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Experimentierfeld Fußball
Bei den Sportfans testen Polizei und Vereine schon mal die anlasslose Überwachung
Ich bin eher unverdächtig, schnell nach »Law and order« zu rufen. Aber auch ich habe mich zuletzt ein paar Mal gewundert, dass Menschen, deren Lebens-Gefährlichkeit x-fach nachgewiesen wurde, nicht etwa im Gefängnis oder sonstwo sitzen. Sondern stattdessen in Zügen morden oder Teenager vergewaltigen und töten können. Ooops, das ist jetzt nicht so gut gelaufen, heißt es danach aus der Politik. Irgendjemand muss da irgendwas. Und überhaupt die Personalknappheit…
Wie schön ist es da zu wissen, dass der Staat mit voller Schlagkraft und Personalzahl gegen Fußballfans vorgeht. Die morden und vergewaltigen zwar nicht, aber, hey, so ein bengalisches Feuer ist kein Kavaliersdelikt. Wer heute 50 Meter neben einem Ultra steht, der eine Fackel in der Hand hält, der rückt morgen vielleicht schon auf 48,7 Meter heran. Und jetzt denken Sie das mal zu Ende.
Genau aus diesem Grund gibt es ja auch seit Jahren die »Datei Gewalttäter Sport«, in der auch Menschen aufgeführt sind, die sich des »Haus-« oder »Landfriedensbruchs« oder des »Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte« schuldig gemacht haben. Der Tatbestand des »Zur-falschen-Zeit-am-falschen-Ort-Herumstehens« ist ja leider im Strafgesetzbuch nicht zu finden. Das ist der Grund, warum so viele Fußballfans, die dort standen, wo sie nach Ansicht der Polizei nicht stehen sollten, wegen »Landfriedensbruchs« belangt werden.
Da Polizei und Politik bei Fußballfans die Dinge aber so was von zu Ende denken, gibt es auch ein ganzes Sammelsurium an Maßnahmen, mit denen man Fans den Tag versauen kann. Lustige Dinge wie »Betretungsverbote« oder »Aufenthaltsverbote« wurden ersonnen, mit denen Menschen ihr Recht auf Freizügigkeit genommen wird. Und wenn man jemanden damit nicht zu fassen kriegt, kriegt man ihn eben anders: Man kontrolliert beispielsweise, wie zuletzt beim Spiel Stuttgart gegen Köln geschehen, einfach so lange so aufreizend langsam ihren Bus, bis die Fans merken, dass sie das Spiel nicht mehr pünktlich erreichen und »freiwillig« umdrehen.
Auch die Vereine erfinden immer neue Systeme, um an die Daten von Menschen zu kommen, die eigentlich nur ein Fußballspiel sehen wollen. Bei den Bayern oder RB Leipzig kommt nur noch an Tickets, wer sich in deren Sinnlos-App registrieren lässt – und zwar auch als Auswärtsfan. Viele andere Vereine sind derweil so geil auf die Daten der Zuschauer, dass sie entweder gar keine echten Karten (»Hardtickets«) mehr anbieten, oder sie fürs bis zu vier Euro mehr am Spieltag verkaufen. Die Strafgebühr fürs Recht auf Privatheit heißt »Bearbeitungsgebühr«. Man darf gespannt sein, wann der erste Bäcker auf die Idee kommt, sein Brot für drei Euro anzubieten und es für 3 Euro 50 zu verkaufen. Inklusive Barbeitungsgebühr dann halt.
Doch der nächste große Hammer steht den Fans erst noch bevor. Die EU plant eine Verordnung, die es dem Staat ermöglicht, Trojaner auf Smartphones von Fans zu installieren, um deren Chatverläufe mitlesen zu können. Nur bei dringendem Tatverdacht natürlich (Sie wissen schon: Die 48,7 Meter zum Bengalo). Aber die Erfahrung lehrt, dass Instrumente, die erst mal legal zur Verfügung stehen, auch angewandt werden. Zurückgenommen werden sie hingegen nie wieder. Das ist de facto die vollendete anlasslose Überwachung – und der Fußball mal wieder Experimentierfeld für andere gesellschaftliche Bereiche. Menschen, die etwas grundsätzlicher denken, fragen sich deshalb, wohin ein Staat steuert, der mit Kanonen auf Spatzen schießt. Welche Gruppierung mit schwacher Lobby trifft es als nächstes? Will der Staat hier Handlungsfähigkeit beweisen, um zu übertünchen, in wie vielen Bereichen – von der Mietwirtschaft bis zu anderen Formen der Organisierten Kriminalität – er nur noch hilflos zuschaut?
Schön jedenfalls, dass gegen all das zuletzt so viele Fangruppen demonstriert haben. Doch deren Protest wird folgenlos bleiben, wenn die Kurven nicht endlich ernst machen und die Spiele so lange boykottieren, bis Vereine und Verbände sie wieder mit Respekt und Höflichkeit behandeln. Genau das werden sie aber nicht tun. Die Droge Fußball wirkt auch bei ihnen.
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