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Trans-Rechte in den USA: Strikt normiert
Konservative in den USA hetzen gegen trans Personen und erschweren deren medizinische Behandlung per Gesetz
Jahrzehntelang war die US-Rechte in gesellschaftspolitischen Fragen in der Defensive. Als das Oberste Gericht 2015 mit seinem Urteil im Fall »Obergefell versus Hodges« die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare öffnete, markierte dies den Schlusspunkt einer jahrzehntelangen Kampagne der Konservativen, homosexuelle Menschen die Sichtbarkeit im öffentlichen Leben zu verwehren und aus der Hetze gegen sie politisches Kapital zu schlagen. Ronald Reagans Umgang mit der Aids-Epidemie Anfang der 1980er Jahre stellte den Höhepunkt der politischen Instrumentalisierung von Homophobie in den USA dar.
Allein, all dies nützte der Rechten am Ende wenig. Die gesellschaftliche Liberalisierung überrollte sie einfach. Mitte der 2000er Jahre war Homosexualität zwar im Alltag weitestgehend akzeptiert, doch Barack Obama betonte im Wahlkampf von 2008 immer noch, dass die Ehe aus seiner Sicht eine Sache zwischen einer Frau und einem Mann sei. Heute, 15 Jahre später und acht Jahre nach »Obergefell versus Hodges«, akzeptiert sogar die Mehrheit der Republikaner die Ehe für Alle.
Lange Zeit sah es so aus, als könne die US-Rechte mit solchen kulturellen Abwehrkämpfen gegen gesellschaftlichen Fortschritt nur verlieren. Doch in den letzten Jahren gibt es in den USA eine alarmierende Gegenentwicklung: US-Konservative scheinen endlich eine gesellschaftliche Minderheit gefunden zu haben, die so klein, marginal und wenig verstanden ist, dass man relativ erfolgreich und gefahrlos gegen sie Stimmung machen kann. Menschen mit Transgender-Identität, die sich einem Geschlecht zugehörig fühlen, das nicht dem entspricht, als das sie bei Geburt aufgrund biologischer Merkmale identifiziert wurden, sind der neue Sündenbock der konservativen Bewegung in den USA. Gegen sie läuft eine Hetzkampagne, die zunehmend nicht nur ihren Alltag gefährlicher macht, sondern sich inzwischen in Gesetzesinitiativen auf Ebene der Bundesstaaten niederschlägt, die das Leben vieler Menschen unmittelbar in Gefahr bringen.
Von wegen »Genderwahn«
Zentraler Bestandteil der Angstmache der US-Rechten gegen trans Personen ist es, deren Leben und öffentliche Sichtbarkeit als Teil einer »Gender-Ideologie« zu beschreiben, die einfachen Amerikaner*innen von einer Elite oktroyiert werde. Doch das Phänomen ist weder neu noch auf westliche Gesellschaften beschränkt. Viele präkolumbianische Kulturen Nordamerikas, ebenso wie viele asiatische Kulturen, kennen mehr als zwei binäre soziale Geschlechterrollen. Medizinische Forschung zu Transgender-Identität findet bereits seit über hundert Jahren statt. Heute herrscht in der Fachwelt ein überwältigender Konsens, dass die Wahrnehmung des eigenen Geschlechts, genau wie Homosexualität, nicht »wegtherapiert« werden kann. Patient*innen ist in Wirklichkeit am besten damit geholfen, sie so gut wie möglich darin zu unterstützen, ihr wahrgenommenes Geschlecht auch in der Öffentlichkeit zu leben. Geschlechtsangleichungen zur Behandlung von Geschlechtsdysphorie (auch Genderinkongruenz genannt) – dem Unwohlsein, das mit der Nichtübereinstimmung der eigenen Geschlechtswahrnehmung und körperlichen Merkmale beziehungsweise darauf basierenden gesellschaftlichen Zuschreibungen einhergeht – finden, basierend auf Jahrzehnten von Pionierleistungen zuvor, bereits seit den 1950er Jahren statt.
Doch die US-Rechte ignoriert geflissentlich sowohl, dass viele Kulturen eben keinen strikten Determinismus zwischen biologischen Geschlechtsmerkmalen und sozialen Geschlechterrollen etablieren, als auch die inzwischen rund einhundert Jahre Forschung über Trans-Identität in der Medizin. Sie tut so, als sei die Existenz von trans Personen neu und gefährlich.
Es ist vermutlich kein Zufall, dass sich die US-Konservativen gerade zu dem Zeitpunkt mit neuer Vehemenz an die Verfolgung von trans Personen machten, in dem der Kampf gegen die gesellschaftliche Akzeptanz von Homosexualität für sie verloren ging. 2016, ein Jahr nach »Obergefell versus Hodges«, begann die neuste Iteration der transfeindlichen Kampagne in North Carolina. Der republikanische Gouverneur Pat McCrory brachte damals ein Gesetz in das Parlament des Bundesstaates ein, dass es trans Personen in öffentlichen Gebäuden vorschreiben würde, Toiletten zu benutzen, die dem Geschlecht auf ihrer Geburtsurkunde entsprechen. Die Basis hierfür – manchmal offen ausgesprochen, oft aber nur suggeriert –, war, dass trans Personen Frauen auf öffentlichen Toiletten sexuell belästigen oder es zu Übergriffen kommen könnte. Kritiker*innen wiesen zurecht darauf hin, dass es keine Belege dafür gibt, dass dies ein regelmäßig auftretendes Problem ist; Sexualstraftäter bräuchten zudem den »Vorwand« einer vorgetäuschten Trans-Identität gar nicht, um Frauen gefährlich zu werden.
Das »Toilettengesetz« von North Carolina wurde zum landesweiten Politikum, die Empörung war groß. Die Basketballliga NBA verlagerte wichtige Spiele in andere Bundesstaaten, der Rockstar Bruce Springsteen sagte Konzerte ab. Am Ende verlor die Wirtschaft von North Carolina Millionen US-Dollar durch Boykott-Aktionen. McCrory, der gehofft hatte, mit dem Thema Ängste zu schüren und Stimmen einzufangen, sah sich stattdessen mit einer riesigen Protestwelle konfrontiert. Im November 2016, zeitgleich mit der Wahl von Donald Trump ins Weiße Haus, wurde er als Gouverneur abgewählt.
Die Saat des Hasses
Damals schien es also, als sei die Hetzkampagne gegen trans Personen für die Konservativen nach hinten losgegangen. Doch schon in den ersten Monaten der Präsidentschaft von Donald Trump zeigte sich, dass die Rechte das Thema nicht einfach so kampflos aufgeben würde. Trumps Amtsführung brach mit so vielen Normen und erzeugte so viele Skandale, dass seine transfeindliche Politik größtenteils in der öffentlichen Wahrnehmung verblasste. Dabei erlaubte er etwa Unternehmen, die sich an öffentlichen Ausschreibungen der Bundesregierung beteiligen, die Diskriminierung gegen trans Personen, ließ trans Frauen in Bundesgefängnisse für Männer einweisen (wodurch die Wahrscheinlichkeit, dass sie Opfer von sexueller Gewalt werden, um das Zehnfache steigt) und änderte die Regeln für Schulen für den Umgang mit Schüler*innen mit Trans-Identität.
Während der Trump-Jahre gelang es den Konservativen in den USA, das Leben von trans Personen, aber auch Phänomene wie Drag-Performances, bei denen manchmal, aber bei weitem nicht immer, Personen mit Transgender-Identität auftreten, von einem absoluten Nischenthema, über das sich nur wenige religiöse Fundamentalisten und eine kleine Randgruppe transfeindlicher Ideolog*innen echauffierten, zu einem Mainstream-Aufregerthema der Rechten zu machen. Heute gilt die Akzeptanz von trans Personen vielen konservativen Amerikaner*innen als Teil einer allgegenwärtigen »woken« Ideologie, die ihnen angeblich von Eliten – allen voran liberalen Hochschulprofessor*innen und demokratischen Politiker*innen – aufgezwungen wird.
Schwulen- und Lesbenfeindlichkeit sowie Vorurteile gegen bisexuelle Personen gibt es zwar immer noch, doch selbst die Republikaner wagen es nicht mehr, diese offen zur Schau zu stellen. Gegen Menschen mit Transgender-Identität darf dagegen weiterhin hemmungslos gehetzt werden. Ein Hauptgrund dafür ist, dass diese Minderheit so klein und kaum sichtbar ist. Weniger als zwei Prozent der Menschen, so besagen die meisten Studien, stellen das ihnen bei der Geburt zugeschriebene Geschlecht infrage. Während die meisten Amerikaner*innen zumindest entfernte Bekanntschaft mit einer homosexuellen Person haben – sei es als Arbeitskollegin oder als Vater des Schulfreundes der eigenen Kinder – nehmen sie die meisten Menschen mit Transgender- oder nichtbinärer Geschlechtsidentität, die ihnen im Alltag begegnen, vermutlich gar nicht als solche wahr.
Heute, mehr als sechs Jahre nach der Gesetzesinitiative in North Carolina und Trumps Wahl zur Präsidentschaft, ist die Stimmung in eine äußerst gefährliche Richtung gekippt. In konservativen Bundesstaaten haben sich die Republikaner in eine regelrechte politische Verfolgungsjagd auf trans Personen, aber auch auf jegliche öffentliche Abweichung von binären, biologisch determinierten Geschlechternormen hineingesteigert. Die Bürgerrechtsorganisation ACLU verfolgt aktuell über 350 Gesetzesprojekte in über 30 der 50 Bundesstaaten, die sich gegen die Rechte von trans Personen und sexuellen Minderheiten richten.
Deckmantel »Elternrechte«
Die meisten Gesetzesinitiativen zielen dabei auf Kinder und Jugendliche ab, die ihre Geschlechtsidentität infrage stellen. Konservativen ist es gelungen, dies als Modeerscheinung unter Jugendlichen darzustellen und vielen Eltern Angst zu machen, Lehrer*innen oder Mitschüler*innen könnten ihren Kindern einreden, sie hätten ein anderes Geschlecht.
Dass dies tatsächlich geschieht, ist äußerst unwahrscheinlich. Die medizinische Versorgung von Kindern und Jugendlichen, die zum Ausdruck bringen, dass sie an ihrer Geschlechtsidentität zweifeln oder sich sicher sind, transgender zu sein, sieht zunächst eine therapeutische Unterstützung bei der Annahme einer anderen sozialen Geschlechterrolle vor. Schulen werden von Therapeut*innen zu Beispiel angehalten, Kindern zu erlauben, probeweise andere Namen anzunehmen. Falls sich bestätigt, dass sich das Kind oder die Person im Jugendalter in einer anderen Geschlechterrolle wohler fühlt, kommt erst nach geraumer Zeit und frühestens ab dem Teenager-Alter der Einsatz von Medikamenten in Frage, die den Beginn der Pubertät hirauszögern können. Damit soll jugendlichen Patienten mehr Zeit gegeben werden, ihre eigene Geschlechtsidentität zu erkunden. Die Pubertät setzt ein, sobald die Medikamente abgesetzt werden.
Bei Jugendlichen mit gefestigtem, langjährigem Wunsch nach einer medizinischen Geschlechtsangleichung kommt Hormontherapie zum Einsatz, wodurch sich bestimmte körperliche Merkmale anders entwickeln. Zu operativen Eingriffen kommt es bei Minderjährigen nur in Ausnahmefällen.
In einem Interview mit dem Podcast »Know your Enemy«, der sich mit der US-amerikanischen Rechten beschäftigt, gibt die ACLU-Kommunikationsstrategin Gillian Branstetter zu bedenken, dass den meisten Menschen in den USA einfach nicht klar sei, dass es für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Geschlechtsdysphorie etablierte medizinische Standards gebe, die keineswegs den unmittelbaren Einsatz irreversibler medizinischer Eingriffe vorsähen. Doch genau hier liege das Problem: Bei »Behandlung für trans Personen« dächten die meisten Menschen unmittelbar an Operationen zur Angleichung der primären oder sekundären Geschlechtsmerkmale. Natürlich löse die – wenn auch falsche – Vorstellung, dies geschehe bei Kindern, Unwohlsein aus, das sich leicht instrumentalisieren ließe.
Hinzu kommt, dass das Vertrauen in die Institution Schule in den USA während der Corona-Pandemie gelitten hat. Viele Eltern fühlten sich alleine gelassen, als die Schulen während der Pandemie schlossen und sie die Betreuung ihrer Kinder selbst stemmen mussten. In dieser Situation schürte die Rechte erfolgreich die Stimmung gegen Lehrer*innen und ihre Gewerkschaften – eine Grundlage, auf der sich auch die Idee, dass Kindern in der Schule eine gefährliche »Gender-Ideologie« eingetrichtert werde, leichter vermitteln lässt.
Enthemmte Gesetzgebung
Die Gesetzesvorstöße in vielen konservativen Staaten sind drastisch. In West Virginia und Tennessee soll Crossdressing, also jegliche Form der von Geschlechternormen abweichenden Bekleidung, ob durch trans Personen oder andere, als »obszön« definiert und in der Anwesenheit von Minderjährigen verboten werden. Damit würde die Präsenz von Menschen mit Transgender-Identität in der Öffentlichkeit wohl de facto kriminalisiert, auch wenn es – in Abwesenheit solch extremer Regelungen – in der jüngeren Vergangenheit bisher wenig Rechtsprechung zu diesen Gesetzen gibt.
In Texas, Nebraska und über einem Dutzend weiterer Staaten soll jegliche medizinische Unterstützung für Kinder und Jugendliche verboten werden, die ihre Geschlechtsidentität in Frage stellen. Eltern droht teils der Entzug des Sorgerechts, wenn sie die Behandlung ihrer Kinder nach gängigen psychotherapeutischen und medizinischen Standards ermöglichen. Dies ist besonders bedenklich, da eine solche Behandlung das Suizidrisiko für diese Gruppe um bis zu 70 Prozent senkt, nach manchen Studien sogar unter das der Normalbevölkerung. Die Forschung ist sich einig: Wer, wie es derzeit viele republikanische Staatenparlamente vorhaben, jungen Menschen mit Transgender-Identität den Zugang zu fachgerechter Therapie verwehrt, gefährdet schlicht Menschenleben. Florida und andere Staaten haben die Aufklärung über queeres Leben an Schulen unter Strafe gestellt.
Staaten wie Oklahoma wollen sogar noch weiter gehen. Hier ist ein Gesetz geplant, das einem Verbot der Behandlung aller Personen, also selbst von Erwachsenen, mit Transgender-Identität nach anerkannten Standards nachkommen könnte. Sämtlichen öffentlichen Einrichtungen, die Gelder der Krankenkasse Medicaid für Menschen mit geringem Einkommen oder andere öffentliche Subventionen erhalten, soll dies verboten werden, von Apotheken bis zu Krankenhäusern. Damit würde es für trans Personen praktisch unmöglich, Zugang zu medizinischer Versorgung zu bekommen.
US-Konservative waren bisher vor allem dabei erfolgreich, ihre eigene Basis davon zu überzeugen, dass die Existenz von Personen mit Transgender-Identität einen ideologischen Angriff auf sie darstellt. Ähnlich wie beim Thema Abtreibung sprechen sie für eine gesellschaftliche Minderheit, die sich aber fest an ihre Überzeugungen klammert. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos vom Juni 2022 lehnen 61 Prozent der US-Amerikaner*innen Verbote von geschlechtsangleichender Behandlung für Kinder und Jugendliche ab, während 39 Prozent sie befürworten.
Angriff auf das freie Leben
In ihrem Interview mit »Know your Enemy« betont Branstetter, dass es bei der Kampagne der US-Rechten gegen Menschen mit Transgender-Identität um viel mehr ginge als nur um die Anliegen einer kleinen, historisch marginalisierten Minderheit, die erst seit kurzem ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Akzeptanz und Sichtbarkeit erfährt. Die Hetzkampagne gegen trans Personen sei Teil eines umfangreicheren gesellschaftspolitischen Projekts der Rechten. »Es ist wichtig, zu verstehen, was Abtreibung und die Behandlung von Personen mit Transgender-Identität gemeinsam haben: Sie geben den Menschen Kontrolle über ihr Leben«, so Branstetter. Die US-Rechte könne dies nicht akzeptieren. »Ich denke, diese Leute haben Angst, dass die Existenz von Menschen mit Transgender-Identität eine Bedrohung für ihren Versuch darstellt, eine strikt binäre Geschlechtsauffassung und das komplementäre Rollenverständnis, das damit einhergeht, durchzusetzen«, so Branstetter.
Den US-Konservativen geht es nicht um Kinderschutz oder Respekt vor religiösen Minderheiten. Sie wissen, dass ihr hegemoniales Projekt auf der Aufrechterhaltung traditioneller Geschlechterrollen basiert. Egal, ob es Frauen sind, die selbst entscheiden möchten, ob sie eine Schwangerschaft austragen oder nicht, oder Menschen, die mit dem Ausdruck ihrer Geschlechtsidentität experimentieren: Für die US-Rechte ist es inakzeptabel, dass diese Personen ihre ihnen angeblich von Gott oder der Natur zugewiesene Rolle nicht annehmen wollen. Es ist daher wichtig, die Hetzkampagne gegen trans Personen als das zu begreifen, was sie ist: Ein brutaler Angriff auf eine kleine, größtenteils wehrlose Minderheit, aber auch ein Angriff auf die Möglichkeit einer befreiten Gesellschaft.
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