Bundesregierung prägt Polizeiproblem

Neue Gedenkmünze unterstreicht das Bild einer polizeilichen Schicksalsgemeinschaft

Die Sammlermünze »Polizei« zeigt ein deutungsoffenes Wappenschild, verschiedene Einsatzformen und ein Problem.
Die Sammlermünze »Polizei« zeigt ein deutungsoffenes Wappenschild, verschiedene Einsatzformen und ein Problem.

Ist es Absicht oder kennt das Finanzministerium die Auseinandersetzung um extremistische Erzählungen in der Polizei einfach nicht? Die Bundesregierung habe beschlossen, eine 10-Euro-Sammlermünze »Polizei« prägen zu lassen und im Mai 2024 herauszugeben, heißt es auf der Webseite des Ministeriums. Auf der Rückseite sind sechs Polizisten abgebildet, die unter anderem mit einem Entschärfungsroboter, zu Pferd, auf dem Motorrad oder mit einem Schäferhund posieren.

In die Münze ist ein Kunststoffring in der Farbe Kobaltblau eingelassen. Damit reiht sie sich ein in die verschiedenen Devotionalien, die im Internet unter der Linie »Thin blue line« (»Dünne blaue Linie«) bestellbar sind und eine Debatte um Extremismus auch in deutschen Polizeibehörden ausgelöst haben.

Die Linien-Symbolik soll eine Schicksalsgemeinschaft beschreiben und hat ihren Ursprung vermutlich in einer Schlacht im Jahr 1854 auf der Krim. Rot gekleidete schottische Soldaten stoppten damals eine Attacke russischer Angreifer, daraus entstand das Narrativ einer »Thin red line«. Mit zunehmenden Demonstrationen gegen die Rassentrennung fand die blaue Abwandlung ein Jahrhundert später bei der Polizei in den USA Verbreitung.

Populär wurde die »Thin blue line« in den USA aber erst mit Black Lives Matter in den Zehnerjahren. Auf diese Proteste gegen polizeiliche Todesschüsse auf Schwarze Menschen reagierten rechte Beamte mit einer Kampagne »Blue Lives Matter« und trugen dazu Aufnäher, Anstecknadeln oder Flaggen mit der dunkelblauen Linie. Etwa zur gleichen Zeit hielt die »Thin blue line« bei der Polizei in Deutschland Einzug, darunter auf Facebook oder Instagram unter dem Hashtag #InstaCops.

Deutsche Polizisten, die Produkte mit einer »Thin blue line« im Internet bestellen, wollen dies als Zeichen der Solidarität und Anerkennung verletzter und getöteter Kollegen verstanden wissen. Viele sähen sie aber als »vorderste Linie gegen das Abrutschen der Gesellschaft in gewalttätiges Chaos«, schreibt der Berliner Senat in der Antwort auf eine Kleine Anfrage. Die Symbolik finde auch »in rechten Zusammenhängen Verwendung« und sei deshalb »insbesondere im Zusammenhang mit der Dienstkleidung nicht akzeptabel«.

Noch kritischer ist eine Ausarbeitung des bayerischen Landeskriminalamtes aus dem Jahr 2021. Die blaue Linie sei mit einem »zum Teil historisch begründeten, aber auch aus der Vereinnahmung durch extremistische Kreise herrührenden Symbolgehalt verbunden«, heißt es darin. Bei ihrer Verwendung sei »unbedingt Vorsicht geboten«, auch außerhalb des Dienstes sei dies »nicht völlig unproblematisch«.

Immer wieder haben Beamte die Symbolik trotzdem öffentlich gezeigt. So hat etwa die Polizei in Kiel ihr 4. Revier vor zwei Jahren zu Weihnachten mit einer blauen Linie beleuchtet. Die Polizei in Mannheim postete auf Facebook ein Gedicht »Gemeinsam stehen wir füreinander ein, stehen zusammen, auf der ›thin blue line‹«. Polizisten verschiedener Bundesländer fallen immer wieder mit Patches mit der Symbolik auf, die bis zu ihrer Schließung unter anderem auf der Merchandise-Webseite »Polizist=Mensch« bestellt werden konnten. Auch der Bundesvorstand der Gewerkschaft der Polizei ließ unter dem Motto »Position beziehen« Aufnäher produzieren, distanzierte sich aber nach dem polizeilichen Mord an dem US-Amerikaner George Floyd davon.

Das Finanzministerium will von alldem nichts wissen. Der blaue Farbring in der Sammlermünze »Polizei« habe keinen Bezug zu der »Thin blue line«, sagte ein Sprecher zu »nd«. Die Frage, ob es beim Design Diskussionen gegeben habe, womöglich ein rechtes Sammlerstück geschaffen zu haben, wird nicht beantwortet.

Die Münze ist die dritte Ausgabe im Rahmen der Serie »Im Dienst der Gesellschaft«, die nach der Corona-Epidemie vor einem Jahr für Berufsgruppen aufgelegt wurde, »die für das Funktionieren unserer Gesellschaft und das Leben jedes Einzelnen unverzichtbar sind«. Die erste Münze »Pflege« erschien im Mai 2022 mit einem grünen Farbring, in zwei Monaten soll die rot dekorierte Münze »Feuerwehr« folgen.

Dass die 2024 herausgegebene »Polymerringmünze« in Kobaltblau kommt, sei auf einen 1998 erfolgten EU-Beschluss zurückzuführen, so das Finanzministerium. Damals hatten sich die Mitgliedstaaten bei der Ausstattung ihrer Polizeikräfte auf die bis dahin mehrheitlich verwendete Farbe Blau geeinigt. Die Polizeimünze statt mit einer runden Linie lieber mit einem blauen Klecks zu entwerfen, war demnach für die Bundesregierung keine Option.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.