Feminismus: Bis die Bilder bluten

Feminismus als Monumentalskulptur: In der Frankfurter Schirn gibt es eine umfassende Ausstellung zu Niki de Saint Phalle

  • Norma Schneider
  • Lesedauer: 5 Min.
Die »Nanas« beim Kaffee: »Sie sind glücklich, weil sie frei sind; sie tun, was sie wollen«, sagte Niki de Saint Phalle.
Die »Nanas« beim Kaffee: »Sie sind glücklich, weil sie frei sind; sie tun, was sie wollen«, sagte Niki de Saint Phalle.

Niki de Saint Phalle ist vor allem für ihre farbenfrohen Skulpturen bekannt, die Nanas: Fröhliche, kurvige Frauen mit großen Brüsten, ausladenden Hintern und dicken Bäuchen. Doch die dekorativen Frauenfiguren aus den Sechzigerjahren, die zum Markenzeichen von de Saint Phalle geworden sind, machen nur einen kleinen Teil ihres Werkes aus. In der Kunsthalle Schirn in Frankfurt am Main zeigt nun eine umfassende Ausstellung das vielseitige Schaffen der Künstlerin, deren Kunst von Anfang an politisch war.

Geboren 1930 in einem Vorort von Paris, aufgewachsen in New York, beginnt sie in den konservativen USA der frühen Fünfzigerjahre mit dem Malen. Wenige Jahre später will sich de Saint Phalle in Paris ganz der Kunst widmen und verlässt ihren Mann und ihre zwei Kinder. Ihre Entscheidung für die Kunst und gegen die Familie ist auch eine bewusste Ablehnung der gesellschaftlichen Erwartung, dass Frauen ihr Leben der Sorge um Ehemann, Kinder und Haushalt widmen sollen. Als feministische Pionierin bewegt sich die Autodidaktin, die nie eine künstlerische Ausbildung erhalten hat, erfolgreich in der männlich dominierten Avantgardekunstszene und wird schließlich zu einer der bekanntesten Künstler*innen ihrer Generation und zu einer Hauptvertreterin der Pop-Art.

Die Hinterfragung der Rolle, die die patriarchale Gesellschaft für die Frau vorgesehen hat, steht von Anfang an im Zentrum von Niki de Saint Phalles Werk. Sie nutzte Kunst auch, um auf aktuelle politische Themen aufmerksam zu machen. So setzte sie sich in den Achtzigerjahren für die Aufklärung über Aids und gegen die Diskriminierung von Homosexuellen ein. Noch kurz vor ihrem Tod im Jahr 2002 behandelte sie in einer Reihe von Grafiken Themen wie Klimawandel und das Recht auf Abtreibung.

Niki de Saint Phalle ließ das Publikum an ihrer Kunst in Form von Happenings und Performances mitwirken und löste so bewusst die Trennung zwischen Künstler*in und Betrachter*in auf. So stellte sie das in den Sechzigerjahren noch weitverbreitete Bild des (meist männlichen) Künstlers als genialem Schöpfer infrage. Die Ausstellung in der Schirn begrüßt die Besucher*innen mit einem kurzen Video, das die Künstlerin als knallharte feministische Kämpferin mit Gewehr zeigt. Sie schießt auf eine weiße Gipsskulptur, aus der anschließend schwarze Farbe anstelle von Blut herausspritzt. Mit einem selbstbewussten Lächeln sagt sie in die Kamera: »Ich heiße Niki de Saint Phalle und ich mache monumentale Skulpturen.« Anfang der Sechzigerjahre entstand eine ganze Reihe dieser »Schießbilder«, die die Künstlerin international bekannt machten.

Während der Happenings schoss nicht nur de Saint Phalle selbst auf ihre Werke, sondern forderte auch das Publikum zur Teilnahme auf. Mit den Schüssen sollten die Bilder zum Bluten gebracht werden. Die Motive der beschossenen Bilder reichen von abstrakten Flächen zu konkreten satirischen Darstellungen männlicher Politiker.

Natürlich haben auch die berühmten Nanas ihren Platz in der ungefähr 100 Werke umfassenden Ausstellung. Auf den ersten Blick wirken die bunten, fröhlichen Skulpturen im Vergleich zu den Schießbildern harmlos, geradezu gefällig. Doch als sie Mitte der Sechzigerjahre zum ersten Mal ausgestellt wurden, waren die Reaktionen nicht nur positiv. Die ungenierte Feier von dicken weiblichen Körpern wurde von der konservativen Öffentlichkeit als Affront verstanden. Auch de Saint Phalle selbst verstand die Nanas als politisch, als Symbole für Frauen, die stark und frei sind und sich nicht um männliche Erwartungen kümmern: »Ich selbst liebe meine Nanas. Ich finde sie fröhlich und lustig. Sie sind glücklich, weil sie frei sind; sie tun, was sie wollen. Sie brauchen keine Männer und denken auch nicht an sie«, sagte die Künstlerin über die Skulpturen.

Die größte Nana entstand 1966 in Stockholm: eine 25 Meter lange und sechs Meter hohe begehbare Skulptur in Form einer liegenden Frau, die die Besucher durch deren Vagina betreten konnten. Im Inneren waren unter anderem eine Bar, ein Aquarium und ein Kino untergebracht. Von der riesigen Nana mit dem Titel »Hon – En Katedral« (»Sie – Eine Kathedrale«) ist nur der Kopf erhalten geblieben, in der Ausstellung lassen sich aber ein Modell sowie Skizzen und Fotos der Skulptur betrachten.

Für Niki de Saint Phalle sollte das Publikum die Möglichkeit bekommen, selbst Teil der Kunstwerke zu werden, sich in ihnen aufzuhalten oder sogar darin zu wohnen. So gilt als das Hauptwerk der Künstlerin auch keines, das sich in einer Ausstellung zeigen ließe, sondern ein Park mit über zwanzig großen, teilweise begeh- und bewohnbaren Skulpturen. Das »Tarotgarten« genannte Gelände wurde nach jahrzehntelanger Arbeit 1998 in der Toskana eröffnet. Sie finanzierte den Bau der Skulpturen, von denen einige Modelle in der Schirn gezeigt werden, komplett selbst, indem sie ein Parfüm kreierte sowie Möbel und Dekogegenstände entwarf und verkaufte.

Neben Skulpturen, Gemälden und Assemblagen sind in Frankfurt auch Filmaufnahmen sowie Dokumentationen von Performances und Installationen zu sehen. Vieles davon ist bunt und glitzert – zum Beispiel ein riesiger, mit goldenen Mosaikscherben besetzter Totenkopf. Anderes wiederum ist überraschend düster, wie einige aus Alltagsgegenständen zusammengesetzte plastische Collagen, die Zorn und Schmerz ausdrücken.

Bis zum 21. Mai in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main

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