- Politik
- Sturm auf die Rentenreform in Frankreich
Franzosen wehren sich gegen Rentenreform
Gewerkschaften rufen zum Streik gegen Macrons Pläne auf
Der sechste Streik- und Aktionstag am Dienstag dürfte sich zu einem Höhepunkt im Kampf gegen die Rentenreform gestalten. An den etwa 250 Demonstrationen im ganzen Land werden nach Schätzungen der Gewerkschaften wieder mehr als zwei Millionen Menschen teilnehmen. Das rote Tuch für die protestierenden Franzosen ist die Anhebung des Rentenalters von 62 auf 64 Jahre und eine Verlängerung der Mindestbeitragsdauer von 42 auf 43 Jahre. Das wollen die Gewerkschaften verhindern.
Die kleinen Zugeständnisse, die die Regierung in den vergangenen Wochen hier und da an ihrem Text gemacht hat, fallen nicht ins Gewicht. Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, setzen die Gewerkschaften auf Streiks in Schwerpunktbereichen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens. Einige Gewerkschafter der CGT drohen sogar, »das wirtschaftliche Leben des Landes zum Stillstand zu bringen«, um so »die Regierung in die Knie zu zwingen«. Die meisten Streikenden sehen das realistischer, aber es ist unübersehbar, dass diesmal die Arbeitsniederlegungen machtvoller sind als gewöhnlich. Bereits am vergangenen Freitag begannen Arbeitsniederlegungen im Energiesektor. Wegen abgeschalteter Stromleitungen mussten mehrere Kernkraftwerke zeitweise heruntergefahren werden. Die Lkw-Fahrer schlossen sich an, indem viele Lastwagen nach dem Wochenendfahrverbot nicht auf die Straße zurückkehrten.
Am Montag begann der Streik bei der Fluggesellschaft Air France und bei der staatlichen Eisenbahn SNCF. Auf den großen TGV-Fernstrecken fährt am Dienstag nur etwa jeder zehnte fahrplanmäßige Zug und im Regionalverkehr wurden viele Linien gar nicht bedient. Bei der Pariser Metro sind nur einige wenige Züge im morgendlichen und abendlichen Berufsverkehr unterwegs. An den Schulen haben mehr als 60 Prozent der Lehrer ihre Teilname an den Streiks angemeldet, so dass von vornherein viele Schulen an diesem Tag geschlossen bleiben.
Einen besonderen Charakter bekommt dieser Streik- und Aktionstag dadurch, dass nicht nur die – unkündbaren – Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes einen »Stellvertreterstreik« für alle anderen Berufsgruppen durchführen, sondern dass sich diesmal auch viele Beschäftigte von Privatunternehmen beteiligen, allen voran Mitarbeiter des Elektronik- und Rüstungskonzerns Thales.
Zwar lehnen Umfragen zufolge weiterhin zwei Drittel der Franzosen die Rentenreform ab, doch gleichzeitig sind etwa genauso viele Menschen überzeugt, dass die Regierung sie trotz der Proteste und gegen jeden Widerstand durchsetzen wird. Diesen Eindruck verstärken die Debatten über das Rentenreformgesetz, die in diesen Tagen im Senat stattfinden. Hier in der zweiten Kammer des Parlaments haben die rechtsoppositionellen Republikaner die Mehrheit. Da sie hinsichtlich der Eckpunkte der Reform – Rentenalter mit 64 und 43 Jahre Beitragszahlung – mit der Regierung übereinstimmen, besteht die Aussicht, dass das Gesetz im Senat angenommen wird. Um sich ihre Unterstützung zu sichern, ist die Regierung auf viele ihrer Forderungen zu sekundären Punkten der Reform eingegangen. Doch selbst wenn das Gesetz im Senat angenommen wird, muss eine paritätische Kommission aus Vertretern beider Kammern des Parlaments noch nach einem Kompromiss suchen. Kommt der nicht zustande, bleibt der Regierung immer noch der Ausweg, das Reformgesetz nach Artikel 49.3 der Verfassung mit der Vertrauensfrage zu verbinden. Da dabei nur die linke und die rechtsextreme Opposition gegen die Regierung stimmen würden, keinesfalls aber die rechtsbürgerlichen Republikaner, wäre das Gesetz angenommen. Doch für die Regierung und mit ihr auch für Präsident Emmanuel Macron, der die Rentenreform zum wichtigsten Vorhaben seiner Amtszeit erklärt hatte, wäre das ein Armutszeugnis und damit eine empfindliche Niederlage.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.