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Lieferdienst Wolt: Leere Versprechen
Kuriere fordern nicht-ausgezahlte Löhne vor der Zentrale des finnischen Konzerns in Berlin ein. Der wiederum verweist auf frühere Subunternehmen
»So etwas habe ich noch nie erlebt«, sagt Martin Bechert am Mittwochvormittag zu »nd«, als er vom Eingang der Wolt-Firmenzentrale an der Stralauer Allee in Friedrichshain zurückkehrt. Gemeinsam mit dem Kurier Muhammad Bhatti wollte der Fachanwalt für Arbeitsrecht gerade die schriftlichen Forderungen der Protestierenden übergeben. Doch das Vorhaben scheitert: »Die haben sich verbarrikadiert da drin«, sagt Bechert. »Sie haben auch die Schilder von den Briefkästen entfernt, damit wir nicht wissen, wo wir die Schreiben einwerfen können.« Die Eingangstüren zum Gebäude sind dem Anwalt zufolge versperrt. Tatsächlich ist einer der Zugänge deutlich erkennbar mit einem Fahrradschloss gesichert.
Als Vertretung für Kurier*innen hat Bechert bereits mit mehreren Lieferdiensten zu tun gehabt: Mitarbeiter*innen bei Gorillas, Lieferando und jetzt eben auch Wolt klagen immer wieder über schlechte Arbeitsbedingungen. Aus dem Auftreten in der Berliner Zentrale des finnischen Lieferdienstes zieht Bechert seine eigenen Schlüsse: »Das ist verrückt. Das zeigt doch den wahren Charakter dieser Firma, dieses windige Gebaren.«
Die Vorwürfe, die Kurier*innen gegen Wolt erheben, wiegen schwer. Insgesamt 120 Fahrer*innen mit Migrationsgeschichte sei in den letzten Monaten der Lohn verweigert worden, heißt es. Es gehe um mehrere Tausend Euro. Das Unternehmen, das seit 2021 in Berlin aktiv ist, werbe nach außen hin mit Bezahlung über Mindestlohn. In Wirklichkeit aber würden viele Fahrer*innen bei Subunternehmen beschäftigt und dort betrogen.
Auch Muhammad Bhatti wartet auf sein Geld. »Schon letzte Woche, als ich hierhergekommen bin, haben sie unsere Schreiben abgelehnt«, sagt er zu »nd«. Stattdessen sei er davor gewarnt worden, gegen Wolt zu protestieren. Die Vorwürfe versuche der Konzern auf die Subunternehmen abzuwälzen. »Wir sind friedlich und sie hören nicht einmal zu«, kritisiert der Pakistaner. »Wer ist denn am Ende dafür verantwortlich, dass wir bezahlt werden? Natürlich ist das Wolt.«
Ähnlich sieht es Anosh Narginary, der seit November 2022 für ein Subunternehmen von Wolt unterwegs war. »Wolt will versuchen, vor seiner Verantwortung davonzurennen«, sagt er zu »nd«. Der gebürtige Inder wollte sich sein Studium in Berlin mithilfe des Jobs finanzieren, hat für seine Arbeit bis Januar allerdings noch keinen Cent gesehen, wie er erklärt. Um für Wolt auszuliefern, habe er online einen Vertrag mit einem Subunternehmen abschließen müssen. Ein schriftliches Dokument sei ihm nie zum Unterzeichnen vorgelegt worden. Dieser Umstand werde gegen ihn verwendet, sobald er versuche, für seine Rechte einzustehen.
Während der Arbeit machte sich Narginary vor allem Sorgen um seine Gesundheit, wie er berichtet. »Wenn irgendetwas mit mir auf der Straße passiert wäre, hätte Wolt keine Verantwortung übernommen, genauso wenig wie der Subunternehmer.« Für die nicht ungefährliche Arbeit sei ihm kaum etwas zur Verfügung gestellt worden. Ausgeliefert habe er das Essen auf seinem eigenen Fahrrad. »Uns wurde viel in Aussicht gestellt, aber bekommen haben wir davon nichts«, sagt er.
Bhatti ergänzt: »Wolt verspricht, dich zu versichern und dass du das Material bekommst, das du brauchst. Aber wenn du dich bewirbst, wirst du direkt abgewiesen.« Anschließend werde man an Subunternehmen verwiesen, die teilweise sogar eine Provision von rund 500 Euro verlangten.
Auf nd-Anfrage teilt Wolt mit, nur zeitweise mit Personaldienstleistern wie Job & Talent und Zenjob oder kleineren Dienstleistern kooperiert zu haben. »Die Zusammenarbeit mit den von Ihnen genannten kleineren Unternehmen haben wir bereits im Januar beendet, nachdem bei Compliance-Audits unsererseits offensichtliche Unregelmäßigkeiten festgestellt wurden«, heißt es. Man selbst beschäftige deutschlandweit über 4000 Mitarbeiter*innen, allesamt fest angestellt, krankenversichert und »erkennbar über Mindestlohn« bezahlt.
Wolt selbst habe alle Rechnungen an den Personaldienstleister überwiesen. Der wiederum habe seine Mitarbeiter*innen bisher aber nicht vollständig ausbezahlt. »Wir prüfen derzeit, ob und in welcher Form wir die Mitarbeiter*innen dieser Firmen in ihren Forderungen unterstützen können und suchen das Gespräch.« Auch prüfe man, juristisch gegen die Subfirmen vorzugehen. Wolt spricht mit Blick auf die Subunternehmen zugleich auch nicht von 120, sondern nur von 29 betroffenen Beschäftigten.
Zumindest für Anosh Narginary steht trotzdem fest, dass er nie wieder Essen für Wolt ausliefern möchte, auch wenn er seinen Lohn noch ausbezahlt bekäme. »Ich will nicht länger Teil von dem sein, was hier passiert, und für jemanden arbeiten, der mich nicht respektiert.«
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