- Politik
- Deal mit der EU
Brexit-Hardliner bremsen
Nordirland-Protokoll entzweit die britische Regierung
Da hatte man sich zu früh gefreut. Am vergangenen Freitag sah es so aus, als stehe in den Gesprächen über das Nordirland-Protokoll ein Deal kurz bevor. Aber dann kam eine Ladung kaltes Wasser: Abgeordnete vom einflussreichen Brexit-Flügel der Tory-Partei warnten den Premierminister Rishi Sunak, dass er Gefahr laufe, zu viele Konzessionen an Brüssel zu machen. Am Montag machten in London Gerüchte die Runde, dass manche Minister aus Protest gegen Sunaks Pläne zurücktreten könnten. Eigentlich hatte dieser geplant, seinen Deal am Dienstag dem Kabinett vorzustellen, aber der Zeitplan verschob sich nach hinten. Am Dienstagnachmittag besprach sich Außenminister James Cleverly erneut mit Kommissionsvize Maroš Šefčovič; es gebe noch »ungelöste Probleme«, hieß es vor den Gesprächen.
Fronten werden abgesteckt
Unterdessen werden zu Hause in London schon die Fronten abgesteckt. Entscheidend wird sein, ob Sunaks Deal mit der EU bei der Democratic Unionist Party (DUP) auf Zustimmung stoßen wird. Die größte unionistische Partei in Nordirland startete letztes Jahr aus Protest gegen das Protokoll einen Regierungsboykott, der bis heute andauert. Die DUP hat sieben Tests formuliert, die ein Deal bestehen muss – darunter etwa eine Garantie, dass es keine effektive Zollgrenze zwischen Nordirland und Großbritannien gibt und dass die nordirische Bevölkerung bei Gesetzen, die in Nordirland gelten, mitreden kann.
Am Freitag war Sunak nach Belfast geflogen und hatte seine Pläne vorgestellt, unter anderem gegenüber DUP-Chef Jeffrey Donaldson. Einzelheiten sind nicht bekannt, aber die Lösung läuft wohl darauf hinaus, dass manche Güter ohne Zollkontrollen von Großbritannien nach Nordirland geliefert werden können; zudem werden allfällige Handelsstreitigkeiten nicht direkt beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg landen – so soll die Rolle der EU in Nordirland minimiert werden. Donaldson hatte sich nach dem Gespräch mit Sunak vorsichtig positiv geäußert, aber er sagte auch: »Es gibt noch immer Arbeit zu tun.« Wenn die DUP den Deal ablehnt, werden auch die Brexit-Hardliner in der Tory-Partei auf die Barrikaden gehen.
Dazu kommt ein weiteres Problem: Boris Johnson. Der Ex-Premier, der offenbar noch immer sauer ist, dass Sunak seinen Sturz im vergangenen Sommer mitverantwortete, hat sich am Wochenende erstmals seit seinem Rücktritt zum Brexit geäußert. Der kaum verborgene Zweck seiner Intervention besteht darin, eine mögliche Einigung im Nordirland-Streit zu torpedieren und Sunak Steine in den Weg zu legen.
Geste guten Willens
Es geht um das kontroverse Nordirland-Gesetz, das unter Johnson vorgelegt wurde und derzeit im Oberhaus debattiert wird. Die Vorlage gibt London die Befugnis, Teile des Nordirland-Protokolls unilateral aufzuheben. Wenig überraschend sorgte das in Brüssel für Empörung, EU-Vertreter bezeichnen das Gesetz als »illegal«. In einer Geste des guten Willens könnte Sunak es fallenlassen, um mit der EU zu einer Einigung zu kommen.
Aber genau davor warnt Johnson: Er halte das für einen »großen Fehler«, ließ ein Johnson-Vertrauter am Wochenende verlauten. Am Montag schlossen sich mehrere Tory-Politiker öffentlich dieser Warnung an, unter anderem Innenministerin Suella Braverman. »Die Vorlage ist eines der besten Werkzeuge, die wir haben, um die Probleme in der Irischen See zu lösen«, sagte sie. Andere warnten, dass manche Minister sogar den Rücktritt erwägen könnten, wenn Sunaks Deal nicht zu ihrer Zufriedenheit ausfalle. Dass die Brexit-Hardliner die Debatte noch immer so stark prägen, zeigt auch, wie prekär Sunaks Stellung ist. Er wird in den kommenden Tagen umsichtig vorgehen müssen, um nicht eine Regierungskrise vom Zaun zu brechen.
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!