Nach Kutschaty-Rücktritt: SPD im Westen vor Umbruch

Neuer Höhepunkt im Niedergang der Sozialdemokratie an Rhein und Ruhr

Es war eine auf den ersten Blick unspektakuläre Meldung des »Kölner Stadtanzeigers«, die das Ende von Thomas Kutschaty als Vorsitzendem der nordrhein-westfälischen SPD einläutete. Am späten Mittwochnachmittag meldete das Blatt, dass Magdalena Möhlenkamp neue Generalsekretärin der Partei werden solle. Die Bonnerin Möhlenkamp solle auf die Dortmunderin Nadja Lüders folgen, die beim Parteitag im Mai nicht wieder antritt. Dies habe Kutschaty bei einer Telefonkonferenz der Parteispitze mitgeteilt, hieß es in der Mitteilung des »Stadtanzeigers«. Die Sache hatte allerdings einen Haken, genauer gesagt sogar zwei. Als die Mitteilung erschien, lief die Sitzung noch, und die Personalie Möhlenkamp war in der Partei nicht abgestimmt. Die Mitglieder des Landesvorstands wurden also doppelt überrascht. Sie reagierten darauf mit Unmut, wie der WDR berichtet. Die Personalie Möhlenkamp wurde zurückgestellt. Nach der Sitzung war klar, Thomas Kutschaty würde es nicht leicht haben, das Vertrauen seiner Genossen zurückzuerobern. Kutschaty selbst glaubte offenbar nicht, dass ihm das gelingen könnte. Am Donnerstag trat er als Landesvorsitzender der SPD Nordrhein-Westfalen zurück.

Der Rücktritt Kutschatys ist der aktuelle Höhepunkt einer jahrelangen Krise der einst so erfolgsverwöhnten Sozialdemokraten an Rhein und Ruhr. Diese begann spätestens 2017. Mit nur 31 Prozent unterlag Hannelore Kraft bei der Landtagswahl Armin Laschet (CDU). Kraft zog sich direkt aus allen Ämtern zurück. Die Partei stand ohne Führung da. Es dauerte mehr als ein Jahr, bis sich die Partei neu aufgestellt hatte, und sie blieb dabei glücklos. Der Bundestagsabgeordnete Sebastian Hartmann übernahm das Amt des Parteivorsitzenden. Bis er im März 2021 ausschied, blieb er farblos und musste 2020 ein schlechtes landesweites Ergebnis der Partei bei Kommunalwahlen verantworten.

Parallel zu Hartmanns Wahl zum Parteivorsitzenden wurde Thomas Kutschaty Fraktionsvorsitzender der SPD im Düsseldorfer Landtag. Für den Posten musste er sich allerdings einer Kampfabstimmung mit dem Hammer Marc Herter stellen, der außerdem noch von zahlreichen einflussreichen Sozialdemokraten unterstützt wurde. Mit nur vier Stimmen Mehrheit setzte sich Kutschaty am Ende durch. Parteivorsitzender wurde der Essener dann 2021. Auch hier ging es nicht harmonisch zu. Kutschaty ging Hartmann aggressiv an, forderte Partei- und Fraktionsvorsitz gehörten in eine Hand. Sebastian Hartmann gab entnervt auf.

Zum Liebling der Partei wurde Thomas Kutschaty so nicht. Und das, so kritisieren Sozialdemokraten hinter vorgehaltener Hand schon seit längerem, habe er auch nicht versucht. Kutschaty konzentrierte sich auf die Landtagsfraktion, vernachlässigte aber den Austausch mit den regionalen Gliederungen. Die Verantwortung für das miserable Ergebnis bei der Landtagswahl 2022 wälzte er auf seine Generalsekretärin ab. Ein Vertreter des von seinem einstigen Konkurrenten Marc Herter geführten Parteibezirks Westliches Westfalen soll es gewesen sein, der Kutschaty am vergangenen Mittwoch besonders deutlich attackierte. Der Bezirksverband, in dem sozialdemokratische Hochburgen wie Dortmund und Bochum liegen, gilt als besonders einflussreich. Personalentscheidungen an ihm vorbei sind ein No-Go. Dass auf die Noch-Generalsekretärin Nadja Lüders aus Dortmund wieder eine westliche Westfälin folgen wird, hatten viele in der Partei angenommen. Jedoch fand Kutschaty keine Kandidatin, die sich an ihn binden wollte.

Nadja Lüders und Marc Herter sind es nun, die den Übergang bis zum Parteitag im Mai organisieren. Eine Krisensitzung des Landesvorstands findet am Freitag in Dortmund statt. Von Lüders und Herter heißt es, der Rücktritt Kutschatys sei eine »Zäsur« und es sei nicht angemessen, »einfach zur Tagesordnung überzugehen«. Man werde jetzt »in Ruhe und mit der gebotenen Ernsthaftigkeit, vor allem aber gemeinsam, die Lage und die weiteren Schritte besprechen«.

Einer der wichtigsten Schritte liegt auf der Hand. Die nordrhein-westfälische SPD braucht eine neue Führung. Die Bundestagsabgeordnete Michelle Müntefering, eine westliche Westfälin, hat im »Kölner Stadtanzeiger« eine Doppelspitze ins Spiel gebracht, eigene Ambitionen aber gleichzeitig verneint. Gehandelt wird auch der Name von Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze. Als männlicher Part einer Doppelspitze käme wohl einer der verbliebenen sozialdemokratischen Oberbürgermeister einer Großstadt in Frage. Ob eine solche Kombination ideal ist, bleibt allerdings fraglich. Die schwer angeschlagene SPD zu führen, ist mit Sicherheit kein Teilzeitjob. Eine kürzlich intern vorgestellte Wahlanalyse zeigte die Probleme der Partei deutlich auf. Die Sozialdemokratie im Westen ist überaltert, in Großstädten verliert sie an die Grünen, überall ins Lager der Nichtwähler. In der Analyse heißt es, eine erfolgreiche SPD bleibe »nicht beim Buffet interner Veranstaltungen stehen«, sondern müsse überall Präsenz zeigen – eine große Aufgabe für die kommende Parteiführung. Unklar ist auch, wer die SPD im Landtag führen soll. Dass Kutschaty den Fraktionsvorsitz abgeben wird, gilt als ausgemachte Sache. Einen Nachfolger, der sich aufdrängt, gibt es nicht.

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