Bei Familie Kaval im Knast

In der ARD-Miniserie »Asbest« wird aus dem 19-jährigen Fussballprofi Momo der Gangster Mohamed

  • Gaston Kirsche
  • Lesedauer: 4 Min.
Cousin Sharif (Burak Yiğit, li.) möchte Momo (Xidir Koder Alian, re.) auf seine Seite ziehen.
Cousin Sharif (Burak Yiğit, li.) möchte Momo (Xidir Koder Alian, re.) auf seine Seite ziehen.

Kida Khodr Ramadan, bekannt geworden durch sein überzeugendes Spiel in der Serie »4 Blocks«, hat die Regie der Serie »Asbest« übernommen. Er spielt als Gangsterboss auch mit. Vom Gefängnis aus regelt er Geschäfte, »der Kurde« wird er nur genannt. In Folge vier erklärt er markig in der Zelle: »Hier sind die Wände aus Asbest, giftig. Aber ich bin noch giftiger als Asbest.« Damit wäre nicht nur geklärt, wie die Serie zu ihrem Titel kam, sondern auch ihr Sound: Die Männer mackern rum und brüllen gerne. Ein paar Frauen dürfen auch mitspielen, als liebende Mutter, treue Freundin, empathische Therapeutin oder, immerhin originell, zugedröhnte Gefängnisdirektorin. Ort der Handlung ist die Justizhaftanstalt Berlin-Moabit. Gedreht wurde ironischerweise in dem stillgelegten Frauengefängnis in Köpenick aus DDR-Zeiten. In echten, abgerockten Zellen. Diffuse Beleuchtung und Kamera erzeugen den Eindruck eines permanenten Halbdunkels in den Innereien des Gefängnisses.

Nahaufnahmen und eine verwackelte Handkamera sollen Authentizität erzeugen. Die Ästhetik und die Bildersprache sind ab der ersten Minute derart standardmäßig, dass es langweilt. Die Kamera schwenkt ein zehnstöckiges Haus hoch – Achtung, Arbeiterschließfächer. Orchestriert von orientalisch-dramatischen Streichern. Ein schwer atmender junger Mann schließt eine Wohnungstür auf. Die schönen schwarzen Locken sind mit einem Undercut gestutzt. »Momo, ich mach dein Lieblingsessen«, ruft die Mutter aus der Küche, während der kleine Bruder sich ohrenbetäubend laut mit einem Ballerspiel beschäftigt. Keine fünf Minuten später rammt eine schwerbewaffnete Polizeieinheit die Wohnungstür auf und Momo liegt fixiert mit dem Kopf auf dem Wohnzimmertisch.

Seine Cousins, welche einen Überfall begangen haben, hängen diesen Momo an. Der versteht die Welt nicht mehr: Cousins, Familie! Da hält man doch zueinander. Aber die Cousins handeln im Auftrag von Momos Onkel: Amar Kaval – der wird als strippenziehender Clanchef dargestellt. Der wiederum betont gegenüber Momo: Wir sind vom gleichen Blut, Familie!

Geschickt fädelt er ein, dass Momo verurteilt wird und in der JVA Moabit landet. Denn Amar will mit seinem libanesischen Clan »den Kurden« und dessen Clan aus dem Geschäft drängen. Um zu betonen, dass die Drogengeschäfte als orientalischer Familienbetrieb organisiert seien, tritt noch ein dritter Clan auf den Plan: »Wir müssen nur anrufen und halb Albanien kommt nach Berlin!«, droht Clanchef Nummer drei, bei einer Verhandlung über die Aufteilung Berlins, woraufhin einer von Momos Cousins erwidert: »Wenn wir kurz pfeifen, steht hier der Libanon auf der Matte!«.

Momo Kaval wird von seinen Mitgefangenen als Kaval sofort dem Clan zugeordnet und hat seinen Ruf weg. Dabei will er nur niemanden verpfeifen, ist aber eigentlich unschuldig an dem von seinen beiden Cousins begangenen Überfall. Aber neben »dem Kurden«, der auch in der JVA Moabit die Geschäfte kontrolliert, sitzt schon länger ein anderer Verwandter von Momo ein, der ein paar Schläger um sich geschart hat und auf Anweisung Amar Kavals die Geschäfte von »dem Kurden« übernehmen soll. Der will Momo auf seine Seite ziehen – er soll im Knast Aufgaben übernehmen. Erst versucht er mit pathetischem Gerede über Blutsbande, Momo zu überzeugen: Als sich Momo weigert und von Familie nichts mehr hören will, wird er verprügelt.

Clanstrukturen mit Migrationshintergrund erscheinen in »Asbest« als übermächtige Sozialorganisation. Zwar wehrt sich Momo auch gegen rassistische Zuschreibungen und gibt kontra gegen Vorurteile – aber die ganze Serie basiert auf einer als authentisch daherkommenden Inszenierung eines Familienclans Kaval und der Erzählung, wie mächtig libanesische, kurdische und albanische Clans im Berliner Untergrund seien, die auch noch die Gefängnisse kontrollieren würden.

In den ersten zwei Wochen seit »Asbest« in der ARD-Mediathek abrufbar ist, wurde die Serie bereits über sieben Millionen Mal gestreamt. Ein riesiger Erfolg, der wie ein sehr ausgedehnter Musikclip eines Gangster-Rappers daherkommt. Die Schauspieler brauchen nur zwei Ego-Posen: Aggression und Selbstmitleid.

Verfügbar in der ARD-Mediathek

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