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Kampf um Perspektive: Roma protestieren gegen Abschiebung
Geflüchtete aus der Republik Moldau werden in Berlin ausreisepflichtig, weil ein Moratorium des rot-grün-roten Senats ausläuft
»Wir wollen hier bleiben. Wir wollen nicht abgeschoben werden und alle drei Monate wiederkommen«, sagt eine junge Mutter und erhält Zuspruch aus der Menge. Wie die meisten, die sich am Samstagnachmittag auf dem Rosa-Luxemburg-Platz in Mitte versammelt haben, stammt die Romni aus der Republik Moldau. Die Frau mit dem Mikrofon wirkt verzweifelt: »Sie behandeln uns wie Hunde.«
Sie will ihre Kinder auf eine Schule schicken, arbeiten, sich keine Sorgen ums Essen machen müssen. All das, erklärt sie in ihrer Rede deutlich, kann sie in ihrem Herkunftsland nicht. Doch über 3200 ausreisepflichtigen Moldauerinnen und Moldauern wie ihr droht nach Ende des Monats die Abschiebung in ihr Herkunftsland. Das im Koalitionsvertrag von 2021 formulierte Wintermoratorium, das sie bisher schützte, läuft aus. Betroffen sind vor allem Roma.
Das weiß auch Nora Brezger vom Flüchtlingsrat Berlin, die nach den Berichten Betroffener auf die aus einem bunten Laster herausgeklappte Bühne tritt. Das Berliner Bündnis Bare hat den Aktionstag initiiert. »Moldauische Schutzsuchende werden als Unbeliebte behandelt und gegen sie wird polemisiert«, kritisiert Brezger. So gebe es in der Hauptstadt auch keine Beratungs- und Unterstützungsstruktur für die Geflüchteten. Roma würden in separierten Notunterkünften untergebracht, die sich durch »besonders schlechte Bedingungen auszeichnen«, sagt Brezger.
Bundesweit belegt die Republik Moldau den fünften Platz unter den Zielorten für Abschiebungen. Brezger sagt: »Die Abschiebungen sind meist besonders brutal. Sie betreffen häufiger Menschen mit Behinderung und Krankheit.« Der Umgang mit schutzsuchenden Roma müsse sich endlich deren Lebensumständen anpassen. Sie argumentiert dabei auch mit der Verfolgung von Sinti und Roma während des Nationalsozialismus: »Ein Abschiebestopp ist unsere historische Verantwortung.«
In ihrem Herkunftsland bleibt den moldauischen Roma kaum etwas. Institutioneller Antiziganismus blockiert die Zugänge zu Arbeit, Wohnen, Bildung und auch zur Gesundheitsversorgung, um die es in der Republik Moldau ohnehin schlecht bestellt ist. Noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts war die Versklavung von Roma in der heutigen Republik Moldau erlaubt.
Die Ausmaße macht Ion Duminica von der Roma-Selbstorganisation Porojan am Samstag bei einer anschließenden Podiumsdiskussion deutlich. »Die Probleme fangen schon bei der statistischen Erfassung an«, sagt Duminica, der auch für ein Institut des moldauischen Kultusministeriums arbeitet. Bei der aktuellsten Volkszählung in der Republik Moldau von 2014 hätten sich gerade einmal rund 9000 Menschen als der Roma-Minderheit zugehörig bekannt. Zivile Organisationen schätzten die Zahl hingegen auf über 100 000. Die meisten würden sich nur ungern als Roma zu erkennen geben.
Viele seien dabei Analphabeten, verfügten über keinen formellen Schulabschluss und keinen Zugang zum moldauischen Arbeitsmarkt, ergänzt Duminica. »Es gibt auch Arbeit, aber die Gehälter sind unheimlich niedrig, zwischen 100 und 200 Euro.« Deshalb hätten zahlreiche Menschen Arbeit in der Ukraine und Russland gesucht. »Doch mit dem Krieg ist das jetzt nicht mehr möglich.« Das Vertrauen in moldauische Ärztinnen und Ärzte sei zugleich gering. Das Gesundheitssystem bewege sich auf einem so schlechten Niveau, dass die Menschen befürchten müssten, nicht adäquat behandelt zu werden.
Um den Roma zu helfen, ist in der Republik Moldau ein Nationalplan entworfen worden. Doch die finanziellen Mittel des Staates sind begrenzt und Maßnahmen scheitern bisweilen daran, dass sich Roma nicht als solche zu erkennen geben wollen. Finanzielle Unterstützung aus Deutschland, so ein Argument in der Diskussionsrunde, könnte dabei helfen, Fluchtursachen zu verringern.
Elif Eralp, die migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, sieht den Bund in der Pflicht, die Situation für Roma in Berlin zu verbessern. »Es ist so, dass wir als Linke jegliche Abschiebung ablehnen«, sagt sie am Samstag. »Wir haben versucht, das im Koalitionsvertrag zu verwirklichen.« Allerdings sind die Einflussmöglichkeiten des Landes Berlin begrenzt: Auch wenn das Berliner Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten die Anträge entgegennimmt, entscheidet am Ende die Bundesrepublik über die Asylverfahren. Das Beste wäre deshalb eine bundesweite, angemessene Bleiberechtsregelung, findet Eralp.
Lediglich in einzelnen Fällen könne Berlin dafür sorgen, Aufenthaltstitel mit Wohlwollen zu vergeben. Vor der Wahl, so die Linke-Politikerin, habe sie bereits mehrere Gespräche mit Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) geführt und um eine entsprechende Umsetzung des Koalitionsvertrags gebeten. »Die Innenverwaltung der SPD hat das aus meiner Sicht zu wenig gemacht«, sagt Eralp. Jetzt, nach der Wahl, sei die Konstellation bekanntermaßen eine andere. »Auch aus der Opposition heraus, in die wir wahrscheinlich gehen werden als Linke, werde ich weiter Anträge stellen.«
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