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Equal Pay - vom Ziel noch weit entfernt
Mehr als vier Jahre musste Susanne Dumas für Equal Pay kämpfen. Werden es andere Frauen künftig leichter haben?
Der Jubel war riesig, als das Bundesarbeitsgericht vor drei Wochen sein wegweisendes Urteil für mehr Lohngleichheit sprach. Susanne Dumas, die Klägerin, widmete ihren Erfolg »meinen beiden Töchtern und stellvertretend allen Frauen in Deutschland«: »Seid mutig, seid laut und lasst euch niemals die Butter vom Brot nehmen!«, so die Diplomkauffrau aus Dresden. Das oberste deutsche Arbeitsgericht hatte entschieden, der Verweis auf Verhandlungsgeschick rechtfertige Lohnunterschiede nicht, er sei vielmehr klarer Hinweis auf Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Damit räumte die Vorsitzende Richterin ein zentrales Argument von Arbeitgebern in aller Deutlichkeit ab.
Dumas hatte in einem sächsischen Metallbetrieb 1000 Euro weniger als ihr direkter Kollege verdient; durch Zufall erfuhr sie davon. Die Begründung des Chefs: Sie habe eben schlechter verhandelt.
Aussagen wie diese ignorieren, dass die Verhandlungsbedingungen von Männern und Frauen alles andere als gleich verteilt sind. Johanna Wenckebach, wissenschaftliche Direktorin des Hugo-Sinzheimer-Instituts für Arbeits- und Sozialrecht (HSI) der Hans-Böckler-Stiftung, erklärt: »Aus der Forschung wissen wir, dass Frauen, die hart verhandeln, als forsch, unverschämt, unangenehm wahrgenommen werden.« Männer, die sich so verhalten, gelten hingegen als kompetent und durchsetzungsstark. »Diese gesellschaftliche Wahrnehmung und Rollenzuschreibung wirkt sich aus.« Sie beeinflusst das Auftreten in Bewerbungsgesprächen genauso wie die Entscheidung, wer den Job bekommt.
Mehr als vier Jahre musste Dumas für ihr Recht kämpfen, für die gleiche Arbeit genauso viel zu verdienen wie ihr Kollege, musste sich vom Arbeitsgericht Leipzig und vom Landesarbeitsgericht Sachsen anhören, der Verweis auf Verhandlungsgeschick sei ein legitimer Grund für ungleiche Bezahlung. In den letzten beiden Wochen vor dem Gerichtstermin habe sie keinen Schlaf mehr gefunden, erzählte sie. Bleibt all das künftig anderen Frauen erspart?
Auf jeden Fall wird es enger für Arbeitgeber, Lohnunterschiede zu rechtfertigen. »Das Bundesarbeitsgericht hat eine Lücke geschlossen, die als Ausflucht gedient hat, um das Entgeltgleichheitsgebot zu umgehen«, erklärt Arbeitsrechtlerin Wenckebach. Das Entgelttransparenzgesetz schreibt das Prinzip »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit« – also Equal pay – fest. Nun habe das Gericht klar gestellt: Für Verdienstunterschiede braucht es objektiv überprüfbare Gründe. Der Verweis auf Verhandlungsgeschick gehöre nicht dazu.
Frauen verdienen in Deutschland im Schnitt 18 Prozent weniger als Männer. Selbst wenn man niedrigere Löhne aufgrund der ungleich verteilten Sorgearbeit und der schlechteren Bezahlung von Berufsgruppen, die überwiegend von Frauen ausgeübt werden, herausrechnet, bleibt eine »unerklärte« Lohnlücke von sieben Prozent. Das Urteil dürfte einzelne Frauen nun ermutigen, ebenfalls zu klagen oder zumindest einmal nachzuhaken, was der Kollege neben ihr eigentlich verdient.
Dumas ist nicht die erste Frau, die auf »Equal pay« geklagt hat. Aber sie ist die erste Klägerin, der der volle Lohn zugesprochen wurde, der ihr ungerechtfertigterweise vorenthalten wurde. Sie bekommt nun knapp 15 000 Euro nachgezahlt, zuzüglich 2000 Euro Schmerzensgeld. »Es kann also teuer werden für Arbeitgeber«, sagt Wenckebach. Die Wissenschaftlerin glaubt, dass künftig mehr Unternehmen eine Risikoabwägung anstellen und sich fragen müssten: Ist es wirklich günstiger, das Gesetz zu ignorieren?
Zugleich dämpft sie zu hohe Erwartungen: »Wenn die Existenz von auf Papier geschriebenen Rechtsnormen oder in diesem Fall ein Gerichtsurteil das Entscheidende wären, dann dürfte diese Lücke eigentlich seit Langem nicht mehr bestehen.« Das Prinzip »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit« gilt in der Europäischen Union bereits seit 1957, das Grundgesetz, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz sowie das Entgelttransparenzgesetz garantieren das Diskriminierungsverbot in Deutschland. Dass das neue Gerichtsurteil nun schlagartig dazu führt, dass sich haufenweise Unternehmen ehrlich machen und grundlos schlechter bezahlte Mitarbeiterinnen von sich aus hochstufen, ist deshalb nicht besonders wahrscheinlich.
Frauen müssen weiterhin erst herausfinden, was Kollegen verdienen und dann bereit sein für einen Konflikt mit ihrem Arbeitgeber. »Das wird nicht massenhaft passieren«, sagt Wenckebach. Sie hält es für unrealistisch, dass dieser Weg zu »grundlegenden strukturellen Veränderungen führt«.
Auch nach dem Urteil bleiben die Hürden hoch für die Durchsetzung von Entgeltgleichheit. Es wäre Sache des Gesetzgebers, diesen Kampf zu erleichtern. Feministische Wissenschaftlerinnen, die DGB-Frauen oder auch der Juristinnenbund fordern seit Langem, die Konstruktionsfehler des Entgelttransparenzgesetzes zu beheben. Denn danach haben Frauen erst in Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten Anspruch auf Auskunft über das Lohngefüge der Geschlechter. »Damit sind viele Frauenbranchen, in denen die Betriebe kleiner sind, gar nicht erfasst«, sagt Wenckebach. Das wirksamste Instrument, das dem Arbeitgeber auferlegt, von sich aus aktiv zu werden und zu überprüfen, ob seine Entgeltstrukturen diskriminierend sind, gilt sogar erst ab 500 Beschäftigten. Und selbst hier lässt der Gesetzgeber noch Spielräume, moniert Wenckebach. »Auf welche Kriterien er bei der Prüfung schauen muss, lässt das Gesetz offen.«
Die Erfahrungen der Gewerkschaft Verdi geben ihr Recht: »Bislang warten Arbeitgeber ab, ob eine Frau in den Konflikt geht und klagt«, sagt Alexa Wolfstädter, in der Verdi-Bundesverwaltung verantwortlich für Frauen und Gleichstellungspolitik. Stattdessen müsste der Druck auf den Arbeitgebern liegen, diskriminierende Strukturen zu ändern. »Transparenz reicht nicht, wir brauchen ein wirkliches Entgeltgleichheitsgesetz.« Wolfstädter fordert, Prüfverfahren für Lohndiskriminierung im Betrieb für Arbeitgeber verpflichtend zu machen.
Etwas Reformdruck dürfte schon bald aus der EU kommen: Ende März soll vom EU-Parlament eine neue Richtlinie verabschiedet werden, wonach Unternehmen ab 100 Beschäftigten künftig regelmäßig Daten zum Gehaltsunterschied von Männern und Frauen veröffentlichen müssen. So soll es einfacher werden, die Unterschiede zwischen den Geschlechtern festzustellen. Wenn Arbeitgeber die Verpflichtung zu gleicher Bezahlung missachten, hätten Arbeitnehmerinnen das Recht, Entschädigung zu verlangen. Die Richtlinie muss innerhalb der kommenden vier Jahre in deutsches Recht übertragen werden.
Entlastung für Betroffene würde auch ein Verbandsklagerecht bringen, wie es seit Jahren von Gewerkschaften gefordert wird. Damit hätten kollektive Interessenvertretungen die Befugnis, stellvertretend die Verletzung von Rechten geltend zu machen. Dann müssten sich Frauen nicht länger allein durch die Instanzen kämpfen.
Auch eine stärkere Tarifbindung wäre ein Beitrag zu mehr Lohngerechtigkeit: »Je weniger Tätigkeiten freien Aushandlungsprozessen beim Lohn unterliegen, umso weniger Spielraum für Diskriminierung gibt es«, erklärt Wolfstädter. Gänzlich ausgeschlossen ist sie freilich auch mit Tarifvertrag nicht. Einfallstor sind hier etwa Leistungsvergütungen oder außertarifliche Zulagen.
Die Deutsche Rentenversicherung Bund mit rund 19 000 Mitarbeitenden beispielsweise hat ihr System im Jahr 2020 mit Hilfe der Antidiskriminierungsstelle des Bundes überprüft. Dabei fiel auf, dass Frauen in der Hauptverwaltung im Durchschnitt niedrigere Prämien als Männer erhielten. In den 27 Rehakliniken der Rentenversicherung stellte sich zudem heraus, dass Frauen deutlich seltener Prämien erhielten. Der Betrieb wollte daraufhin ein diskriminierungsfreies Verfahren entwickeln und das Thema bei den damals anstehenden Tarifverhandlungen ansprechen.
Wo der eigene Arbeitgeber nicht von sich aus gegen geschlechterdiskriminierende Strukturen vorgeht, empfiehlt HSI-Direktorin Wenckebach den Frauen, trotz aller Schwierigkeiten ihren Auskunftsanspruch geltend zu machen. Wo möglich, zusammen mit dem Betriebsrat. »Schon um den Arbeitgebern zu vermitteln, dass den Frauen in ihrem Betrieb Lohndiskriminierung nicht egal ist.«
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