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Der Klang von Sachsen
Der Musiker Felix Räuber und der Journalist Marc Oliver Rühle über die Frage, was Heimat ist, wie sie klingt und sich der Begriff kreativ nutzen lässt
Sie haben sich in einer zehnteiligen Filmreihe und einem Ausstellungsprojekt, das im Museum für Sächsische Volkskunst in Dresden zu sehen ist, mit der Frage beschäftigt, wie Heimat klingt, und zwar in Sachsen. Wie entstand die Idee?
Felix Räuber (38, Musiker) war Mitbegründer der Band Polarkreis 18, die mit »Allein, allein« einen Nummer-1-Hit hatte. Gemeinsam mit dem gleichaltrigen Autor und Journalisten Marc Oliver Rühle, mit dem er seit Grundschulzeiten befreundet ist, hat er in Sachsen zum »Klang der Heimat« recherchiert. Das gleichnamige Ausstellungsprojekt ist bis Ende Oktober im Museum für Sächsische Volkskunst in Dresden zu sehen.
Rühle: Wir waren 2018 zusammen in Nordkorea. Dort wird man an allen öffentlichen Orten ständig mit Revolutionsliedern und Marschmusik beschallt, die mit kämpferischen, pathetischen Texten unterlegt ist. Das war eine krasse und ungewöhnliche akustische Erfahrung. Auf dem Rückflug haben wir uns gefragt: Was klingt eigentlich bei uns? Und wie prägend sind solche Klänge für das Gefühl von Heimat?
Räuber: Es kamen mehrere Dinge zusammen. In Nordkorea erlebten wir diesen Kulturschock – ein Gefühl, als wären wir auf einem fernen Mond. 2019 war dann Landtagswahl in Sachsen, wo wir ja beide gebürtig sind. Da hat die AfD den Begriff »Heimat« offensiv zu besetzen und zu vereinnahmen gesucht. Das waren die Auslöser für unser Projekt.
Gerade Linke scheuen vor dem Begriff Heimat zurück, weil sie ihn mit reaktionären Ansichten und einer Politik verbinden, die andere ausschließt. Wie war das bei Ihnen?
Rühle: Uns ist klar, dass der Begriff polarisierend und extrem aufgeladen ist. Nicht zuletzt in Sachsen wird er ja politisch auch gern vereinnahmt. Gerade deshalb aber wollten wir ihn verwenden und auf Bedeutungen hinweisen, die andere verschweigen. Wir wollten den Begriff kreativ »entschärfen« und nähern uns ihm über das Hören, also eine Sinneswahrnehmung. So wird deutlich, dass Heimat vielfältig ist und auch nicht unbedingt an einen bestimmten Ort gebunden. Sie kann auch ein inneres Gefühl sein. Es geht um Traditionen, Rituale und Brauchtum, aber auch Gerüche, Klänge, Musik und Erinnerungen. Es ist übrigens interessant, dass kritische Nachfragen zu unserem Projekt meist von außen kommen: Muss es wirklich dieser Begriff sein? Bei unseren Recherchen stießen wir eher auf Dankbarkeit und ein großes Bedürfnis von Menschen, darüber zu sprechen, was Heimat ist.
Kann Musik Heimat sein?
Räuber: Auf jeden Fall. Ich rede dabei nicht über bestimmte Stücke, sondern über das Musizieren an sich. Das Arbeiten im Studio war für mich jahrzehntelang ein Ort der Zuflucht. Daraus habe ich auch die Sicherheit genommen, auf diese Reise gehen zu können, bei der ich anfangs unsicher war, wie meine Gegenüber reagieren würden. Dabei hilft es, dass Musik ja eine universelle Sprache ist, die in ganz unterschiedlichen Milieus funktioniert und Türen öffnet.
Welche Musik verkörpert für Sie Heimat?
Räuber: Zum Beispiel »Peter und der Wolf« von Sergej Prokofjew. Dazu habe ich das erste Mal getanzt, als ich sechs oder sieben war, im Wohnzimmer, dessen Tür ich zuvor abgeschlossen hatte, weil ich nicht wollte, dass mich jemand ertappt.
Rühle: Für mich sind es von Peter Schreier gesungene Lieder. Meine Großeltern, bei denen ich aufgewachsen bin, waren mit ihm freundschaftlich verbunden. Diese Stimme habe ich als Kind verinnerlicht. Das ist ein Heimatklang.
Und wie klingt Heimat jenseits von Musik?
Räuber: Ich bin in Dresden aufgewachsen, auf der Höhe unweit des Fernsehturms. Ein markantes Geräusch war das Tuten der Elbdampfer vom Fluss im Tal. Ein anderes: mein Opa, ein Journalist, der zum Klappern der Schreibmaschine ständig pfiff. So entstanden quasi Loops, die aus Teilen von Volksliedern bestanden und endlos variiert wurden.
Wie unterschiedlich klingen Dresden und Berlin, wo Sie heute leben?
Räuber: Wenn ich in Friedrichshain mein Fenster öffne, stellt sich sofort ein Gefühl akustischer Überforderung ein. Es ist eine Überfülle an Reizen, die ich gesucht habe, als ich vor elf Jahren dahin gezogen bin. Aber nach einer Zeit kehrte sich das um, und ich bekam das Gefühl, dass auch in diesem Überfluss etwas fehlt. Herauszufinden, was das ist, war ein Auslöser für das Projekt.
Rühle: Der Klang der Stadt wird auch durch ihre Topografie geprägt. Berlin ist flach, aller Klang fliegt weg. Dresden liegt im Tal, es gibt Resonanz, die Geräusche werden nach oben getragen.
Ihr erklärtes Ziel war herauszufinden, wie Sachsen klingt. Wie lautet die Antwort?
Rühle: Natürlich gibt es eine große Fülle: das Rauschen der Bäume im Gebirge, das Rattern der Kohlebagger in der Lausitz. Wenn Musiker an Sachsen denken, haben sie Bach und Leipzig oder Dresden und den Kreuzchor im Kopf. Wir wollten uns auf ländliche Regionen konzentrieren und denen eine Bühne geben, die sonst weniger gehört werden.
Räuber: Wir kommen ja beide aus der Großstadt. Sie steht exemplarisch für die technologisierte, digitalisierte Kultur des 21. Jahrhunderts, die extrem vernetzt ist, aber entkoppelt von Natur und konkreten Orten. Wenn man sich in einem solchen Kontext mit Heimat beschäftigt, wirft das viele Fragen auf. Unsere Idee war, dass es in ländlichen Regionen klarere Vorstellungen geben könnte. Also haben wir dort gefragt. Da prallten teils Welten aufeinander, wenn der Hafermilch trinkende Großstadttyp aus Berlin im stark von Traditionen geprägten sorbischen Dorf auftauchte.
Hat sich Ihr Verständnis von Heimat erweitert?
Räuber: Mit scheint, viele assoziieren mit Heimat etwas, wovon sie sich zunächst abgenabelt hatten und was sie dann im Laufe des Lebens neu entdecken wollen. Es ist ein Ort der Sehnsucht. Ich habe mich mehrfach neu beheimatet und verspürte immer auch Schmerz darüber, dass etwas verloren ging. Dann gibt es den kindlichen Wunsch, daran wieder anzuknüpfen, was ja aber nie möglich ist. Denn selbst, wenn man an den Ort zurückkehrt, ist man nicht mehr der Gleiche.
Kann man mehrere Heimaten haben?
Rühle: Wir haben den syrischen Musiker Basel Alkatrib getroffen, der uns das Saiteninstrument Oud nahegebracht hat. Er kam 2015 nach Leipzig. Auf Fragen nach seiner alten Heimat sagte er: Das ist vorbei. Meine Heimat ist jetzt und hier. Das Gefühl von Heimat kann sich ändern und mit verschiedenen Orten verbunden sein.
Räuber: Wir haben uns auch mit einer in Görlitz lebenden, im heute polnischen Schlesien gebürtigen Sängerin unterhalten. Daraufhin war ich in Breslau, von wo mein Großvater stammt. In unserer Familie wurde wenig drüber gesprochen. Ich war nach Jahrzehnten der Erste von uns, der dahin gereist ist, und konnte mit der polnischen Familie sprechen, die in dem Haus lebt und deren Vorfahren ebenfalls Teil der Bevölkerungsumwälzung im und nach dem Zweiten Weltkrieg waren. Das war sehr berührend. Ich habe dabei gemerkt, dass diese Geschichte in mir drin ist, ohne dass ich das vorher wusste. Vielleicht ist auch das Heimat für mich. Auf jeden Fall schaffte die Reise ein klares Bewusstsein dafür, wie unfassbar wertvoll es ist, dass man einen sicheren Ort hat. Die Vorstellung, ihn von einem Tag auf den anderen verlassen zu müssen, wie das ja auch bei Basel der Fall war, ist furchtbar.
Ein Aspekt von Herkunft und Heimat, der akustisch wahrgenommen wird, ist der Dialekt. Spielt das für Sie eine Rolle?
Räuber: Das ist ein ganz wichtiger Punkt, und wir wollen uns dem auch noch einmal gesondert widmen. Das gibt mir vielleicht Gelegenheit, mal ein Lied auf Sächsisch zu schreiben. (lacht) Ich habe früher stark gesächselt, wie in alten Interviews zu hören ist. Später entwickelte sich dann ein Schamgefühl. Sächsisch ist ja leider mit dem Klischee des Ulkigen, leicht Trotteligen behaftet, das ich ebenfalls verinnerlicht hatte. Es wäre spannend herauszufinden, wann das entstanden ist und wo es herkommt. Es wäre schön, dem eine würdevolle Annäherung an das Sächsische entgegenzusetzen.
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