthalten »Sicherheitszuschläge«, sind also höher als der durchschnittliche Bedarf in der Bevölkerung. Da eine Überversorgung mit Vitaminen schädlich sein kann, sind Multivitaminpräparate grundsätzlich mit Vorsicht zu genießen. »Wer zum Beispiel Nahrungsergänzungsmittel für die Knochen und dann noch Multivitamintabletten nimmt, könnte schnell zu hohe Dosen erwischen«, sagt Norman. Mit normalen Lebensmitteln kann es dagegen zu keiner »Vitaminvergiftung« kommen – auch dann nicht, wenn man ein Bund Karotten auf einmal verputzt.

Heftig diskutiert wird seit Jahren über Vitamin D, das unter anderem für harte Knochen und ein gesundes Immunsystem wichtig ist. Tatsächlich kamen DGE-Wissenschaftler in einer Übersichtsarbeit zu dem Schluss, dass eine gute Versorgung mit dem Stoff vor Atemwegserkrankungen schützen kann. Das ist vor allem insofern bemerkenswert, da gemessen an den Blutwerten fast 60 Prozent der Bevölkerung nicht optimal mit Vitamin D versorgt sind. Gerade im Winter kann es zu Engpässen kommen: Die Sonneneinstrahlung reicht hierzulande in der kalten Jahreszeit nicht aus, damit der Körper genügend Vitamin D über die Haut bilden kann. Und über die Nahrung nimmt man normalerweise nur wenig von dem Stoff zu sich. Ist es also nicht eine gute Sache, zumindest im Winter entsprechende Mittel zu nehmen? Wegen der Gefahr von Überdosierungen ist die DGE zurückhaltend und empfiehlt solche Präparate nur dann, wenn eine ausreichende Versorgung auf natürlichem Weg nicht zu schaffen ist. Da die Haut mit dem Alter weniger Vitamin D produziert, kann das bei Senioren der Fall sein.

»Ich plädiere dafür, den Vitamin-D-Spiegel beim Arzt bestimmen zu lassen«, sagt Norman. »Das lohnt sich.« Eine leichte Unterversorgung lässt sich eventuell über Nahrungsmittel ausgleichen: Zum Beispiel gibt es mit UV-Licht bestrahlte Champignons, die viel Vitamin D enthalten. Auch fettreicher Fisch wie Lachs oder Hering, Eier, Margarine und Milchprodukte enthalten den Stoff. Bestehen größere Defizite, kann ein Präparat in passender Dosierung verordnet werden.

Vitamin D auf eigene Faust einzunehmen, ist nicht immer unproblematisch. »Der Stoff beeinflusst den Hormonstoffwechsel«, sagt Angela Clausen. »Gerade bei Kindern muss man aufpassen.« Zudem kann es zu Wechselwirkungen mit bestimmten Medikamenten, etwa Herzglykosiden, kommen. »Es ist deshalb immer besser, vorher mit dem Arzt zu sprechen.« Bei einer Dosierung von maximal 20 Mikrogramm täglich sieht sie allerdings keine großen Gefahren – aber nur, wenn es sich um gesunde Erwachsene handelt.

Auch für andere Nahrungsergänzungsmittel, etwa Zink oder Selen, gilt: Sinnvoll sind sie nur bei einer Unterversorgung. »Die Studienlage reicht nicht aus, um solche Mittel in höheren Dosen – etwa zur Infektabwehr – allgemein zu empfehlen«, sagt Ernährungsmedizinerin Norman. Für Schwangere, chronisch Kranke und Säuglinge gilt das nicht.

Jedoch kann man auf natürlichem Wege einiges für sich tun. Inzwischen ist klar, dass das Mikrobiom des Darms unter anderem bei der Abwehr von Krankheitserregern eine große Rolle spielt. »Daher ist es wichtig, den Darm in Bewegung zu halten und gut zu versorgen«, sagt die DGE-Expertin Donalies. Neben Ballaststoffen, etwa aus Hülsenfrüchten, empfiehlt sie fermentierte Lebensmittel wie Sauerkraut und Sauermilchprodukte: Laut einer Studie der Stanford-Universität erhöht eine Ernährung, die viel Fermentiertes umfasst, die Vielfalt des Mikrobioms. Umgekehrt leidet die Darmflora auf Dauer unter einer zuckerreichen Ernährung – ein Grund also, die Plätzchensaison auf wenige Wochen zu beschränken.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.