Rigorose Menschlichkeit

Hirokazu Koreeda erzählt in »Broker« von Verlust, Angst und Ungerechtigkeit

  • Benjamin Moldenhauer
  • Lesedauer: 4 Min.

Löst man die Familie von der Idee der Blutsbande, entstehen Möglichkeiten, aber auch Traurigkeit und Verlust. Eine solche Geschichte hat der japanische Regisseur Hirokazu Koreeda schon häufiger erzählt, in »Like Father, like Son« zum Beispiel. Oder in »Shoplifters«. Letzterer spielte in einem Setting, das man aus den sozialrealistischen Filmen des Westens als Inbegriff von Ausweglosigkeit kennt: Armut, der Vater geht mit dem Sohn Klauen, die Tochter arbeitet in einer Art Striplokal. Aber Koreeda blickt auf die Armen und Abgehängten in einer Weise, die das Gewicht von ihren Schultern nimmt, ohne etwas zu bagatellisieren.

»Blickt auf« trifft es eigentlich nicht. Die Blicke gehen hier gleichsam von den Protagonistinnen und Protagonisten aus und werden zu denen von Zuschauerin und Zuschauer. Es gibt nur wenige Filmemacher, die einen so widerstandslos in das Leben und das Erfahrungswissen ihrer Figuren hineinnehmen. Spätestens seit seinem ersten Filmerfolg »After Life« (1998) gelingt Hirokazu Koreeda, woran die meisten Regisseurinnen und Regisseure, die Derartiges vorhaben, immer wieder scheitern: eine Sprache und Bilder zu entwickeln, die eine Menschlichkeit leben, die nichts Geglättetes hat.

In »Broker« – der erste Film von Hirokazu Koreeda, der in Südkorea spielt – stellt die junge Mutter Su-jin (Bae Doona) ihr ungeplantes Kind vor einer Kirche in Busan ab, damit es in der Babyklappe landet. Sie wird von zwei Polizistinnen observiert, die einen Kinderhändlerring ausheben wollen. Der entpuppt sich als ein sehr sympathisches Duo aus zwei schief in die Welt gestellten Männern, Ha Sang-hyun (Song Kang-ho) ist hochverschuldet und kämpft um den Kontakt zu seiner Tochter, die in Seoul lebt. Gang Dong-won (Dong-soo) wurde als Kind selbst weggegeben. Zusammen mit einem Adoptivkind und der Mutter, die das Kind nun auch selbst verkaufen will, und einem weiteren Waisenhauskind, das niemand adoptieren will, fahren Ha Sang-hyun und Gang Dong-won als temporäre Patchwork-Familie durchs Land, auf der Suche nach Käufern und mit einem Gangster an den Fersen, dessen Chefin das Kind ebenfalls haben will.

Was Hirokazu Koreeda aus der Geschichte gemacht hat, kann ansonsten so keiner. »Broker« hätte, je nachdem, wer so einen Stoff in die Finger bekommt, viele Filme werden können: ein humoriges Road Movie, eine moralisch hochwertige Erzählung über Mutterschaft, ein gewaltvoller Gangsterfilm. Hirokazu Koreeda hingegen hat einen Film gemacht, der jedes Genre umfährt oder besser noch: so gefilmt ist, als wären Genres nie erfunden worden. »Broker« ist ein sanfter, schwebender Film geworden, der einem seine Figuren auf eine stille, fast schüchterne Weise nahebringt, ohne ihnen oder dem Publikum zu nahe zu treten. Man kann Hirokazu Koreedas Techniken eigentlich nur mit unpassenden Maximalbegriffen beschreiben. Er ist ein Filmemacher, der ausnahmslos allen seinen Figuren in jeder Situation ihre Würde lässt. Es gibt nichts in diesem Film, was als böse codiert wäre. Alle haben immer Gründe. Aber diese Gründe lassen nichts einfach oder weniger schmerzhaft werden – den Verlust, die Angst vor dem Alleinsein, die Ungerechtigkeit.

Man kann mit den Filmen von Hirokazu Koreeda lernen zu verzeihen. Mit der Ambivalenz, in die Zuschauerin und Zuschauer in »Broker« wieder sanft gestoßen werden, entsteht Komplexität. Da ist es dann auch egal, wenn sich das nächste Klischee in die Rezension einschleicht: »Broker« lebt von einer Wärme, die, so weit würde ich bei allem Wissen um die begrenzte Wirkung von symbolischen Welten schon gehen, dazu in der Lage ist, Zuschauerinnen und Zuschauer zu besseren Menschen werden zu lassen. Oder vorsichtiger formuliert: Man wird in den zwei, drei Stunden, nachdem man das Kino verlassen hat, niemanden schaden, verletzen oder kränken wollen. Und gleichzeitig kann man in »Broker« sehen, dass der gute Wille nicht entscheidend und die Menschen in der Welt, so wie sie momentan eingerichtet ist, nicht die Herren ihres Schicksals sind.

Hirokazu Koreeda schenkt uns trotzdem eine Art Happy End, das wiederum nicht unterkomplex wirkt. Schon weil nicht alle heil herauskommen. Man findet kein Klischee in diesen warmen, spröden Bildern.

»Broker – Familie gesucht«, Japan/ Südkorea 2022. Regie: Hirokazu Koreeda, mit Song Kang-ho, Ji-eun Lee, Dong-won Gang, 129 Min.

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