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- Berlinale und Joan Baez
Kurz die Welt retten
Ein Luxus-Dokumentarfilm über Joan Baez im Panorama
Joan Baez springt in den Pool, taucht und schwimmt ein bisschen. Dieser Pool ist nicht zu groß, nicht zu klein, nicht zu flach – dieser Pool ist genau richtig. Da möchte man auch gern mal reinspringen, so wie die berühmteste Folksängerin der Welt. Dazu braucht es natürlich auch ein schönes Anwesen und Joan Baez hat ein sehr schönes, mit alten Bäumen und Häusern in einer hügeligen Landschaft in der Nähe des Silicon Valley in Kalifornien. Das wird sehr dezent abgefilmt von einem Regisseurinnentrio in dem Dokumentarfilm »Joan Baez. I Am A Noise«. Das Trio besteht aus zwei sehr bekannten und vielfach ausgezeichneten Filmemacherinnen (Karen O’Connor und Miri Navasky) und einer noch nicht ganz so alten und bekannten Filmerin (Maeve O’Boyle).
Ihr Film begleitet Joan Baez (Jahrgang 1941) unter anderem auf ihrer Abschiedstour 2018. In der Band, die sie begleitet, spielt ihr Sohn Gabriel Harris (Jahrgang 1969) Percussion. Er sagt, er sei als Kind sehr oft allein gewesen, weil seine Eltern andere »Issues« gehabt hätten, als eine Kleinfamilie zu gestalten: hauptsächlich die Welt retten. Dafür ging sein Vater, der linke Journalist David Harris, sogar länger ins Gefängnis, seine Mutter nur kurz. Man muss sich ein solches Leben wie in diesem Song von Tim Bendzko vorstellen: »Muss nur noch kurz die Welt retten / danach flieg ich zu dir / noch 148 Mails checken / wer weiß, was mir dann noch passiert, / denn es passiert so viel.«
Joan Baez war immer bei den Guten und das ist überhaupt nicht blöd-ironisch gemeint. Sie war bei den Märschen der schwarzen Bürgerrechtsbewegung dabei, als im Süden der USA noch Apartheid herrschte und es so wichtig wie lebensgefährlich war, dort dagegen zu demonstrieren. Sie sang gegen den Krieg in Vietnam, direkt vor Ort, in einem Bunker in Hanoi, gegen Atomkraftwerke und für den Frieden, für die Farmer und für die Sandinisten (als Daniel Ortega noch bei den Guten war). Und sie machte Bob Dylan in den frühen 60er Jahren zum Star, als sie schon längst einer war.
Alles legendär und filmisch wie fotografisch allerbestens dokumentiert bis hin zu Baez’ Kinderzeit. In ihrem Anwesen führt die Sängerin in den Archivraum der Familie. Diesen Materialreichtum macht sich dieser Film zunutze und komponiert daraus einen dieser Super-Duper-Luxus-Dokumentarfilme, reflektiert, sensibel und konstruktiv. Ungefähr so, wie sich die Hippies gerne selbst vorstellen. Und wie meisten Hippies spricht Baez auch nicht über die großen politischen Fragen und Zusammenhänge, sondern von der Selbstinspektion – über sich selbst und ihre Ängste. Seit sie 15 war, ist sie in psychologischer Behandlung, leidet unter Schlaflosigkeit, Panikgefühlen, einer spät diagnostizierten multiplen Persönlichkeitsstörung. Als Kind spürte sie in sich verschiedene Wesen, die sie damals als Reh, Löwe oder Eule zeichnete, was in diesem Film auch zu sehen ist, sogar in animierter Form. Joan Baez ist sich unsicher, ob ihre eigenen Erinnerungen stimmen, sagt aber, wenn nur 20 Prozent davon richtig sind, sei das schon furchtbar genug. Auch als großer Star fühlte sie sich sehr einsam und ausgeschlossen.
Im Schlussbild tanzt sie allein in der Hügellandschaft vor ihrem Haus. Nur sie und nicht der Zuschauer hört die Musik ihres MP3-Players.
»Joan Baez. I Am A Noise.« Regie: Karen O’Connor, Miri Navasky, Maeve O’Boyle. USA 2023. 113 Min.
Nächste Vorstellungen: Sa, 18.2., 15.30 Uhr, Cubix 9; So, 19.2., 14 Uhr, Thalia (Potsdam); Mi, 22.2., 19 Uhr, Haus der Festspiele; Do, 23.2., 9.30 Uhr, Cubix 9; Fr., 24.2, 12.45 Uhr, Verti Music Hall
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