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Weintraubs Syncopators: Die verschwundenen Musiker
»Mein Gorilla hat ’ne Villa im Zoo« - Die erste Biografie der 1920er Jahre-Showband Weintraubs Syncopators
Die Weintraubs waren die Beatles ihrer Zeit – eine außergewöhnlich erfolgreiche Showband, die den synkopierten Sound der Weimarer Republik lieferte und 1930 im weltberühmten Film »Der Blaue Engel« neben Marlene Dietrich zu sehen ist. Im März 1933 konnte man sie nochmals auf der Leinwand bestaunen, in »Heut’ kommt’s drauf an«, wo Hans Albers als Bandleader das eigentlich führerlose »Kollektiv« leitet. Zum Zeitpunkt der Kinopremiere hatten die Bandmitglieder allerdings Nazi-Deutschland schon verlassen – ihre Klänge galten jetzt als »Negermusik«, »jüdisch« und »entartet«. Sie mussten anderswo Auftrittsmöglichkeiten suchen. Das führte sie in die Sowjetunion, wo sie 1935/36 gastierten. Mit der Folge, dass sie anschließend als »Linke« und »Kommunisten« abgekanzelt wurden.
Als sie 1937 nach einem erfolgreichen Gastspiel in Japan nach Australien kamen und dort bleiben wollten, galt für sie das Vorurteil, alle Deutschen seien Nazis. Drei Mitglieder der Weintraubs kamen nach Kriegsausbruch als »Enemy Aliens« (feindliche Ausländer) für 15 Monate hinter Stacheldraht. Schon davor wurden die Musiker in Australien von der lokalen Musikergewerkschaft und einem antisemitischen Gewerkschaftsführer als Bedrohung eingestuft. Sie bekamen keine Auftrittserlaubnis. Was zu derart gravierenden Problemen führte, dass sich die Band schließlich auflöste. Und vergessen wurde. Jetzt liegt erstmals deren Biografie vor, geschrieben vom Musikwissenschaftler und Exilforscher Albrecht Dümling.
Der Autor hatte einst die Hanns-Eisler-Gesellschaft aufgebaut, die Gesamtausgabe des Komponisten herausgebracht und danach ein Exilforschungsprojekt begonnen – über Musiker, die nach Australien emigrierten beziehungsweise dorthin deportiert wurden (via Großbritannien). Das Projekt begann um das Jahr 2000 Fahrt aufzunehmen, als Dümling in Melbourne und Sydney lebte und recherchierte. Zu der Zeit kam der Film »Weintraubs Syncopators. Bis ans Ende der Welt« von Jörg Süßenbach und Klaus Sander heraus, der Dümling auf die Spur brachte. Er bekam von Süßenbach die Adresse der noch lebenden Musiker oder ihrer Nachfahren. Dümling traf sich mit ihnen und veröffentlichte Kurzbiografien einiger Bandmitglieder in dem 2011 erschienen Buch »Die verschwundenen Musiker: Jüdische Flüchtlinge in Australien«, wo insgesamt 90 Musikerschicksale behandelt werden.
Danach ruhte die Geschichte der Weintraubs – bis Dümling sich während des ersten Corona-Lockdowns überlegte, was er mit seiner unverhofften Zeit zu Hause anstellen könnte, wie er in einem Interview mit dieser Zeitung sagte. Er besann sich auf die Weintraubs. Im Archiv der Berliner Akademie der Künste in Berlin (AdK) fand er Material, das ihm der Archivleiter freundlicherweise kopierte. Zusammen mit einem Online-Archiv in Australien und dem Material, das er schon gesammelt hatte, machte sich Dümling daran, die Weintraubs-Story endlich umfassend aufzuschreiben – die Geschichte jener Band, die den Comedian Harmonists als Vorbild gedient hatte, die aber heute bei weitem nicht so präsent in der Erinnerungskultur verankert ist wie jene.
In seinem reich bebilderten Buch schildert Dümling nicht nur den Aufstieg zu Ruhm und die Flucht aus Deutschland, die Probleme mit den Behörden in Australien und die Auflösung der Band. Nein, er widmet sich auch der Frage, was die Stars eigentlich danach taten. Anfangs lebten alle weiterhin in Sydney. Stefan Weintraub fing an als Mechaniker zu arbeiten, ebenso Horst Graff, der Lautsprecher montierte. Ab und zu musizierten beide gemeinsam in von Emigranten besuchten Cafés. Manny Fisher gründete eine große Fleischverpackungsfirma und machte Musik nur noch als Hobby. Leo Weiß, der einstige Pianist, gründete eine neue Band, die er »Leo White and His Orchestra« nannte. Ein anderes Bandmitglied wurde Cellist im Sydney Symphony Orchestra.
Was die Lektüre des Buchs so faszinierend macht, ist die Erkenntnis, wie weit die Folgen des Faschismus über 1945 hinausreichen. Verblüffend ist auch das wunderbare Bildmaterial. Auf dem Cover ist ein Ausschnitt des Ölgemäldes »Jazzband« von Max Oppenheimer zu sehen. Dieses war zeitweise als Leihgabe in der National Library of Canada in Toronto ausgestellt. Die Bibliothek durfte Dümling aber nicht sagen, wer der private Eigentümer ist. Dass es nur in Schwarz-Weiß auf dem Cover abgedruckt ist, hat seine Bewandtnis: In dieser Form ist es auch in einer Werbebroschüre der Weintraubs von 1930 abgebildet worden. Die Broschüre befindet sich im Archiv der AdK. Die beiden anderen Cover-Fotos stammen aus dem Privatbesitz von John Waxman, Sohn des berühmten Hollywoodfilmkomponisten Franz Waxman, der als Franz Wachsmann die Musik zum »Blauen Engel« instrumentierte und das Ufa-Orchester geleitet hatte. Auf einem der beiden Fotos sieht man die sieben Weintraubs übereinander getürmt. Das andere zeigt Wachsmann gegen die Wand gelehnt bei der Trauerfeier für Paul Steinrück, einem Schauspieler am Großen Schauspielhaus in Berlin. Als er 1929 starb, hinterließ er kaum Geld, weswegen alle Theatergrößen der Zeit – von Elisabeth Bergner über Fritzi Massary bis zum »Schwejk«-Darsteller Max Pallenberg – bei einer Benefizveranstaltung für seine Familie mitmachten. Man sieht auf dem Foto Pallenberg am Saxophon, Massary daneben als Zofe. Links von ihr spielt Stefan Weintraub Schlagzeug. Es ist eine Momentaufnahme, die glanzvolle deutsche Unterhaltungskultur von Weltformat festhält, die kurz darauf komplett ausradiert worden ist.
Bleibt zu hoffen, dass jemand von Ufa Fiction auf den Stoff aufmerksam wird und ihn einer größeren Öffentlichkeit über einen Film oder eine Serie zugänglich macht.
Albrecht Dümling: »Mein Gorilla hat ’ne Villa im Zoo.« Die Weintraubs Syncopators zwischen Berlin und Australien. ConBrio-Verlag, 232 S., geb., 24,90 €.
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