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Kohlendioxidspeicherung: Die Tiefsee im Visier
Mit neuen Technologien soll weit mehr Kohlenstoff im Ozean gespeichert werden als bisher – mit kaum abschätzbaren Folgen
Je weiter der Klimawandel fortschreitet und je knapper die Ressourcen an Land werden, desto stärker wächst der Druck auf die Weltmeere. Sie werden überfischt, verschmutzt und überdüngt. Gigantische Plastikmüllteppiche treiben darauf. Die Wassertemperaturen steigen, Sauerstoffmangelzonen breiten sich aus und der pH-Wert in den Ozeanen sinkt, je mehr Kohlendioxid sie aufnehmen. Als weitere Stressfaktoren kommen für die Meeresfauna die Erdöl- und Erdgasförderung, der Bau und Betrieb von Offshore-Windenergieanlagen, die Schifffahrt und in Zukunft möglicherweise der Tiefseebergbau hinzu.
Zunehmend gerät die Tiefsee auch noch für den Klimaschutz in das Visier von Politik, Wissenschaft und Wirtschaft. Sogenannte ozeanbasierte Klimainterventionen (OBCIs) sollen helfen, die viel zu hohen Treibhausgasemissionen an Land zu kompensieren. Ein jüngst im Fachjournal »Science« publiziertes Perspektivenpapier der US-amerikanischen biologischen Ozeanografin Lisa Levin und ihrer Kolleg*innen unterstreicht die schwerwiegenden Auswirkungen, die dies auf die marinen Ökosysteme unterhalb einer Wassertiefe von 200 Metern haben könnte. »Die Tiefsee mit ihrer niedrigen Energiezufuhr, typischerweise kalt, mit stabilen Bedingungen und einer niedrigen Dichte an Lebewesen mit heruntergefahrenem Stoffwechsel, benötigt besondere Aufmerksamkeit«, heißt es dort.
Ozeandüngung schon 2013 geächtet
Im Gespräch sind die Förderung sogenannter Blue-Carbon-Ökosysteme, wie Seegraswiesen und Mangrovenwälder, die mittels Photosynthese Kohlendioxid binden, Makroalgenfarmen mit anschließender Verklappung ihrer Biomasse in der Tiefsee und die 2013 im London-Protokoll verbotene, kommerzielle Ozeandüngung. Da noch nicht genügend Staaten das Abkommen ratifiziert haben, ist es jedoch bislang nicht in Kraft. Weitere Maßnahmen sind die Alkalisierung des Ozeans mittels einer Gabe von Silikat oder Kalk in sein Oberflächenwasser, sodass er mehr CO2 aufnehmen kann, ein künstlicher Auftrieb von nährstoffreichem Tiefenwasser mit dem Ziel eines größeren Algenwachstums, eine direkte Injektion flüssigen Kohlendioxids in die Tiefsee oder unter den Meeresboden und verschiedene Kühlungstechniken der Atmosphäre durch künstliche Wolkenbildung über den Weltmeeren oder durch Zuführung von Hitze in die Ozeane. Auch die Installation von Offshore-Windenergieanlagen, Wellenkraftwerken und die Nutzung von Geothermie aus den hydrothermalen Quellen der Tiefsee wird diskutiert. »Einige davon, wie die Blue-Carbon-Küstenökosysteme, werden bereits eingesetzt, aber die meisten Maßnahmen gehen noch nicht über den Konzeptstatus hinaus, werden in Modellstudien untersucht oder befinden sich in der Pilotstudienphase«, sagt der Biologe am Geomar-Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und Koautor, Henk-Jan Hoving.
Hinter der Ozeandüngung steht die Idee, mittels des zugesetzten Mikronährstoffs Eisen große Algenblüten zu erzeugen. Diese sollen CO2 aus der Atmosphäre fixieren und nach ihrem Absterben in die Tiefe transportieren. Bisherige Versuche zeigten jedoch, dass das so erzeugte Algenwachstum nicht von langer Dauer war, denn es mangelte an Licht und anderen Nährstoffen. Auch gelangte ein Großteil der Algen gar nicht bis in die Tiefe, sondern wurde bereits zuvor von Ruderfußkrebsen vertilgt oder von Bakterien in den oberen Wasserschichten zersetzt. Der in ihnen gebundene Kohlenstoff entwich dabei zurück in die Atmosphäre. Kritiker*innen der Ozeandüngung befürchten zudem unvorhersehbare, negative Folgen für die Meeresökosysteme: Sie könne auch massiv in biogeochemische Kreisläufe eingreifen.
Einflüsse auf Tiefseelebewesen
Auch die anderen Maßnahmen sind umstritten: Die Autor*innen des Artikels in »Science« warnen davor, in die Tiefsee injiziertes CO2 könne zu einer Wassertrübung führen. Kühlungstechniken könnten ihrerseits die Ozeanschichtung und damit verschiedene biologische und chemische Prozesse in den mittleren Wasserschichten verändern, wie die vertikale Wanderung von Lebewesen oder die Remineralisierungsraten. Selbst zunächst positiv anmutende Maßnahmen wie die Blue-Carbon-Ökosysteme sehen Levin und ihr Team kritisch, da ein verstärkter Tiefentransport von Biomasse und damit ein erhöhtes Nahrungsangebot am Meeresgrund die dortige Artenzusammensetzung verschieben könnte.
Überhaupt ist nur ein Bruchteil aller Tiefseelebewesen bislang katalogisiert. Die ökologische Bedeutung vieler Organismen, ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber Veränderungen und Störungen und die Funktionsweise der dortigen hochsensiblen Ökosysteme insgesamt ist noch weitgehend unverstanden. Aufgrund der unwirtlichen Bedingungen mit vollständiger Dunkelheit, Temperaturen nahe dem Gefrierpunkt und einem enormen Wasserdruck handelt es sich um den am wenigsten erforschten Lebensraum der Erde. So wisse man nicht, welchen Schaden die einzelnen Maßnahmen anrichten könnten, warnt Hoving. Genaue wissenschaftliche Forschung sei dringend erforderlich, ehe diese einsatzbereit wären.
»Alle anvisierten Klimaschutzmaßnahmen nutzen die Grundfunktionen des Ozeans, CO2 und Wärme aufzunehmen. Jeder Versuch, dieses System zu beschleunigen oder zu fördern, beeinflusst die natürliche Funktion des Systems und möglicherweise die anderen Ökosystemleistungen der Tiefsee«, so Hoving.
Internationaler Rahmen gefordert
Die Wissenschaftler*innen propagieren einen ganzheitlichen Ansatz, der die Folgen jeder einzelne Maßnahme auf die Tiefsee gemeinsam betrachtet und berücksichtigt. Das beinhaltet Modellierungen, Beobachtungen und Versuche ebenso wie die frühe Integration ökologischer, wirtschaftlicher und rechtlicher Überlegungen oder die Beteiligung lokaler Communities und Hüter*innen traditionellen Wissens. Es gehe darum, das Problem von unterschiedlichsten Warten aus zu betrachten, meint Hoving. Dafür brauche es einen interdisziplinären, internationalen Rahmen, ähnlich den Empfehlungen, die für die Forschung zum solaren Geoengineering vorlägen.
Als hilfreich wertet er das Anfang März abgeschlossene UN-Hochseeschutzabkommen: »Dabei handelt es sich definitiv um den ersten Schritt in die richtige Richtung, die menschlichen Aktivitäten auf der Hochsee näher zu regeln. Dieses Abkommen könnte dabei helfen, einen weitreichenderen Steuerungsrahmen zu schaffen, der eine Regulierung der OBCIs einbezieht.«
Die Mahnungen Levins und ihres Teams sind wichtig, denn in Deutschland wie in der EU sitzen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft längst in den Startlöchern, die neuen Technologien zu erforschen und gegebenenfalls auch einzusetzen. Das breit angelegte, vom Bundesforschungsministerium (BMBF) geförderte Projekt der Deutschen Allianz Meeresforschung »CDRmare« hat es sich zum Ziel gesetzt zu prüfen, ob und in welchem Umfang der Ozean eine wesentliche Rolle bei der Entnahme und Speicherung von CO2 aus der Atmosphäre spielen kann. In sechs Verbundprojekten untersuchen rund 200 Forscher*innen Handlungoptionen und ihre Folgen für Umwelt und Erdsystem sowie gesellschaftliche und ethische Fragen dabei. Auch geeignete Ansätze für die Überwachung der Maßnahmen sollen dabei Berücksichtigung finden. Im engen Dialog mit Personen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Umweltschutz, Politik und Verwaltung sollen die beteiligten Wissenschaftler*innen langfristig eine Marine Carbon Roadmap für eine nachhaltige Nutzung der marinen Kohlenstoffspeicher auf regionaler, überregionaler und globaler Ebene erstellen.
Forschungsförderung für Geoengineering
Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger hob anlässlich des CDRmare-Treffens Anfang Februar die Wichtigkeit derartiger Ansätze im Kampf gegen den Klimawandel hervor. »Mit insgesamt rund 50 Millionen Euro unterstützen wir schon jetzt die Erforschung landbasierter und mariner CO2-Entnahmemethoden wie bei CDRmare, damit Deutschland künftig eine Vorreiterrolle einnehmen kann. Jetzt kommt es darauf an, die technologischen und regulatorischen Grundlagen zeitnah zu legen«, sagte sie.
Auch das noch bis Sommer 2024 laufende EU-Projekt »Ocean Nets« erprobt im Labor und begrenzt auch »in situ« vier ozeanbasierte Negativemissions- und Geoengineeringtechnologien und entwickelt sie weiter: die Ozeandüngung, die Ozeanalkalisierung, einen künstlichen Tiefenwasserauftrieb und die Schaffung von Blue-Carbon-Ökosystemen. Sein Ziel ist es herauszufinden, bis zu welchem Punkt und unter welchen Bedingungen ein großflächiger Einsatz dieser Maßnahmen für Europa und den Rest der Welt zur Einhaltung der Pariser Klimaschutzziele beitragen kann. Außerdem sollen die Forscher*innen ermitteln, in welchen Maßnahmen dafür das größte Potenzial steckt, aber auch welche bezüglich Umweltfolgen, Risiken, Synergien, technischer Umsetzbarkeit, Kosteneffizienz und politischer und gesellschaftlicher Akzeptanz am besten abschneiden.
Unkoordinierte Zuständigkeiten
Barbara Neumann, Geografin am Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit am Helmholtz-Zentrum Potsdam (RIFS), leitet seit einem halben Jahr innerhalb des Projekts die Forschungsgruppe »Governance der Ozeane«, die die politische, rechtliche und organisatorische Steuerung derartiger Maßnahmen auslotet. »Man muss da breiter draufschauen und auch gegeneinander abwägen«, sagt sie. Das sei umso wichtiger, da es je nach Anwendungsort – ob Meeresboden, Hochsee oder Küstengewässer – unterschiedliche Zuständigkeiten gebe und jeder, egal ob Schifffahrt, Fischerei oder Tiefseebergbau, sein eigenes Süppchen koche. Auch stelle sich die Frage danach, wer eigentlich mitreden und die Entscheidung treffen dürfe.
Keinesfalls aber sollten OBCIs ein Ersatz für ernsthafte Bemühungen sein, Treibhausgasemissionen zu reduzieren. »Gerade weil das sehr aufwändige Maßnahmen sind und man nicht richtig weiß, wie sich das alles in der Zukunft darstellt, muss man darauf gucken, dass das nicht verstanden wird als: Das ist jetzt unser easy way out«, betont Neumann. Ähnlich sieht das Hoving: »CO2-Minderungen wären zweifellos das beste Mittel oder die Implementierung alternativer erneuerbarer Energien«, stellt er klar.
Tatsächlich sollten wir uns nicht darauf verlassen, dass wir es mit Genie und Technik schon richten werden. Da wir die Folgen unseres Tuns nicht überblicken, ist es leicht, einen schweren Fehler zu begehen und damit ähnlich dramatische Prozesse in Gang zu setzen wie den menschengemachten Klimawandel selbst.
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