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Wo bleibt der Klimawandel?
Wenig divers, nicht ökologisch und kaum sozialkritisch: die Filme, die für die Oscars nominiert wurden
Sonntagnacht werden im Dolby Theatre in Los Angeles zum 95. Mal die Oscars vergeben. Und wieder spielt die Frage, wie weiß oder wie wenig divers die Auserwählten für die begehrten Trophäen der Filmakademie in Hollywood eigentlich sind, eine nicht zu unterschätzende Rolle. Die Verleihung der Golden Globes und der British Academy Film Awards war schon von dieser nicht abreißenden Debatte geprägt. Zwar gab es um das Thema nicht so viel Aufhebens wie 2014, als unter dem Hashtag #oscarssowhite eine Kampagne für mehr Diversität viel Aufmerksamkeit erhielt. Aber schon seit Wochen wird in zahlreichen US-amerikanischen Feuilletons beklagt, dass weder »Till« noch »The Woman King« beziehungsweise deren Hauptdarstellerinnen Danielle Deadwyler und Viola Davis für die Kategorie »Beste weibliche Hauptfigur« nominiert worden seien, obwohl das für viele Kritiker bei Erscheinen der Filme fast schon als ausgemacht galt. Vor allem Deadwylers schauspielerische Leistung im rassismuskritischen Film »Till« wird von vielen zurecht als herausragend bewertet. Und Jordan Peeles von der Kritik überschwänglich gefeierter Science-Fiction-Horror-Film »Nope« ging gar nicht erst ins Rennen um die Oscars. Eine kürzlich veröffentlichte Studie der kalifornischen Journalistenuniversität in Annenberg stellte fest, dass die Nominierungen seit der Kampagne 2014 zwar etwas diverser geworden seien, sich das aber nur langsam und wenig ändere.
Von den zehn nominierten Künstler*innen für die begehrte Trophäen »Bester Schauspieler« und »Beste Schauspielerin« ist nur Michelle Yeoh nicht weiß. Die 60jährige spielt die Hauptrolle in der durchaus sympathischen Independent-Action-Komödie »Everything Everywhere all at once«, die mit insgesamt überraschenden elf Nominierungen diesjähriger Spitzenreiter ist. Der Film wurde auch für die renommierten Kategorien »Bester Film« und »Beste Regie« nominiert, die aber ansonsten thematisch und personell von weißen Filmemacher*innen dominiert werden.
»Everything Everywhere all at once« erzählt von einer chinesischstämmigen Familie in einer US-amerikanischen Großstadt, die einen Waschsalon betreibt und Probleme mit dem Finanzamt bekommt, als die Eigentümerin plötzlich Kontakt mit Wesen aus Paralleldimensionen aufnimmt und fortan durchs Multiversum reist, um gegen Ignoranz und Selbstaufgabe zu kämpfen. So gelungen der Film das testosterongesteuerte Action-Kino Hollywoods karikiert und fleißig intertextuelle Verweise satirisch in Szene setzt (unter anderem zu Stanley Kubricks »2001« und Pixars »Ratatouille«), bleibt die Erzählung dann doch einer recht flachen und simplen Philosophie aus Freundlichkeit und konstruktiver Demut als Bollwerk gegen alles Böse verpflichtet.
Deutlich substanzieller in ihrem gesellschaftskritischen Anspruch sind die bereits mehrfach ausgezeichneten Filme »Banshees of Inisherin« und »Im Westen nichts Neues« mit jeweils neun Nominierungen. Regisseur Edward Berger gelang es mit seiner Adaption von Erich Maria Remarques Antikriegsroman, der nicht zuletzt wegen des Krieges gegen die Ukraine so viel Aufmerksamkeit bekommen haben dürfte. Damit wurde zum ersten Mal in der Geschichte der Oscars ein deutscher Beitrag für die Kategorie »Bester Film« nominiert. Zu den Abräumern dürften aber auch Todd Fields Film »Tár« (sechs Nominierungen) über eine Dirigentin gehören, für deren Darstellung Cate Blanchett in den Feuilletons schon über Gebühr abgefeiert wurde. Aber auch Steven Spielbergs sehenswertes Auto-Biopic »The Fabelmans« (sieben Nominierungen), eine eigenwillig stilisierte Familiengeschichte, die vor allem viel vom Filmemachen, aber auch vom Antisemitismus in der High School und leider nur mäßig reflektiert vom Ausbruch der Mutter aus ihren familiären Zwängen erzählt. Mit fünf Nominierungen wartet »Wakanda Forever«, die Fortsetzung von Marvels afrofuturistischem Black-Panther-Epos, auf, Angela Bassett hofft auf den Oscar als »Beste Nebendarstellerin«; die weiteren Kategorien, in denen der Film nominiert wurde (etwa Musik), sind aber weniger bedeutsam.
Eine sozialkritische Perle, wie etwa der Film »Coda« im vergangenen Jahr, der ebenso von einem Konflikt in der Working Class wie auch vom Kampf gegen gesellschaftlichen Ausschluss erzählt, findet sich dieses Jahr nicht. Zwar ist Andrea Riseborough als beste Hauptdarstellerin für den von Hollywood-Promis wie Kate Winslet und Edward Norton zum Teil mit privaten Screenings für Kolleg*innen der Filmbranche beworbenen Independent-Film »To Leslie« nominiert, der die Geschichte einer alkoholkranken, obdachlos gewordenen ehemaligen Lotteriegewinnerin erzählt. Aber um die Nominierung wurde gestritten, da die Hilfe der Hollywood-Prominenz nicht ganz den Richtlinien der Oscar-Jury entspricht. Wegen dieses Falls wurde noch einmal mehr darüber diskutiert, dass die Nominierungen zumeist mit dicken Werbebudgets verbunden sind, es also vor allem finanzkräftige Produktionen in die Auswahl schaffen. Aber auch die sozialkritische Apple-Produktion »Causeway« mit Jennifer Lawrence als traumatisierte Veteranin, die auf Bryan Tyree Henry als Automechaniker trifft, der ebenfalls gegen seine Traumata ankämpfen muss, erhielt eine Nominierung (Bryan Tyree Henry als »Bester Nebendarsteller«).
Durchaus politisch geht es übrigens auch bei den Animationsfilmen zu. Guillermo del Toro inszeniert den keinesfalls für Kinder geeigneten »Pinocchio« als antifaschistisches Märchen im Italien der 30er Jahre. Der Pixar-Film »Rot« ist ein kinderkompatibles, rotzfreches popfeministisches Animationsabenteuer und wahrscheinlich der am meisten divers daherkommende Film von allen Nominierungen, wenngleich er nicht ganz so eine opulente Fundgrube fürs linke Feuilleton ist wie Pixars Produktionen »Frozen II« und »Encanto«. Was bei aller Diskussion um die Frage, wer von wem im Film repräsentiert und was thematisch erzählt wird, kaum eine Rolle spielt bei den nominierten Filmen, ist das gesellschaftspolitisch so wichtige Thema Klimawandel. Zwar könnte David Camerons Multimillionen-Dollar-Erfolg »Avatar 2« als Öko-Film durchgehen, es gibt auch zwei nominierte Dokus zum Thema Umwelt (sehr beeindruckend ist »Haulout«) und immerhin erzählt der nominierte Kinderanimationsfilm »Seeungeheuer« eine speziezismuskritische Geschichte. Aber der Klimawandel kommt in den kleinen und großen Hollywood-Produktionen bisher einfach nicht vor. Mal sehen, ob sich das eines Tages ändert.
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