Mönch von Lützerath: »Mit etwas Mut kann man die Mächtigen zu Fall bringen«

Der »Schlamm-Magier« spricht darüber, warum er ins rheinische Braunkohlerevier kommt, was ihn inspiriert und was ihn zum Weinen bringt

  • Interview: Niels Seibert
  • Lesedauer: 9 Min.
Mit seiner Kutte bezieht sich der Aktivist auf die Bauernaufstände im süddeutschen Raum um 1525. Im Januar 2023 in Lützerath waren die Polizisten für ihn »die Verkörperung des Bösen«, erklärt er im Interview.
Mit seiner Kutte bezieht sich der Aktivist auf die Bauernaufstände im süddeutschen Raum um 1525. Im Januar 2023 in Lützerath waren die Polizisten für ihn »die Verkörperung des Bösen«, erklärt er im Interview.

Das Video der im Schlamm feststeckenden Polizisten, um die Sie herumgetänzelt sind, ging um die Welt. Wie fühlt es sich an, ungewollt im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen?

Interview

Der Mönch von Lützerath nennt sich auch Schlamm-Magier. Er kämpft an verschiedenen Orten in Europa für den Erhalt der Natur und des Ackerlandes. Er selbst ist Gemüsebauer. Da er anonym bleiben möchte, wurde das Interview schriftlich über verschlüsselte Kommunikation geführt.

Wenn es am 3. Juni 2023 in Bure im Nordosten Frankreichs eine große Demonstration gegen das dort geplante Atommüllendlager gibt, wird er wieder in Mönchskutte dabei sein. Er lädt alle hierzulande ein mitzukommen, da die vorherrschenden Winde überwiegend von West nach Ost wehen und somit Deutschland stärker als Frankreich betroffen sein wird, falls es zum Beispiel bei der Anlieferung zu einem Atommüllunfall kommen sollte. Er gehört zu den Unterzeichnern des Demo-Aufrufs, den es auch in deutscher Sprache gibt: dasnd.de/bure

Ich bin froh, dass meine Identität anonym geblieben ist. Oscar Wilde sagte einmal: »Der Mensch ist am wenigsten er selbst, wenn er in seinem eigenen Namen spricht. Gib ihm eine Maske und er wird dir die Wahrheit sagen.« Die Gelegenheit und plötzliche Bekanntheit wollte ich nutzen, um Botschaften zu verbreiten, über die wir wenig hören. Also richtete ich das Twitter-Konto @MonchLutzi ein, auf dem ich ein erstes Video veröffentlichte, in dem es um den Abbau von Kohle in Kolumbien geht. Sie wird von dort sogar nach Deutschland exportiert. Das alles geschieht auf Kosten der indigenen Völker, deren Angehörige Opfer von Vertreibungen, Verschwindenlassen und Tötungen sind.

Sie sind nicht im Schlamm versunken. Haben Ihnen beim Gehen über den Matsch übernatürliche Kräfte geholfen, ähnlich wie Jesus, der über das Wasser ging?

Nur wenige konnten sich so leicht bewegen. In einem Video, das aus einem anderen Blickwinkel aufgenommen wurde, sieht man die Person, die die Szene gefilmt hat. Sie steckte ebenfalls im Schlamm fest, direkt hinter mir. Ich weiß nicht, ob an diesem Tag übernatürliche Kräfte gewirkt haben. Ich denke, es war eher eine Frage des Gewichts.

Sind Sie eigentlich religiös?

Religion ist eine menschliche Erfindung. Man darf nicht in Dogmen verfallen, sondern muss aufgeschlossen bleiben und mehr hinterfragen. Wir leben in einer Gesellschaft der Illusionen, wie es der Science-Fiction-Film »Snowpiercer« gut darstellt. Erst wenn man alle Dinge unvoreingenommen in Frage stellt, werden sich sowohl Lügen als auch Wahrheiten offenbaren. Wir müssen uns auf so eine anarchistische Suche begeben. Dabei können uns Autoren wie Lew Tolstoi, der ein christlicher Anarchist war, Ivan Illich oder Jacques Ellul inspirieren.

Warum tragen Sie eine Mönchskutte?

Die trug ich zum ersten Mal 2018 bei der versuchten Räumung des ZAD (deutsch: »zu beschützende Zone«) Notre-Dame-des-Landess. Dort sollte auf landwirtschaftlichen Flächen ein Flughafen entstehen, der nach zahlreichen politischen Kämpfen und Besetzungen staatlicherseits aufgegeben wurde. Mich bewegt die Zeit des Bauernkriegs um 1525. Große Teile dieser Geschichte wurden von den Siegern ausgelöscht. Religiöse Strukturen hatten sich mit den Mächtigen der Welt verbündet, um die Schwachen zu unterdrücken. Martin Luther beging Verrat an den armen Bauern und äußerte sich ausgesprochen gewalttätig: »Man muss sie in Stücke reißen, sie erwürgen, ihnen die Kehle durchschneiden, heimlich und auch öffentlich, wie man tollwütige Hunde erschießt! Deshalb, meine lieben Herren, schneidet ihnen die Kehle durch, erschießt sie, würgt sie, befreit sie hier, rettet sie dort! Wenn ihr im Kampf fallt, so werdet ihr nie einen heiligen Tod haben.« Das sind die Worte eines Fanatikers. In den theologischen Sphären, die von den Erzählungen der Sieger geprägt sind, wird uns aber vermittelt, dass Thomas Müntzer ein solcher Fanatiker gewesen sei. Dabei hatte dieser anfangs an friedlichen Demonstrationen teilgenommen und mit den Bauern Loblieder gesungen. Sie forderten eine Gesellschaftsordnung, die in den berühmten »Zwölf Artikeln der Bauernschaft« skizziert war. Die Ritter der deutschen Fürsten schlachteten diese Bauern mit Luthers Segen blutig ab.

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Das Wort »Mönch« steht für Alleinsein. Auch der Mönch von Lützerath war auf den Aufnahmen individuell unterwegs. Wie wichtig ist das Zusammensein mit anderen?

Ich bin tatsächlich oft allein. Ich möchte die Welt lieben, auch wenn das leicht gesagt ist. Das ist es, worauf ich hinarbeiten möchte. Eine Gruppe kann sektiererisch werden. Sie baut ihre Identität oft in Abgrenzung zu der Gruppe der anderen auf. Es gibt auch gute Zusammenschlüsse, aber selten solche, die für alle offen sind, sei es aus Angst, Hass oder Desinteresse. Zur Veranschaulichung: Eine Gruppe von Gleichgesinnten könnte auf der gemeinsamen Kritik an einer anderen Person gründen, die sie beispielsweise »zu klein« findet. Jede Gruppe sollte sich deshalb die Frage stellen: Worauf beruhen eigentlich unsere Verbindungen? Abgesehen davon ist ein Kollektiv wichtig, um unsere Existenz zu erleichtern und sich gegenseitig zu helfen.

Manchen erschien Ihre Kutte wie die eines Druiden oder Magiers, der mit Zauberkräften gegen das Böse kämpft: Das Böse versinkt in der Erde und stürzt. So wünschen es sich wohl alle Menschen, die für Emanzipation und Befreiung kämpfen.

Diese Annahmen treffen zu. Die Polizei war ein Verbündeter der Zerstörung des Dorfes Lützerath, eines guten Bauernlandes. Sie ließ Landschaften und Erinnerungen verschwinden. Die Polizisten waren die Verkörperung des Bösen, wie in jedem anderen Moment, in dem sie gewaltsam die Interessen der Mächtigen verteidigen. Wenn sie ein bisschen tiefer in den Schlamm eingesunken wären, hätte aus ihnen hervorragende Braunkohle werden können.

Was haben Sie in dem Moment gedacht, als Sie den Polizisten geschubst haben?

Als der Polizist mein Schild mit der Aufschrift »Lützi bleibt« hinter die Polizeireihen geworfen hat und das Schild »Act Now« auf die andere Seite, habe ich begriffen, dass er wirklich wollte, dass ich sie nicht mehr wiederbekomme. Das hat mich geärgert. Ich fand ihn nicht nett, also habe ich ihn spontan geschubst.

Zehntausende kamen im Januar zur Demo bei Lützerath. Warum waren Sie vor Ort?

Ich bin gekommen, um das Dorf Lützerath zu verteidigen, die Polizei von dort zu vertreiben, Barrikaden wieder aufzubauen und abends zu feiern. Aufgrund der Kohleabbaggerei in Deutschland sind in 30 Jahren mehr als 300 Dörfer zerstört und 44 000 Bewohner vertrieben worden. Wie demokratisch ist das? Hätte man die Bewohner in einer Volksabstimmung gefragt, ob sie sich für oder gegen die Zerstörung ihrer Dörfer aussprechen, ohne ihre Seelen gegen Geld zu verkaufen, wäre heute keines zerstört.

Was hat Sie während dieser Tage besonders bewegt?

Die beeindruckende Anzahl an Menschen. Die Entschlossenheit trotz des Regens. Die Menschen, die sich an den Armen hielten und nicht vor der Polizei zurückschreckten. Die Polizeigewalt und die Schlagstöcke, die auf blutende Köpfe schlugen.

Und worüber mussten Sie schmunzeln?

Auf einem Feld verlor ein Polizist die Kontrolle über sein Pferd. Das ging mit ihm durch und galoppierte auf andere Polizisten, ebenfalls auf Pferden, zu. Dann ließ es ihn zu Boden fallen.

Sie haben die Entschlossenheit vieler Demonstranten angesprochen. Es gab eine große Bereitschaft, auch die gesetzlichen Regeln zu übertreten. Wie bewerten Sie diese ungehorsamen Proteste?

Es war toll zu sehen, wie Tausende von Menschen Polizeiketten durchbrachen. Das ist zweimal passiert. Die Polizisten knüppelten die ersten Leute nieder, wurden aber schnell überrannt. Mit etwas Mut kann man die Mächtigen zu Fall bringen. Wenn sich alle koordiniert hätten und gleichzeitig gerannt wären, hätten wir die letzten Polizeiketten ein drittes Mal passieren und das Dorf erreichen können. Ich habe allerdings eine große Bereitschaft der Polizei gesehen, die gesetzlichen Regeln zu brechen: Sie haben, obwohl es verboten ist, auf Köpfe eingeknüppelt. Wird es deshalb zu Gerichtsverfahren kommen? Oder muss man künftig mit Helm zu Demonstrationen kommen? Wenn ich mit einem Schlagstock auf den Kopf eines Polizisten ohne Helm eingeschlagen hätte, wäre die Empörung in den Medien riesig und ich hätte eine Anklage mit Gerichtsprozess zu erwarten.

Die ganze Welt hat über die Polizisten im Schlamm gelacht. Sie haben jedoch berichtet, dass Polizisten ganz und gar nicht zum Lachen sind: Sie prügeln, sprühen Pfefferspray und hindern Aktivisten an ihrem Kampf für ein anderes, gutes Leben.

Ja, es war traurig zu lesen, dass diese Szene im Ausland den Eindruck einer sehr netten deutschen Polizei vermittelte, die nicht reagiert. Dabei war ihre Gewalt unerträglich. Es ist schade, dass das Video keine Szenen von Polizeigewalt zeigt. Ich sehe die Gefahr, dass die Aufmerksamkeit von wichtigen Dingen abgelenkt wird. Aber ich denke, der Filmausschnitt hat trotzdem dazu geführt, dass sehr viele Menschen über diesen Tag sprechen, und es gibt dem, was rundherum passiert ist, ein Echo. Wenn man nach weiteren Videos des Mönchs sucht, findet man auch Aufnahmen von Polizeigewalt. Diese wird in den Medien oft ausgeblendet. Auf Twitter versuche ich, die Aufmerksamkeit zu nutzen, um zu rekontextualisieren und insbesondere über die 20 Personen zu sprechen, die an diesem Tag wegen der Polizei ins Krankenhaus eingeliefert wurden. Ich hoffe, dass dieses Video ein Lächeln auf die Gesichter der Menschen zaubern konnte, die von der Polizei verletzt wurden.

Haben Sie selbst Polizeigewalt erfahren?

Zu Beginn der Demo stürmten Gruppen von Polizisten blindlings in die Menge. Jedes Mal, wenn ich sah, wie Menschen unter den Schlägen der Polizeiknüppel zu Boden fielen, habe ich geweint. Ich werde nie den Blick eines jungen Mädchens von Fridays for Future vergessen, dessen Gesicht blutüberströmt war. Nachdem ich vor Empörung über diese Polizeigewalt zusammengezuckt war, näherte ich mich mit der Kamera in der Hand den Polizisten, um sie durch Filmaufnahmen abzuschrecken, weiter exzessive Gewalt anzuwenden. Dabei wurde mir von einem der Polizisten auf den Kopf geschlagen.

Später, in der ersten Reihe, als wir uns an den Armen hielten, um einen geschlossenen Block zu bilden, bekam ich mit einem Schlagstock einen Hieb auf den Ellbogen, der mich zu Boden brachte. Aufgrund des Schmerzes habe ich das Gleichgewicht verloren und mir wurde schwindelig. Erst danach folgte die Szene, in der ich nicht anders konnte, als mit der Kamera in der Hand einem Polizisten, der noch einmal vorpreschte, ein Bein zu stellen. Daraufhin hörte ich auf zu filmen. Wenige Augenblicke später kam dann die Situation mit dem Schlamm.

Rechnen Sie mit einem Ermittlungsverfahren gegen Sie?

Für die Polizei wäre es nicht schwer, mich aufzuspüren, wenn sie es wollte. Es gab mehrere Momente, in denen ich nicht maskiert war. Ich habe ja nicht damit gerechnet, dass ich so viel Aufsehen erregen werde. Ich bin auch nicht sehr gut darin, mich zu verstecken. Aber ich denke, dass es für die deutsche Polizei schwierig sein wird, den »Mönch von Lützerath« zu verhaften, denn die Verhaftung eines populär gewordenen Symbols birgt das Risiko, dass meine Gedanken während eines Prozesses ein breites Publikum finden.

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